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Die Medienkolumne Guido Knopp, der ZDF-Weihnachtsmann

Mehr als sechs Millionen Zuschauer haben sich in der ersten Folge der ZDF-Serie von Guido Knopp "Die Deutschen" erklären lassen. Doch klöppelt der TV-Historiker eine Tradition zusammen wie ein gesticktes Deckchen auf dem Ruhekissen. Hier schafft Wissen ein gutes Gewissen.
Von Bernd Gäbler

Das Abbild Martin Luthers hebt zum Gruße zwei Finger vor die Augen, denn mit dem Zweiten sieht auch er angeblich besser. Otto von Bismarck wurde eine poppige Sonnenbrille verpasst, und Marietta Slomka weist mit offen zur Schau getragenem Stolz sogar im "heute journal" auf die Serie hin. Die crossmediale Werbestrategie des ZDF läuft auf vollen Touren. Das hat sich gelohnt. Mehr als sechs Millionen Zuschauer haben die erste Folge der neuen zehnteiligen Serie aus Guido Knopps Haus der Geschichte eingeschaltet. Es geht schließlich um "die Deutschen".

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags – das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Gut platziert für das frühe Weihnachtsgeschäft bauen Buchhändler aus dem Begleitbuch unübersehbare Türme, greifen Lehrer und Schüler zu den parallel erstellten Unterrichtsmaterialien, ist im Internet sogar ein sendungsbezogenes Quiz abzurufen. Hut ab! Da hat das ZDF eine schöne Medienlawine losgetreten. Und weil es um Geschichte, ergo Bildung, geht, sind die Mainzer selbstverständlich auch des Selbstlobes voll - so als würden sie nicht lediglich ihren Auftrag erfüllen, sondern Heroisches stemmen.

Die Idee ist gut

Aber wie ist denn das, was Guido Knopp und sein Stammsender uns da bieten? Zunächst: Die Idee ist wunderbar. Ausnahmsweise geht es um die recht frühe Geschichte. Mit "Otto und das Reich" startet die Serie. Mit "Wilhelm und die Welt" hört sie auf. Viele beklagen ja nicht nur den generellen Verlust des Geschichtsbewusstseins, sondern speziell den des historischen Kurzzeitgedächtnisses. Bei vielen Menschen ist alles, was vor 1789 war, längst im Dunkeln versunken. Da sind noch ein paar Schlagwörter in Erinnerung wie "Investiturstreit" und "Gang nach Canossa", "Wormser Edikt" oder "Frieden von Münster", aber was war das denn genau? Auch Namen sind da: Friedrich Barbarossa und Heinrich, der Löwe, Wallenstein und Friedrich II.

Die Idee, große Namen und grob bekannte Ereignisse zu verkoppeln und in nahezu lexikalische Teilchen zu portionieren, ist also keineswegs illegitim. Auch ist klar, dass ein Fernsehfilmchen etwas anderes ist als ein historisches Oberseminar. Dennoch gibt es zwei gravierende Einwände gegen die Bastelarbeiten aus der ZDF-Geschichtswerkstatt: Es geht um die Machart und um die ideologische Sicht auf tausend Jahre "deutsche" Geschichte.

Männer mit angeklebten Bärten

Das ZDF rühmt sich selber so penetrant, dass schon dies zum Widerspruch herausfordert. Bei einem wichtigen Einwand gegen die Serie aber kann man das ZDF von Schuld fast freisprechen. Es müht sich redlich, hat sicher auch ordentlich investiert, scheitert aber einfach kläglich an den inzwischen längst etablierten Sehgewohnheiten. Die Serienmacher mischen munter Animationen von Landschaften, Städten und Gebäuden, die stets durch flatternde Vöglein lebendig erscheinen sollen, historische Dokumente und museale Gegenstände mit so genanntem Re-Enactment, also dem Nachspielen historischer oder auch frei erfundener Szenen.

Als seien diese Zeitzeugen werden die Statements bedeutender Historiker eingewoben. Das Problem: Nie ist deutlich, was denn nun was ist. Freie Erfindung und Dokument, Interpretation und Dialog purzeln wild durcheinander. Darüber gegossen werden - wie bei Guido Knopp üblich - eine matschige Sound-Soße, die irgendwie erhaben klingen soll und ein autoritativer Kommentar, der stets behauptet: So und nicht anders ist es gewesen. Die Animationen sind dabei in etwa auf dem technischen Niveau der Zeiten, als Charlton Heston noch als "Moses" das Rote Meer teilte. 1956 waren "Die zehn Gebote" von Paramount eine Sensation. 2008 leidet das ZDF einfach unter dem Gigantismus, den wir von Piraten- oder Sklaven-Filmen, Historienschinken oder auch Science Fiction inzwischen aus Hollywood gewohnt sind.

Noch fürchterlicher aber ist das Re-Enactment. Als gehörten sie zur Ausstattung der Xantener Freiluftbühne stapfen Männer mit angeklebten Bärten und Ritterkostümen durch eine Wiese, stellen sich vor eine "green screen", auf die eine Landschaft mit Rauch oder Wolken (Achtung: Bewegung!) projiziert ist und gucken angestrengt in die Ferne. Für Massenszenen reicht das Personal leider nicht aus. So werden gigantische Schlachten "heruntergebrochen" auf ungefähr drei Nahkämpfe bis ein Geschlagener theatralisch samt Fahne ins Gras sinkt. Manchmal sprechen die Figuren auch: "Und was ist mit dir, Heinrich? […] Ich beug' das Knie nicht vor dem Vetter, sondern vor dem Kaiser." So hört es sich an in den Folgen "Friedrich Barbarossa" und "Heinrich, der Löwe" mit einem von Knopps Team am Reißbrett erarbeiteten hölzernen Soap-Dialog. Die identitätsstiftende Vorgeschichte der Deutschen hört sich also an wie das Tegernseer Bauerntheater.

Alle Wege führen hin zur vernünftigen Gegenwart

Fast ebenso problematisch wie die Darstellung ist auch der Inhalt jener "Vorgeschichte". Schon in diesem Begriff steckt das Problem. Guido Knopp schaut zurück auf die Geschichte, als sei sie ein Gemälde in Zentralperspektive. Alle Linien laufen zu auf das Hier und Jetzt, so wie es ist, vernünftig und vollendet. Ein Begriffspaar ist es besonders, unter das er sämtliche Geschichtsbetrachtung stellt: Freiheit und Einheit. Kompliziert und auf Umwegen, sicher unter Kämpfen und mit Rückschlägen, aber am Ende eben doch, setzen diese sich durch. Die Gegenwart ist das Ziel. Sie ist vernünftig und alles Frühere dafür nur der Aufgalopp. Das ist der fundamentale Geschichtsirrtum, die einlullende Geschichtsideologie, die das ZDF den Deutschen mit dieser Serie einpflanzt.

Darum ist es auch kein Wunder, dass der doch sonst in diese Epoche so sehr vernarrte Guido Knopp diesmal ausnahmsweise den deutschen Nationalsozialismus ausspart. Die Serie endet mit dem Ersten Weltkrieg. Hitlers Herrschaft würde das Geschichtskonstrukt ins Wanken bringen. Diente auch dieser Schrecken letztlich der Durchsetzung der Vernunft? Wegen dieser Behauptung wirken die Texte so apodiktisch. Es kann nie anders gewesen sein. Nicht "Personalisierung" ist Guido Knopp vorzuwerfen, denn Geschichte entsteht nun einmal durch handelnde Personen. Nein, ihm ist vorzuwerfen, dass er systematisch mögliche Alternativen historischen Handelns ausblendet.

Ein gutes Gewissen

"Linke" Geschichtsschreibung begeht oft den Fehler, über die Vergangenheit zu Gericht zu sitzen. "Rechte" Geschichtsschreibung weiß immer schon, dass am Ende (also heute) stets noch alles gut gegangen ist. Mit dieser Idee im Kopf, die nichts schafft außer eine allseits beruhigende Tradition, vollführen die Mainzer TV-Historiker dann auch gewagte Sprünge: Fürstenwahl statt Erbkaisertum ist die Basis unseres Föderalismus und schon für das 12. Jahrhundert ist ungeniert von "Deutschen" und "Italienern", die Rede. Die Menschen selber nannten sich erst sehr viel später so. Jetzt aber weiß der deutsche Michel, wie alt er schon ist. Beunruhigen muss ihn nichts. Verstören schon gar nicht. Guido Knopp klöppelt eine Tradition zusammen wie ein gesticktes Deckchen auf dem Ruhekissen. Hier schafft Wissen ein gutes Gewissen.

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