Anzeige
Anzeige

Orkan "Christian" "Die Nordsee war wie am Kochen"

Der erste Herbststurm ist über Deutschland hinweggezogen - und "Christian" hatte es in sich. Menschen starben, nie zuvor gemessene Windgeschwindigkeiten wurden registriert, der Verkehr war lahmgelegt.

Züge rollen nicht mehr, Strom fällt aus, Handys haben kein Netz. In Flensburg wird ein Mann von einem umstürzenden Baum erschlagen, in Göhle bei Oldenburg eine Frau von einer Mauer. Auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen kommen Menschen ums Leben; insgesamt sind es bis zum Abend sieben Sturmtote in Deutschland, sieben weitere in den Nachbarländern. Auf Sylt hat der Wind aus Sand und Unrat einen dicken Nebel erschaffen - Orkan "Christian" schüttelte vor allem den Norden, aber auch den Westen Deutschlands am Montag mächtig durch. Der erste schwere Herbststurm ließ den Verkehr vielerorts zusammenbrechen. In ganz Norddeutschland kam der Zugverkehr nach Angaben der Deutschen Bahn praktisch zum Erliegen; auf den Airports Düsseldorf und Hamburg mussten viele Flugzeuge am Boden bleiben. Die Rettungskräfte waren zeitweise im Dauereinsatz.

"Christian" raste mit einer Geschwindigkeit von bis zu 173 Stundenkilometern über den Norden. Dieser Spitzenwert wurde im Nordseebad St. Peter-Ording gemessen. Dort flogen sogar Strandkörbe durch die Luft. Der Wetterdienst mminternational - vormals Meteomedia - registrierte auf Helgoland sogar 191 Kilometer pro Stunde. Dies sei ein Rekord für die Nordsee und Helgoland. Deutschlands einzige Hochseeinsel war schon am Morgen vom Festland abgeschnitten. Die Reederei Cassen Eils teilte mit, dass die Verbindung zwischen der Hochseeinsel und Cuxhaven (Niedersachsen) bis Dienstag unterbrochen sei.

"Das Schlimmste ist durch"

Bei etlichen Menschen wurden Erinnerungen an den zerstörerischen Sturm "Anatol" 1999 wach. Damals seien es 180 Stundenkilometer gewesen, sagte die Sylter Bürgermeisterin, Petra Reiber, nun bis zu 160. "Das ist schon eine beängstigende Situation." Sie habe ihre eigenen Mitarbeiter angeboten, nach Hause zu gehen. Es seien Bäume, Bänke und Fahrräder umgestürzt, Dachteile herabgerissen worden, Strom ausgefallen, das Telefonnetz teilweise zusammengebrochen. "Und die Luft ist nicht mehr klar", getrübt von Sand und Unrat, "trüb wie bei Nebel, eine sehr schlechte Sicht".

Ein Monteur, der auf einer Baustelle im Zentrum von Westerland arbeitete, sagte: "Es ist schon sehr, sehr windig, oben auf dem Dach kann man gar nicht arbeiten." Es seien zwar noch Leute unterwegs, "aber längst nicht so viele wie sonst".

Alle Kräfte im Einsatz

Bei der Polizei in Schleswig-Holstein waren alle verfügbaren Kräfte im Einsatz. Mehrere hundert Hilferufe konnten laut Landespolizeiamt nur zeitverzögert bearbeitet werden. Eine Bilanz der Einsätze werde es nicht vor Dienstagmittag geben. Im nördlichsten Bundesland war der Bahnverkehr durch umgestürzte Bäume besonders stark betroffen; am Nachmittag kam der Regionalverkehr völlig zum Erliegen. Nördlich einer Linie Dortmund-Hannover-Berlin fuhren ab dem Nachmittag kaum noch Züge.

Der Autoreisezug SyltShuttle der Deutschen Bahn hatte schon am Vormittag seinen Betrieb zwischen Niebüll und Westerland komplett eingestellt. Der Betrieb der Syltfähre zwischen List auf Sylt und Havneby auf der dänischen Insel Rømø wurde ebenfalls ausgesetzt. Auch die Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.) auf der Insel Föhr ließ ihre Fähren im Hafen. Erst am Abend sollten wieder Schiffe fahren. Die Elbfähre Glückstadt-Wischhafen verkehrte ebenfalls nicht mehr.

Schulkinder hatten "sturmfrei"

Schulkinder im Kreis Nordfriesland freuten sich über "sturmfrei": Der Kreis forderte die Schulen am Mittag auf, sämtliche Schüler so schnell wie möglich nach Hause zu schicken. Auf der Hallig Hooge sagte Bürgermeister Matthias Piepgras: Es sei schlimmer als beim Orkan "Kyrill" (2007) gewesen. Eine Frau sei durch umherfliegende Gegenstände leicht verletzt worden. Der zu Hilfe gerufene Seenotrettungskreuzer konnte wegen des Sturms aber nicht anlegen. "Die Nordsee war wie am Kochen." Am Abend beruhigte sich der Sturm. Die Windstärke lag bei 8 bis 9 - "ein laues Lüftchen", sagte Piepgras.

Die Strandbar Pitschi's in Wyk auf Föhr war während des Unwetters voll. "Aber nur drinnen", sagte Besitzer Peter Schaper. Draußen habe man zurzeit keine Chance: "Im Moment weht man weg." Spazierengehen könne man nicht mehr. In den nächsten zwei Stunden komme bestimmt kein Gast mehr dazu, sagte er. "Aber es kann auch keiner gehen."

Sturmflut in Hamburg verläuft glimpflich

Am späteren Abend erinnern nur noch vereinzelte Böen an den stürmischen Tag. "Christian" zieht in Richtung Baltikum weiter. Die für das ebenfalls sturmgeplagte Hamburg angekündigte Sturmflut fiel glimpflich aus. Das Wasser stieg in St. Pauli auf 1,74 Meter über dem mittleren Hochwasser, wie ein Sprecher des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sagte.

Damit schwabbte die Elbe nur ein paar Zentimeter über die Kante. Andernorts hat "Christian" jedoch eine deutliche Spur hinterlassen. Erst bei Tageslicht wird sich das Ausmaß der Zerstörungen offenbaren.

Martina Scheffler, DPA DPA

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel