"Sobaka" heißt Hund auf Ukrainisch. "Kit" heißt Katze. Das sind hilfreiche Vokabeln, um zu erfahren, ob der Mensch, der gerade zu Fuß über die Grenze gekommen ist, in der Beule unter seiner Jacke vielleicht ein Haustier am Körper trägt. Oder um mit mehr als Gesten etwas von dem ausliegenden Futter anzubieten. "Sobaka?", frage ich also die alte Dame, deute auf ihren Terrier und den Stapel Nassfutter. Sie zögert, tritt näher, begutachtet unseren Stand. Der kleine Vierbeiner prescht wenig zögerlich nach vorn und bedient sich an den bereitstehenden Näpfen. Während die Dame und ich gemeinsam Futter, ein passendes Geschirr und ein kleines, wärmendes Hundejäckchen für die Weiterreise aussuchen, hält auch der polnische Soldat, der ihren Ehemann im Rollstuhl schiebt, an und wartet geduldig. Die Temperatur in Medyka bewegt sich nahe Null. In unserem blauen Zelt brummt der Heizlüfter.
Rettung in Polen
Medyka, Polen, 80 Kilometer von Lwiw entfernt, ist für flüchtende Menschen aus der Ukraine aktuell eine der wichtigsten Türen in ein anderes Land, in die EU, in NATO-Gebiet. Hunderttausende Menschen haben diese Schwelle seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar überquert. Sie steigen hier in Busse, die sie in die nächstgelegene polnische Stadt Przemyśl bringen. Tagsüber bilden sich lange Schlangen vor der Busstation, die Leute müssen warten, und Freiwillige haben sich mit Zelten niedergelassen, um Hilfe anzubieten.
Eines der ersten Zelte, das die Geflüchteten passieren, ist das Zentrum unseres Tierhilfecamps. Gemeinsam haben der Deutsche Tierschutzbund und der Bundesverband Gemeinschaft Deutscher Tierrettungsdienste Anfang März hier eine Versorgungs- und Erste Hilfe Station für Haustiere und ihre Besitzer aufgebaut. Etwa jeder Zwölfte kommt mit Tier. Alles, was ausliegt – Leinen, Halsbänder, Geschirre – sind Spenden oder ist von Spendengeldern gekauft. Viele können kaum fassen, dass sie nichts zahlen müssen. Auch der alten Dame geht es so. Als sie mich zum Abschied umarmt, fängt sie an zu weinen. Unsere Dolmetscherin Lina kommt hinzu, hört ihr noch ein wenig zu. "Ihr Haus in Kiew ist vollständig zerstört, den Rollstuhl für ihren Ehemann haben sie erst an der Grenze erhalten", sagt Lina mir später. Beide sind über 80, schätze ich. "Sie sind fest entschlossen, nach dem Krieg zurückzukehren."

Auch Tiere leiden unter Schock
Die Tiere, um die wir uns kümmern, haben ähnlich traumatische Erfahrungen gemacht wie ihre Besitzer. Viele sind erschöpft, unterkühlt, dehydriert. Manche sind so gestresst, dass sie seit Tagen nichts fressen können. Es sind viele kleine Hunde dabei, Katzen, aber auch Meerschweinchen, Kaninchen, Vögel. Die Menschen haben provisorisch gepackt: "Wir mussten innerhalb von 10 Minuten los", erzählt eine Frau, die ihre Katze in einem Pappkarton an die Grenze gebracht hat. Im Zelt können sich beide aufwärmen, ausruhen, die Katze darf sich die Beine vertreten. Wir helfen mit Transportboxen aus, schneiden alte Bettlaken zurecht, um sie über die Boxen zu hängen und die Tiere so vor Wind und Lärm zu schützen. Nie ist nichts zu tun.
Die Atmosphäre tagsüber gleicht fast einem bizarren Rummel. Außer uns sind die UN da, viele polnische Organisationen, aber auch private Helfer aus der ganzen Welt. Sie verteilen warme Suppe und Getränke, bieten Babynahrung, Windeln, Zahnpasta und mehr an. Telefonnetzanbieter stellen kostenlose Ladestationen für Smartphones und SIM-Karten zur Verfügung. Polnische Soldaten schieben Einkaufswagen mit Gepäck, tragen Taschen, bringen Kinder zum Lachen, deren Väter gerade ihr Land verteidigen. Kamerateams aus Schweden, Frankreich, Korea sind vor Ort. Jemand hat ein Peace-Zeichen mit buntem Band auf den Boden geklebt. Mit jedem Menschen, der darüber läuft, lösen sich die Umrisse Tag für Tag ein wenig mehr auf. Es gibt Gerüchte, dass Menschenhändler an der Busstation mit privaten Transporten locken.
Im Zelt ist heute viel los. Eine alte Labradordame hat Ohrenschmerzen und Fieber. Auf unserem Wärmekissen entspannt sich ein Kätzchen. Zwei der Tierretter bringen gerade einen verletzten Mops in die nahegelegene Tierklinik, der im Gedränge von einem anderen Hund gebissen worden war. Eine Familie darf ihre fünf Tiere nicht mit in die Unterkunft nehmen, ist verzweifelt. Wir organisieren die Unterbringung für eine Nacht im nächsten Tierheim. Ein Wellensittich, der bislang im Pulloverkragen seiner Halterin gereist war, darf bei uns im Camp seine Flügel ausbreiten. Als er unsere Köpfe erkundet, lacht sie laut mit uns.
Die Nachtschichten im Camp verlaufen nicht unbedingt ruhiger, nur anders. Es wird beißend kalt. Menschen sitzen in Wärmedecken gehüllt vor Feuertonnen, die Luft riecht nach Rauch. Immer wieder brechen wir die Eisschicht, die sich in den Wassernäpfchen bildet. In unserem Zelt sammeln sich mittlerweile Kartons, Sportbeutel, ein Hutkoffer – in allem waren Haustiere untergebracht. Zwei kleine Brüder tragen Schals mit demselben Muster, Männer helfen einer gestürzten älteren Dame auf die Beine. Ein Junge macht sich Sorgen um seinen Wellensittich, während seine Mutter zum Bus drängt. Wir präparieren seinen Käfig in aller Schnelle mit Hygieneeinlagen, einer Decke, geben ihm Futter mit. "Ptikh", das heißt Vogel. Um 5 Uhr 43 geht über der Ukraine die Sonne auf.
Manch einer könnte fragen, warum wir den Tieren helfen, statt den Menschen. Von den Geflüchteten und von den Helfern fragt das niemand. Eine junge Studentin steht am Stand gegenüber, sie war nach Kriegsbeginn in ihr Heimatland gereist, um den Familienhund nach Deutschland zu holen. Sie hält ihn fest im Arm. Ihre Eltern sind noch in Kiew.
Beißend kalte Nächte
Auch Tiere betrifft dieser Krieg. Und die Menschen betrifft der Krieg auch deshalb, weil er ihre Tiere betrifft. Haustiere sind Familienmitglieder, sie werden geliebt. Und sie haben selbst geliebte Bezugspersonen und ein vertrautes Zuhause zurücklassen müssen. Wir sehen uns den Hund der Studentin näher an, er habe keinen Appetit, klagt sie. Die Hautfalte in seinem Nacken bleibt lang stehen – ein Zeichen, dass er dringend Wasser braucht. Wir versorgen ihn im Zelt. "Das war knapp", murmelt ein Tierretter später.
Dann kommt mein letzter Tag. Wir haben bereits einmal verlängert. Einige von uns sind schon über drei Wochen da, schlafen kaum, wollen noch bleiben. So belastend der Einsatz auch sein mag: Das Camp zurückzulassen, fühlt sich schlechter an. Nie ist nichts zu tun, und nie ist genug getan. Wir bekommen jetzt internationale Verstärkung: Der Internationale Tierschutz-Fonds (IFAW) übernimmt die Federführung vor Ort, alle Tierretter und Tierschützer, die bislang im Einsatz waren, können vorerst nach Hause. Das Peace-Zeichen auf dem Boden sieht mittlerweile sehr mitgenommen aus.
Das Mitgefühl muss den Krieg überleben
Und doch: Während die unmittelbaren Gräuel des Krieges als nüchterne Meldungen über den Bildschirm meines Smartphones flackern, ist in dieser Zwischenstation, inmitten seiner Folgen, eine Welt lebendig, die vielleicht nicht weniger schmerzhaft ist, aber in der mehr bewahrt wird als ein reiner Überlebenswille. In der das Mitgefühl für andere nicht verloren geht, in der wir auch den kleinsten und schwächsten Mitgliedern unseres Zusammenlebens Zuflucht und Obdach geben, sie umsorgen, betrauern, nicht zurücklassen. Vielleicht ist das zugleich das Stärkste, was wir der Unmenschlichkeit des Krieges entgegensetzen können.
Als ich einen Blick zurück auf die Menschenschlange vor den Bussen werfe, entdecke ich einen Hund, der einen unserer Maulkörbe trägt. Er braucht ihn, um mit nach Przemyśl fahren zu dürfen. Dort kommen die Menschen in einem riesigen leerstehenden Supermarkt unter, erstmal. Jene mit einem konkreten Ziel reisen dann weiter, zu Verwandten oder Bekannten, nach Schweden, Deutschland, in die Niederlande. Fort. Eine alte Frau im Rollstuhl hält einen rosafarbenen Stoffhasen in der Hand. Ich muss an das echte Kaninchen denken, dass die Kollegen vor ein paar Tagen im Camp versorgt haben. Kaninchen, auf Ukrainisch heißt das "Krolyky".
Und "Trymaysia", das heißt "Bleib stark. Halte durch."