Richard Gere "Wir haben Fehler gemacht"

Klartext von einem Sexsymbol: Hollywoodstar Richard Gere über die Lügen der Politiker, den Bosnien-Krieg und seinen neuen Film "Hunting Party".

Ein großes Büro in SoHo, New York. An der Wand mannshohe Poster vom Dalai Lama. Richard Gere trägt Jeans, schwarzen Pullover, randlose Brille. In der Hand hält er eine Holzkette, die er während des Interviews durch seine Finger gleiten lässt.

Gere:

Ich weiß, dass der stern damals im Kosovo zwei Reporter verloren hat. Das tut mir sehr leid.

Vielen Dank für Ihre Anteilnahme.

Ich selbst war im Kosovo während des Krieges und wollte den Film "Hunting Party - Wenn der Jäger zum Gejagten wird" über den Bosnien-Krieg unbedingt machen, weil ich viele Menschen auf dem Balkan kennengelernt und die Tragödien erlebt hatte. Ich wollte nach Sarajevo und für mich selbst herausfinden, was passierte im ehemaligen Jugoslawien. Dazu musst du an den Ort, du musst auf die Straße, in die Restaurants, mit den Menschen trinken und sprechen.

Wie war Ihr Eindruck?

Sarajevo ist einer der interessantesten Orte der Welt, so wie Jerusalem oder Toledo. Orte, von denen wir lernen können, wo alle möglichen Menschen, Kulturen, Religionen es geschafft haben, in einer sehr warmen, kreativen Atmosphäre miteinander zu leben. Zu verstehen, warum sich das dann so radikal verändert hat, ist sehr wichtig für uns.

Haben Sie eine Erklärung?

Das sind Dinge, die sich in uns Menschen abspielen und nicht irgendwelchen äußeren politischen Umständen geschuldet sind. Ob es nun Tito gab oder nicht, ob es nun Saddam gab oder nicht - es spielt sich immer im Herzen des Einzelnen ab. Es gibt ein fundamentales Missverstehen, wer wir als Menschen sind. Wir sehen uns als Individuen, die nicht miteinander verbunden sind. Das ist eine Lüge, die die ganze Menschheit vergiftet.

Sie spielen in dem Film einen Kriegsreporter, der versucht, einen Serbenführer zu fangen, der an Radovan Karadzic erinnert. Warum ist das der Welt bis heute nicht gelungen?

Im Film erwähnen wir eine Menge Gerüchte ...

... dass es einen Deal gab zwischen US-Präsident Bill Clinton, UN und Nato: Ihr beendet den Krieg - und wir lassen euch in Ruhe.

Ich glaube nicht, dass es eine bewusste Entscheidung war, ihn nicht zu fassen. Ich glaube eher, dass der Wille fehlt. Wenn wir wirklich wollten, könnten wir jeden auf dieser Erde finden.

Auch Osama bin Laden?

Jeden.

Ihr Film läuft in den USA nur mit geringem Erfolg. Glauben Sie dennoch, dass es Ihnen gelungen ist, das Thema Bosnien neu zu besetzen?

Das war nie mein Ziel. Politik interessiert mich längst nicht so sehr wie die Natur des Menschen, die persönlichen, psychologischen, spirituellen Probleme. Politik zu verändern ist leicht, wir wählen Politiker alle vier Jahre neu. Dein Herz aber zu verändern und wahrhaft altruistisch und mitfühlend zu leben - das ist schwer.

Aber Sie waren es doch, der die Frage aufwarf: Warum wählen wir Menschen, die uns dann so betrügen - Karadzic, Bush?

All diese Führer vereinfachen die Welt. Sie beschreiben sie als Schwarz und Weiß, um ihre Gegner zu diskreditieren: Wir sind Menschen - ihr nicht. Wir sind es wert, beschützt zu werden - ihr seid Tiere. Was die Deutschen unter Hitler machten, war nichts anderes. Wir verüben Taten, die wir nicht mal Tieren antun, auch in Bosnien, in Srebrenica. Wir müssen dafür die Verantwortung übernehmen.

Sie gelten als expliziter Kritiker der Regierung von George Bush …

Ja, wir haben ihn ja nicht nur einmal, sondern gleich zweimal gewählt, und das mit dem Wissen, was er für ein Bursche ist. Wir, die Bush nicht wollten, haben Fehler gemacht. Wir haben uns nicht die Zeit genommen, jedem zu erklären, dass die Welt nicht so gefährlich ist, wie die Republikaner sie darstellten. Die Basis beider Wahlsiege war Furcht: Terror, Terror, Terror.

Sie nennen Bush einen Lügner.

Natürlich.

Sie nennen Cheney einen Lügner.

Klar lügen die. Das ist doch eindeutig. Wenn du alles liest, die Aussagen vor dem Kongress, die vielen Bücher - klar haben sie gelogen. Ich vermute, keiner glaubt heute noch Politikern, und wahrscheinlich ist das gut so. Einer der Gründe für meine Reise nach Bosnien war, dass ich meiner eigenen Regierung nicht glaube. Während der Kriege in Süd- und Mittelamerika waren die USA immer auf der falschen Seite - Nicaragua, Guatemala, El Salvador. Wir hatten eine Abteilung im Außenministerium, die nur damit beschäftigt war, die Sandinisten zu dämonisieren. Ihr einziger Job war es, Lügen in die Gehirne der Amerikaner zu pflanzen.

Wenn es aber um den Kampf gegen Aids geht, haben Sie eine ganz andere Meinung von Bush.

Oh ja, da ist er großartig, keiner hat mehr unternommen als Bush. Er hat 30 Milliarden Dollar für den Kampf gegen Aids beigesteuert, auch gegen Malaria und Tuberkulose. Bei jedem anderen Thema sind wir unterschiedlicher Auffassung, aber hier ist die Regierung richtig gut.

Betrachten Sie das als Ihre Mission - Richard Gere, Chefkritiker der Nation?

Ich sehe das nicht als meine Mission, aber es ist doch wichtig, die Wahrheit zu sagen, wenn man die Möglichkeit dazu hat.

Was hat Sie zu dem Aktivisten gemacht, der Sie heute sind?

Wir waren Studenten während des Vietnamkrieges und haben begriffen, dass wir die Welt verändern können. Meine Generation hat diesen Krieg gestoppt. Das ist Teil unserer DNA. Das macht uns aus.

Ist das auch ein Kriterium bei der Auswahl Ihrer Filmstoffe?

Nein, Botschaften interessieren mich nicht. Das hieße, anderen etwas aufzuzwingen. Kunst kann Menschen ein Tor zur Welt öffnen, aber sie gibt keine Antworten. Sie stellt Fragen. Und jeder Einzelne entscheidet dann, wie er mit der Welt umgeht.

Sie standen nach den Anschlägen des 11. September im Madison Square Garden und sagten, wir müssen diesen Attentätern vergeben. Dafür wurden Sie von der Bühne gebuht.

Das war eine sehr schwierige Botschaft. Es ist schwer zu vergeben. Es ist sehr schwer, nicht mit Wut auf eine solche Tat zu reagieren. Aber nichts, was auf Wut und Rache basiert, schafft etwas Gutes. Unser Land wurde nach den Anschlägen manipuliert von Bush, Cheney, Rumsfeld und all diesen Gestalten. Statt realistisch die Weltlage zu analysieren, sahen sie es als Chance, ihre Agenda durchzusetzen. Wir hätten uns fragen sollen: Warum haben diese Attentäter so reagiert? Statt gleich anzunehmen, dass sie Tiere seien, Psychopathen, Kriminelle.

Sie zielen auf die berühmte Frage: Warum hassen die uns?

Ja, und ich glaube, die Diskussion läuft noch immer. Nur leider nicht in unserer Regierung. Wir haben seitdem furchtbare Entscheidungen getroffen. Das schmerzhafte Fiasko im Irak entsprang diesem von niederen Instinkten geleiteten Denken.

Aber Ihr Land ist doch aufgewacht. Die große Mehrheit ist inzwischen gegen den Krieg und Bush.

Amerikaner sind eigentlich gute Menschen, sehr einfach, sehr generös. Wenn du Geld sammeln willst für einen guten Zweck, gehst du nach Amerika. Das christliche Fundament Amerikas sind Nächstenliebe und Großzügigkeit. Das ist unsere gute Seite. Andererseits kennen wir Menschen anderer Kulturen nicht, was dann schnell in Furcht umschlägt: Es gibt Monster da draußen, die uns und unsere Familien vernichten wollen.

Gilt diese Analyse der amerikanischen Seele auch für Sie selbst?

Ich bin ein ziemlich neugieriger Mensch und froh, so viel reisen zu dürfen. Ich weiß, dass die Menschen in der ganzen Welt gleich sind. Ich glaube aber auch, dass ich großzügig bin und eine gewisse Empathie in mir trage für die Probleme anderer Menschen. Wir gehören alle zusammen. Wenn einer leidet, leiden wir alle. Wenn einer scheitert, scheitern alle. Wenn einer gerettet wird, werden wir es auch. Amerikaner sind wie Kinder, sehr mitfühlend, andererseits führt diese Einfachheit auch dazu, leicht manipuliert zu werden.

Funktioniert diese Manipulation immer noch?

Ja, aber wir haben die Extreme überschritten. Dieses Land kommt zurück. Ich glaube, die Zeit der Republikaner ist vorbei.

Und im nächsten Jahr wird ein Demokrat zum Präsidenten gewählt?

Ohne jeden Zweifel.

Wen ziehen Sie da vor – Hillary Clinton oder Barack Obama?

Es gibt viele Kandidaten, die großartig sind. Mit jedem wäre ich glücklich.

Vier Filme im Jahr, Ihr Engagement für Tibet, für die Aidsstiftung in Indien, für die Verbesserung der Lebensumstände Jugendlicher in amerikanischen Städten – wie schaffen Sie das eigentlich alles?

Manchmal denke ich, ich schaffe es nicht, ich habe keine Energie mehr, ich kriege einen Nervenzusammenbruch.

Dafür wirken Sie gerade ziemlich entspannt.

Ich hatte lange keinen. Aber es ist schwer. Ich mag es nicht, meiner Familie Zeit wegzunehmen. Die Familie steht ganz oben, meine Kinder, meine Frau. Alles kommt und geht, aber deine Familie ist das Wichtigste.

Interview: Michael Streck, Jan Christoph Wiechmann

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