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Tod nach Sadomaso-Sex Schneewittchen und ihr schwarzer Prinz

Sie hatten ihre bizarren Sehnsüchte im Netz ausgetauscht, ein Sadomaso-Szenario verfasst. Bei ihrem ersten Treffen erwürgte Michael F. die Gespielin - ein Unfall, sagt der angesehene Wissenschaftler. Jetzt aber steht er wegen Mordes vor Gericht.
Von Dieter Krause und Werner Mathes

An jenem Wochenende im Juli sollte es endlich passieren. Sie hatten sich übers Internet kennengelernt, wochenlang miteinander gechattet und ihre erotischen Fantasien und Sehnsüchte ausgetauscht. "Was ich am liebsten tun würde?", fragte er einmal. "Dich überraschend nehmen. Dich wehrlos machen. Fesseln. Dir die Augen verbinden." Sie antwortete: "Ich liebe es, die Augen verbunden zu bekommen." Schrieb weiter: "Hm. Musst du dir Augenbinden mitnehmen." Und konnte es kaum erwarten: "Ich freu mich aufs Wochenende irgendwie." Sie zählten die Tage und träumten von himmlischen Nächten.

Aber es war nicht der Himmel, der sie erwartete, sondern die Hölle.

Am 28. Juli vergangenen Jahres fand die Polizei gegen zwölf Uhr mittags die unbekleidete Leiche der 20-jährigen Anja P. im Obergeschoss eines Ferienhauses in Beelitz-Heilstätten, südwestlich von Potsdam. Die junge Frau war erwürgt worden. Kurz zuvor hatte man den mutmaßlichen Täter Michael F., 38, verwirrt und angetrunken in einem nahe gelegenen Waldstück entdeckt. Sein Handy war geortet worden, nachdem er mehrere Bekannte über ein Unglück informiert hatte, bei dem seine Freundin ums Leben gekommen sei - nun wolle auch er sterben. "Es hat doch so gut angefangen", stammelte er im Streifenwagen, "sie hat mich verstanden, ich habe sie verstanden." Und heulte: "Ich habe sie doch so geliebt - jetzt ist sie tot."

30 Sekunden lang gewürgt

Wegen Mordes und Störung der Totenruhe muss sich Michael F. nun vor dem Landgericht Potsdam verantworten. Dem aus Mainz stammenden Paläontologen wird vorgeworfen, die junge Frau beim Sex mindestens 30 Sekunden lang gewürgt zu haben, um seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen. Nach ihrem gewaltsamen Tod soll er sich noch an ihrem Leichnam vergangen haben.

In diesem Prozess wird es vor allem darum gehen, ob Michael F. die junge Anja P. tatsächlich vorsätzlich umgebracht hat, wovon die Anklage überzeugt ist - oder ob sie bei einem riskanten erotischen Rollenspiel unbeabsichtigt gestorben ist, wie F. und sein Potsdamer Anwalt Matthias Schöneburg es darstellen. "Sie hatten sich einvernehmlich darauf geeinigt, dass er sie würgt", behauptet Schöneburg, "aber dann ist das aus dem Ruder gelaufen - ihren Tod hat mein Mandant nicht gewollt."

Das Gericht wird deshalb genauestens die Umstände dieses Todesfalls prüfen müssen. Es wird sich mit einer illustren Szene aus Hobbyfotografen und -models beschäftigen müssen, für die das teilweise verfallene Architekturensemble der ehemaligen Lungenheilstätten eine beliebte Motivkulisse geworden ist. Wo sich vor allem Mitglieder der Gothic-Community treffen mit ihrer Faszination für alles Dunkle und Morbide, aber auch "Geocacher", die mit GPS-Geräten auf moderne Schnitzeljagden gehen, oder Geisterjäger, die in den leeren Hallen und unterirdischen Katakomben die Stimmen Verstorbener hören wollen.

Außergewöhnliche Sexpraktiken

Man wird sich mit außergewöhnlichen Sexpraktiken auseinandersetzen müssen - nicht nur mit Leder- und Stiefelfetischismus, sondern auch mit Atemreduktion, bei der durch Strangulationstechniken rauschhafte Orgasmen provoziert werden sollen. Mit einer fremden Welt also, in der die angehende Speditionskauffrau aus Zossen und der angesehene Projektleiter am renommierten Senckenberg-Museum in Frankfurt am Main immer wieder eingetaucht sind, um zu suchen, was sie im bürgerlichen Leben offenbar nicht fanden.

Nach den wochenlangen Chats im Internet standen sie sich zum ersten Mal am späten Nachmittag des 26. Juli gegenüber, auf dem Parkplatz eines der ehemaligen Pförtnerhäuser der Heilstätten, in dem F. eine kleine Ferienwohnung angemietet hatte. Anja P. war besudelt mit Kunstblut. Sie hatte an diesem Samstag gerade ein "Splatter-Shooting" auf dem Gelände hinter sich, eine Fotosession mit zwei anderen Models für einen befreundeten Fetischfotografen. In der Szene war Anja P. als "Nesthel" bekannt, Michael F. fotografierte dort als "Cly Bawn".

Nachdem sie geduscht hatte, kehrten die beiden zum Ort der Fotosession zurück - nach Zeugenaussagen bereits vertraut und verschmust. "Ich und Anja haben uns da schon das erste Mal berührt", wird F. später zu Protokoll geben, "wir mussten uns zusammenreißen, wir wollten ja die Spannung halten." Er zeigte ihr noch einen verwahrlosten alten Theatersaal, wo er sie am nächsten Tag fotografieren wollte.

Halsband und Nachthemd

Im Schlafzimmer der Ferienwohnung legte sie dann, so F. später, ihr ledernes Halsband mit dem silbernen Ring um und zog sich ein weißes Nachthemd an, das er bei H&M besorgt hatte. Auf dem Doppelbett band er ihr ein Tuch um die Augen. "Wir küssten uns, und wir kratzten uns gegenseitig." Es habe sie sehr erregt, als er sie in den Hals biss und ein wenig an ihrem Lederband zog: "Sie hat sich dann von sich aus gegen das Halsband gestemmt."

Und dann habe sie ihm ihre Fantasien offenbart. "Sie wollte entführt und vergewaltigt werden", sagte F. seinen Vernehmern. "Sie meinte, dass ich dann morgen früh über sie herfallen und so tun solle, als wenn ich sie umbringe." Dass sie im Bett mit einer Pfanne auf den Kopf geschlagen und dann gewürgt werden wollte. Sie vereinbarten, wie es bei solchen Praktiken üblich ist, ein Alarmsignal: Wenn sie dreimal mit der Hand aufschlagen würde, müsste er aufhören. "Danach sollte ich ihr das Kleid aufschneiden und sie vergewaltigen, also mit ihr schlafen."

Mit Atemreduktionen hatte er schon vorher Erfahrungen gemacht, mit verschiedenen Sexualpartnerinnen. Hatte sich in Internetforen über Techniken und Risiken informiert und von einer verantwortbaren Zeitspanne von 30 Sekunden gelesen. A m nächsten Morgen soll dieses Rollenspiel dann wie verabredet inszeniert worden sein. Nachdem er sich frisch gemacht hatte, schlich Michael F. mit einer Bratpfanne aus der Küche zum Bett, auf dem Anja P. lag, mit dem Gesicht zum Fenster. Er versetzte ihr nach eigenen Angaben einen leichten Schlag auf die linke Kopfseite und begann, ihr den Hals zuzudrücken. Wobei er darauf geachtet haben will, nicht an den Kehlkopf zu kommen. Er zählte bis 30, ließ los. "Am Anfang hat sie noch gestrampelt, dann nicht mehr."

Sie rührte sich nicht mehr

Er habe ihr dann das Hemd aufgeschnitten, teilweise aufgerissen, und mit ihr verkehrt. Anja P. rührte sich nicht mehr. "Ich dachte, das gehört noch dazu, dass sie nichts sagt, und das wäre noch das Spiel." Er schüttelte sie, nahm sie aus dem Bett und zerrte sie auf den Fußboden. Probierte immer wieder Mund-zu-Mund-Beatmung, auch eine Herzdruckmassage. Aber da war die Frau offenbar schon tot. Er legte sie aufs Bett zurück und deckte sie zu.

Die Staatsanwaltschaft geht allerdings von einem anderen Tatablauf aus. Nach deren Version soll es aus nicht bekannten Gründen zu einem Streit gekommen sein - möglicherweise deshalb, weil Anja P. wegen einer chronischen Blasenentzündung nicht mit Michael F. schlafen wollte. Für einen Streit spreche auch, dass der Schlag mit der Pfanne kräftiger gewesen sein muss, als von F. eingeräumt - weil die Rechtsmediziner nach der Obduktion der Leiche sogar eine dadurch verursachte Bewusstseinstrübung nicht ausschließen mochten. Eine weitere Kopfverletzung und mehrere Hämatome deuteten zudem darauf hin, dass F. die Frau hart angefasst und überwältigt haben muss. Verletzungen, die allerdings auch durch panisches Hin- und Herwuchten des leblosen Körpers entstanden sein könnten.

Für die Anklage steht fest, dass F. die Frau vorsätzlich getötet und anschließend den Leichnam sexuell missbraucht hat. Er soll noch einmal mit der Toten den Geschlechtsverkehr ausgeübt, sie sogar mit dem Pfannenstiel traktiert haben. Zwischen dem Tod des Mädchens und der Entdeckung der Leiche vergingen rund 24 Stunden.

Versuchter Selbstmord

In dieser Zeit, behauptet der beschuldigte Michael F., sei er verstört und verzweifelt gewesen, habe sich betrunken und mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen. Habe sich eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, um zu ersticken, habe versucht, sich mit Schnürsenkeln am Bett aufzuhängen. Dazwischen sei er immer wieder eingeschlafen.

Dass er der Leiche den Pfannenstiel eingeführt haben soll, bestreitet F. vehement. Er gibt aber zu, dass er mit der Toten noch einmal verkehren wollte, was aber misslungen sei. Dazu habe ihn eine Szene aus einem seiner Lieblingsbücher inspiriert, "Der englische Patient" von Michael Ondaatje: "Da lässt Graf Almásy seine Geliebte Katherine Clifton nach einem Flugzeugabsturz schwer verletzt in einer Höhle in der Wüste zurück - als er zurückkommt, ist sie jedoch gestorben, doch liebt er sie ein letztes Mal, bevor er sie beerdigt." In handschriftlichen Notizen, die Michael F. in der Untersuchungshaft verfasste, heißt es weiter dazu, es sei ihm nicht um Sex gegangen, sondern um eine Art Abschied, bevor er sich selbst umbringen wollte.

Als man F. am späten Vormittag des 28. Juli im Wald fand, brachte ihn die Polizei nach einer kurzen Befragung zunächst in der psychiatrischen Abteilung der Landesklinik Brandenburg unter. Am nächsten Tag kam es zu einer ersten Vernehmung, nach der er wieder auf freien Fuß gesetzt wurde - F., dem man zu diesem Zeitpunkt die Version eines tragischen Unfalls glaubte, ließ sich wegen seines Zustands wieder in die Psychiatrie zurückbringen.

Nachgestellte Tötungen im Computer

Erst nach der Durchsuchung seiner Mainzer Wohnung, in der die Polizei auf einem Computer Tausende Bilddateien und Hunderte Videoclips mit nachgestellten Tötungen und Misshandlungen von Frauen und eine Textdatei mit dem Titel "Es war ein lauer Sommerabend" sichergestellt hatte, nahm man F. in U-Haft.

In der "Sommerabend"-Geschichte wird ein düsteres Sadomaso-Szenario zwischen einem Mann und einer Frau in einer Ruinenlandschaft gesponnen, eine Story, in der am Schluss die "Sub" vom "Dom" erdrosselt wird. "Dom" steht in der SM-Szene für den dominanten, "Sub" für den unterwürfigen Partner. Zitat aus dem Text: "Schneewittchen, es ist zwecklos, Dich zu wehren, Du bist ganz in meiner Hand. (…) Ich werde Dein schwarzer Prinz sein, der Dich befreit von dem, was Dich quält."

Nach Darstellung von Michael F. habe er den "Sommerabend" zusammen mit Anja P. verfasst - entstanden aus ihren erotischen Fantasien, die sie übers Netz ausgetauscht hätten. Die Bild- und Videodateien will er aus reinem Archivwahn heruntergeladen haben, "ohne dass ich die Dateien im Detail angeschaut habe". Er habe lediglich Motivanregungen für seine Fototouren gesucht.

Bizarres Doppelleben

Welche Leidenschaften trieben diesen Mann in sein bizarres Doppelleben? Auf der einen Seite ein hoch qualifizierter Wissenschaftler, der die Tierwelt längst vergangener Epochen erforschte und seine Doktorarbeit über die Kiefermechanik der Flugsaurier geschrieben hatte, aktiv in seiner Kirchengemeinde mitwirkte, kaum Alkohol trank und nicht rauchte. Auf der anderen ein wundersamer Freak, fasziniert von Plateaustiefeln, weiblichen Beinen und Füßen, der Fessel- und Kettenspiele und das schwarze Outfit der Gruftis mochte. Was er vor allem in der Gothic- und Sadomaso-Szene fand, wo er auf Sites wie sklavenzentrale. com oder schwarzesglueck.de surfte, der Singlebörse für die "Kinder der Nacht". Er selbst, sagt Michael F., habe keine ausgeprägten sadomasochistischen Neigungen - er erlebe höchsten Lustgewinn vor allem aus der Lust seiner Sexualpartnerinnen.

In der U-Haft ist F. von einem Berliner Sachverständigen forensisch-psychiatrisch begutachtet worden. Auch dessen Befund, der den Beschuldigten eher entlastet, werden die Richter zu bewerten haben, bevor sie ihr Urteil sprechen. Wegen Mordes - oder aber wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung mit Todesfolge. Für Michael F. steht aber jetzt schon fest: "Keine Strafe kann der Schuld am Tod eines Menschen gerecht werden, das ist unentschuldbar, unverzeihlich."

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