Kritik zu "Günther Jauch" Krawallrunde kurz vor der Wahl

Von Simone Deckner
Endspurt im Wahlkampf: Bei Günther Jauch gaben die Spitzenpolitiker der großen Parteien ein beschämendes Bild ab: Sigmar Gabriel unterstellt Ursula von der Leyen gar, sie habe "was geraucht".

Man muss wahrlich kein Meinungsforschungsinstitut sein, um vorauszusagen: Die Krawallausgabe von Günther Jauchs Polittalk am Sonntagabend war alles andere als eine Werbung für die Politik. Liebe Erstwähler: Nehmt euch diese Mini-Rambos in feinem Zwirn bitte nicht zum Vorbild! Man kann andere ausreden lassen. Man kann in normaler Zimmerlautstärke argumentieren. Man kann sogar glaubhaft vermitteln, dass man für etwas einsteht. Die Gäste bei Günther Jauch, allesamt Spitzenpolitiker, konnten all das gestern nicht.

Dabei hatte der Moderator anfangs mit locker-flockiger Fußballer-Rhetorik (verschossene Elfmeter, Eigentore) versucht, ganz nah am realen Leben zu bleiben. Er geht auch noch recht beherzt dazwischen, als wieder zwei oder mehr Personen gleichzeitig reden und dabei immer lauter werden. Irgendwann aber kapituliert Jauch. Ganz so als wolle er sagen: "Ja, dann eben Blutgrätsche". Seine Fragen hatte da schon lange niemand mehr beantwortet.

Gut, man hätte es wissen müssen: Wenn man eine Woche vor der Bundestagswahl fragt, wer jetzt noch punkten kann, dann (Achtung, Hammer-Wortwitz!) schreit das ja geradezu nach einer "lebendigen Diskussion" (Jauch). Etwa über das Wahlergebnis in Bayern, wo Horst Seehofer mit seiner CSU nun wieder ohne lästiges Anhängsel FDP allein regieren kann.

Und was sagt uns das nun für die Bundestagswahl? Wir überspringen aus Menschenfreundlichkeit ein minutenlanges Hauen und Stechen und zitieren den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der irgendwann auf die Metaebene geht: "Wir sollten nicht ständig so tun, als könnten wir aus einem Landtagswahlergebnis so furchtbar viele Trends ablesen." Oder anders ausgedrückt: Bayern ist nicht Deutschland. Werden ja die Bayern selbst nie müde zu betonen.

Steinbrücks Stinkefinger reloaded

Zweitwichtigstes Thema: Steinbrücks Stinkefinger. Daniel Bahr (FDP) zeigte sich um den guten Ruf des Amtes besorgt: "Steinbrück hat sich offenbar nicht im Griff", ferndiagnostiziert der Gesundheitsminister. Von "so einem" wolle er sich nicht repräsentieren lassen. Aber echt, jetzt: Was soll denn der Obama denken? Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Linken, wundert es ihrerseits nicht, "dass über Halsketten oder Stinkefinger geredet wird", wenn es ansonsten an Inhalten fehle. Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt tutet ins selbe Horn: "Wahlkampf wird nicht über Gesten sondern über Inhalte entschieden."

Über Positionen zum Thema Leiharbeit etwa. Rund 750.000 Menschen sind in dieser Form hierzulande beschäftigt, viele dauerhaft. Für Gabriel "ein großes Thema im Wahlkampf". Die Zielgruppe hat das aber noch nicht so recht realisiert: In einem Einspieler werden Leiharbeiter bei ThyssenKrupp gefragt, wen sie wählen werden. Das naturgemäß nicht-repräsentative Ergebnis: 65 Prozent für die CDU.

Das nimmt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zum Anlass, um erst mal so richtig gegen den möglichen Partner in einer großen Koalition zu wettern. "Unter Rot-Grün war Deutschland der kranke Mann Europas, jetzt haben wir ein Jobwunder." Die Grünen wollten "das Land schlechtreden." Hobbypschyologin von der Leyen: "Das spüren die Menschen". Es folgt eine weitere Runde verbales Ratatouille, das in einer Entgleisung von Gabriel in Richtung von der Leyen gipfelt: "Sie sind so aufgedreht, als hätten sie vorher was geraucht!"

Absturz der Grünen von 24 auf zehn Prozent

Gabriel wiederum gibt den Gelassenen. Wagenknecht erklärt er auf altväterliche Art, warum seine Partei "auf keinen Fall gemeinsame Sache" mit der Linken machen werde. Wagenknecht ignoriert es leicht schmollend, hatte sie doch zuvor ihre generelle Bereitschaft für eine rot-rot-grüne Koalition erklärt. Jauch hellsichtig: "Wenn aber der Bräutigam nun mal nicht will ..."

Die CDU immerhin will laut Ursula von der Leyen noch immer mit der FDP. Die Zweitstimme brauche ihre Partei aber trotzdem, zeigt sie Bahr zugleich auf, wo die Zuneigung endet. Gabriel hatte zuvor erklärt: "Am Ende entscheidet die Wahlbeteiligung."

Auf eine möglichst hohe müssen die Grünen hoffen. In einem für sie vermutlich maximal quälenden Filmbeitrag wird Göring-Eckardt unter die Nase gerieben, dass ihre Partei vor zwei Jahren in Vorhersagen noch bei 24 Prozent lag. Dann dachte man laut über ein Tempolimit auf Autobahnen, Steuererhöhungen und (das schlimmste für den fleischfressenden Homo Germanicus) eine Veggie Day nach. Dass die Grünen jetzt bei mageren zehn Prozent liegen, kann niemandem aus der Partei schmecken. Görin-Eckardt gibt zu, da habe man den Wähler wohl nicht immer richtig erreicht.

Jauch ist um kurz vor 23 Uhr jedenfalls sichtlich erleichtert, dass er das Ende seiner Sendung erreicht hat. Er tut es mit einem Schlusswort, das man fatalistisch oder idealistisch auslegen kann: "Dann lassen wir den Dingen jetzt ihren Lauf."

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