Ukraine-Konflikt "Danke für die Helme": Was Ukrainer in Deutschland über den Konflikt mit Russland denken

Demonstranten bei einer Anti-Putin-Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Demonstranten bei einer Anti-Putin-Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin
© Jakub Podkowiak / Picture Alliance
145.000 Ukrainer leben in Deutschland. Der Krieg in der alten Heimat lässt sie nicht los. Viele von ihnen schauen mit Sorge gen Osten. Doch die Bedrohung ist für einige schon zur Gewohnheit geworden.

Yaroslav, Andrii und Diana kennen sich aus Charkiw. Seit 2018 haben die drei Ukrainer zusammen die Bar "Space Meduza" in Berlin-Kreuzberg. Noch am Sonntag waren sie am Brandenburger Tor bei einer Demo mit dem sarkastischen Motto "Danke für die Helme". An diesem Abend nun läuft in ihrer Kneipe an der Skalitzer Straße ein Solidaritätskonzert für die Ukraine. "Ich versuche, keine Nachrichten zu lesen", sagt Andrii. "Aber sie verfolgen einen natürlich."

Der gigantische Aufmarsch russischer Truppen an den Grenzen zur Ukraine, die Warnungen der Nato vor einem neuen Krieg in Europa, die Angst um Verwandte und Freunde: Für viele der offiziell rund 145.000 Ukrainer in Deutschland dreht sich im Moment fast alles um die alte Heimat. Viele suchen Rat und Stütze beieinander, viele versuchen zu helfen. Und viele kritisieren die deutsche Politik, die der Ukraine zwar Geld schickt und 5000 Militärhelme, aber keine Waffen.

Wenn die Bedrohung zur Gewohnheit wird

Dass die Welt nun aufgeschreckt ist, sehen viele Ukrainer immerhin als Fortschritt, denn lange fühlten sie sich mit den Kämpfen um die Separatistengebiete Luhansk und Donezk ignoriert. "Wir hören fast jeden Tag davon, dass ein oder zwei Menschen getötet wurden, der Krieg hat ja seit 2014 nicht aufgehört", sagt Yaroslav. Deshalb seien auch einige Ukrainer scheinbar ruhiger als westliche Regierungen: Sie lebten seit acht Jahren mit der Bedrohung.

Seine alte Heimat Charkiw liegt nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Ob der russische Präsident Wladimir Putin wirklich eine Invasion der Ukraine will? "So wie ich das sehe, spielt Herr Putin mit maximalem Einsatz beim Poker, um die Spannungen immer höher zu schrauben", sagt Yaroslav. "Ich hoffe, sie finden einen Ausweg." Seit Dienstag scheint es ja Anzeichen dafür zu geben. Russland selbst sprach von einem Truppenrückzug nach einem Manöver, auch der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bei Putin stiftete leise Zuversicht. Die Anspannung ist für die Ukraine jedoch längst nicht vorbei.

Yaroslav ist eigentlich Rockmusiker und kam 2015 nach Deutschland. "Ich bin mit meiner Frau und meinem Kind nach Berlin gezogen, weil wir diese wunderbare Stadt besucht und uns in Berlin verliebt haben", sagt der 34-jährige Barbesitzer mit schulterlangem Haar und rotem Kapuzenpulli. "Wir sind nicht als Flüchtlinge hier, sondern weil wir hier beruflich tätig sind und mehr Möglichkeiten sehen." Seine Frau fand als IT-Fachfrau leicht Arbeit, und so bekam die ganze Familie auch schnell ein Aufenthaltsrecht.

Furcht vor einer neuen Flüchtlingskrise

Dass Ukrainer seit 2015 bis zu 90 Tage ohne Visum in die Europäische Union reisen dürfen, nennt Yaroslav ein "tektonisches Ereignis". Das ganze Land sei so an die EU herangerückt, Menschen reisten einfach hin und her. Sollte Russland jedoch wirklich einen Angriff auf die Ukraine starten, sähe alles sofort anders aus, erwartet der junge Mann. "Daran will ich gar nicht denken. Im Fall einer Invasion gäbe es unglaublich viele Flüchtlinge. Das ist ein weiterer Grund, warum Deutschland jetzt helfen sollte, sonst gäbe es eine neue große Flüchtlingskrise." Polen hat sich schon auf den Fall vorbereitet, die Bundesregierung wiegelt vorerst ab. Das Innenministerium betonte am Montag, es gebe "keine Anhaltspunkte für Flüchtlingsbewegungen". Noch bricht wohl kaum einer auf, aber das Thema liegt auf der Hand.

Yaroslavs Geschäftspartnerin Diana jedenfalls erzählt: "Ich bekomme Nachrichten von Freunden: Diana, kannst du mir deine genaue derzeitige Adresse in Europa geben, denn vielleicht müssen wir morgen fliegen und irgendwo unterkommen. Dass es zum Äußersten kommt, daran will Diana nicht denken. "Ich kann einfach nicht glauben, dass sie uns das antun", sagt die 29-Jährige. "Die sollen sich verpissen." Die lebhafte junge Frau mit der großen Brille und den dunklen Locken ist mit Andrii verheiratet. Andrii wiederum spielt mit Yaroslav in einer Band namens Andrew Bear. Alle drei zusammen haben die Bar, die eigentlich Stand-up Comedy bieten will und in der nun ein belarussisches Frauentrio aus Solidarität mit der Ukraine singt. In dem halbdunklen Lokal mit glitzernd bemalten Wänden ist scheinbar die halbe ukrainische Community Berlins versammelt. Es ist ein eng geknüpftes Netzwerk von jungen Leuten, die vielleicht lieber zusammen feiern würden, aber der Tragik ihres Landes nicht entkommen.

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Deutschland habe zu lange weg gesehen

Marina Bondas ist längst Deutsche, sie kam vor 30 Jahren als Kind jüdischer Kontingentflüchtlinge aus Kiew. Aber als der Konflikt um die Ukraine 2014 losging, spann die Berliner Violinistin neue Fäden in die alte Heimat. Im Kriegsgebiet im Osten des Landes spielte sie in Ruinen. Und sie gründete das Projekt "Musik rettet", das inzwischen etwa 140 Kinder jeweils für einige Wochen in den Ferien nach Deutschland holte.

Die 42-Jährige vertraut auf die Kraft von Kunst und Musik, aber sie formuliert auch klare politische Botschaften. Deutschland und die EU hätten lange die Augen verschlossen und immer nur halbherzig auf russische Drohungen reagiert, sagt die Musikerin am Telefon. "Das ist zu wenig." Harte wirtschaftliche Sanktionen, Konten und Immobiliengewinne sperren, Geschäftsbeziehungen unterbinden: "Europa und die Welt haben die Druckmittel", meint Bondas. "Das würde schon etwas bringen. Das wäre der Ausweg aus dem Krieg."

dpa
yks / Verena Schmitt-Roschmann

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