Die Ermittler in Wiesbaden sind erleichtert. Nur einen Tag nach Beginn der Öffentlichkeitsfahndung nach dem Iraker Ali B. wurde der 20-Jährige im Norden seines Heimatlandes festgenommen. Er soll die am 22. Juni verschwundene 14-jährige Schülerin Susanna aus Mainz vergewaltigt und ermordet haben und hatte sich in den Irak abgesetzt.
Die Suche nach Ali B. ist vorbei, doch die Arbeit für die Behörden geht weiter. Der stern beantwortet die wichtigsten Fragen zum weiteren Vorgehen.
Wer hat Ali B. festgenommen?
Das ist derzeit ziemlich unklar. Das Bundesinnenministerium spricht von "kurdischen Sicherheitsbehörden", die den Verdächtigen im Nordirak aufgegriffen hätten. Ali B. flog am vergangenen Wochenende nach Erbil, in die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Ob es sich den Sicherheitsbehörden um die Peschmerga, die unter anderem von Deutschland mit Waffen für den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat ausgerüstet wurde, oder um eine andere bewaffnete Einheit handelt, ist nicht bekannt. Die Festnahme sei auf Bitten der Bundespolizei erfolgt, erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer. Sie und auch die Bundeswehr bildeten in der Vergangenheit Sicherheitskräfte in der Region aus und unterhalten Kontakte dorthin. Denkbar ist, dass das Festnahmeersuchen auf dem "kurzen Dienstweg" übermittelt wurde.
Wie ist der offizielle Weg?
Die Autonome Region Kurdistan ist ein Teil des Iraks, in ihr gilt die irakische Verfassung. Mit dem Irak bestehe keine Abkommen über Unterstützung bei Rechtsfragen, teilte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums dem stern mit, ohne auf den konkreten Fall aus Wiesbaden einzugehen. Es gebe lediglich eine "Zusammenarbeit im Bereich der Rechtshilfe auf vertragsloser Basis". Demnach müsse jeder Einzelfall individuell bewertet werden, auf dem diplomatischen Wege seien folgende Schritte vorgesehen: Die zuständige Staatsanwaltschaft schickt ihr Rechtshilfeersuchen an das Bundesamt für Justiz, von dort wird es über das Auswärtige Amt der Botschaft des betreffenden Landes und von dort an die zuständigen Behörden weitergeleitet. Ob die Polizei oder Justiz dieses Staates dann tätig wird, liegt in deren Ermessen. Unklar ist auch, ob die kurdische Autonomieregierung im Fall Ali B. unabhängig von Bagdad agieren kann.
Wird Susannas mutmaßlicher Mörder ausgeliefert?
Zwar beantragte der Frankfurter Generalstaaatsanwaltschaft nach Informationen der "Bild"-Zeitung inzwischen die Auslieferung von B., dass es dazu kurzfristig kommt, ist aber eher unwahrscheinlich. Zum einen gibt es - wie beschrieben - kein Auslieferungsabkommen mit dem Irak, zum anderen ist fraglich, ob das Land einen seiner Staatsbürger überhaupt an andere Staaten ausliefert. "Ich kenne kein Land der Welt, das, auch wenn ein Auslieferungsabkommen besteht, eigene Staatsbürger ausliefert", sagte ein Zielfahnder der "Süddeutschen Zeitung". Auch Deutsche dürfen laut Grundgesetz nur in einigen Ausnahmefällen aus der Bundesrepublik an EU-Mitgliedsstaaten ausgeliefert werden.
"Wir haben wenig Erfahrung, wie sich der Irak in so einer Lage verhält", sagte eine Sprecherin der im Fall Susanna verantwortlichen Staatsanwaltschaft in Wiesbaden. Der stern erfuhr aus Justiz- und Polizeikreisen in Hessen, dass man eine Auslieferung des Tatverdächtigen an Deutschland für "sehr, sehr schwierig" halte.
Kann Ali B. im Irak der Prozess gemacht werden?
Theoretisch ja. Rechtlich und damit praktisch eher nein. Denn auch das müssten die deutschen Behörden über den vom Sprecher des Bundesjustizministerium erklärten Weg beantragen und die Ermittlungsakten zu Ali B. zur Verfügung stellen. Doch es gibt ein entscheidendes Hindernis: "Im Irak droht ihm die Todesstrafe. Wir können daher keinen Strafverfolgungsantrag stellen", sagte die Sprecherin der Wiesbadener Staatsanwaltschaft. Eine Hintertür gibt es: Die Bundesregierung könnte sich von den irakischen Behörden garantieren lassen, dass dem Verdächtigen keine Menschenrechtsverletzungen oder die Hinrichtung drohen, so der Sprecher des Justizministeriums. Ob sich der Irak dann an die Abmachung hält, kann wiederum niemand garantieren. Möglicherweise können irakische oder kurdische Sicherheitsbehörden auch von sich aus Ermittlungen aufnehmen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer erklärte nach der Festnahme, es sei für die "staatliche Gemeinschaft" wichtig, "dass auf ein so furchtbares Verbrechen dann möglicherweise auch die Sühne kommt". Ein Wunsch, dessen Erfüllung kompliziert ist. Vorher ist vor allem im Auswärtigen Amt jede Menge Diplomatie erforderlich - oder der "kurze Dienstweg" mit den kurdischen Behörden gefragt.
