Mit einem Pegelstand von null Zentimetern hat der Rhein erst im August 2022 einen historischen Tiefstwert erreicht. Könnte sich das in diesem Jahr wiederholen? Nach Einschätzung von Klimatologen und Meteorologen lässt sich das nur schwer vorhersagen. Fest steht aber: Wasserknappheit ist ein Trend – auch im Winter. Anfang März sank der Rheinpegel auf 1,75 Meter ab. Ein noch tieferer Wasserstand war zuletzt 1971 gemessen worden.
Um Deutschland herum sieht es kaum besser aus. In Italien ist das Wasser knapp, die Regierung plant eine Kampagne, um die Bürger fürs Wassersparen zu sensibilisieren. Dramatisch die Lage auch in Frankreich: 30 Tage am Stück hat es dort nicht geregnet. Zudem ist das Land noch von der Dürre aus dem letzten Jahr ausgezehrt. Die Böden sind entsprechend trocken, die Wasserreserven des Landes bedroht, in einigen Regionen wurden bereits Maßnahmen ergriffen. Gärten oder Sportstadien zu bewässern und Autos zu waschen, ist in einigen Regionen tabu – und das im Winter, einer eigentlich niederschlagsreichen Jahreszeit.
Winterdürre ist ein Begriff, der in diesem Zusammenhang zuletzt häufig durch die Nachrichtenwelt geisterte. Andreas Marx, Leiter des Deutschen Dürre-Monitors am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, hält sie für ein Modewort. Denn das würde bedeuten, dass die Trockenheit nur in den Wintermonaten von Dezember bis Februar dauert. "Und das zeigt unser deutsches Unverständnis für langandauernde Dürreereignisse", sagt Marx dem stern.
Unbestritten ist zwar, dass die letzten Monate zu warm und zu trocken waren. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) spricht vom zwölften warmen Winter in Folge, mit einem durchschnittlichen Temperaturplus von knapp drei Grad im Vergleich zu den Jahren 1961 bis 1990. Zudem spricht der DWD von einem Schneemangel.
Dürren lassen sich wissenschaftlich kaum vorhersagen
Sind Dürre und niedrige Wasserpegel damit der neue Normalzustand in Deutschland und Europa? "Nein", sagt Marx. "Wir wissen seit 15 Jahren durch Klimasimulationen, dass Deutschland durch den Klimawandel nicht austrocknen wird." Zwar werde die Temperatur in der Bundesrepublik steigen, Deutschland "Ende des Jahrhunderts immer noch ein wasserreiches Land sein".
Die aktuelle Trockenheit ist laut Marx kein Extremereignis wie etwa Hitze, Stürme, Hochwasser – Ereignisse, die von wenigen Stunden, über einige Tage bis Wochen anhalten. "Dürren können über Jahre anhalten", erklärt Marx. In einigen Regionen Deutschlands ist es seit 2018 dauerhaft zu trocken, zeigen Karten des Deutschen Dürre-Monitors. Mittlerweile gibt es fast keinen Teil der Bundesrepublik mehr, der nicht betroffen ist. Aber je nach Region fällt die Trockenheit unterschiedlich stark aus.
Und es macht auch einen Unterschied, wie tief die Trockenheit reicht. Im Winter sei es wegen des sonst häufigen Niederschlags normal, dass "die Böden bis zu einer Tiefe von einem halben Meter patschnass sind", sagt Marx. Das sei auch in diesem Jahr nicht das Problem. Zwar hat unter anderem das Bayerische Landesamt für Umwelt vor Dürren und gefährdeten Ernteerträgen in diesem Jahr gewarnt. Marx hält das aber für Spekulationen.
Wissenschaftlich seien Dürre-Vorhersagen praktisch unmöglich. Der April in den Jahren 2014 und 2021 war auch trocken gewesen, Landwirte warnten damals vor einem schwierigen Jahr für die Ernte. "Dann hat es aber in den Folgemonaten normal geregnet, es gab keine ausgeprägten Hitzewellen und die Landwirtschaft brachte überdurchschnittliche Erträge."
Das könne auch dieses Jahr wieder passieren. "Wenn es normal regnet und der Boden normal nass wird, können die landwirtschaftlichen Pflanzen sehr gut wachsen", sagt Marx.
Zum Stresstest könnte der Sommer dagegen für die Bäume werden. Die vergangenen fünf Jahre seien insgesamt zu trocken gewesen, das zeigt sich auch in den tieferen Erdregionen unterhalb von einem halben Meter – dort, wo Bäume mit ihren Wurzeln verankert sind. Diese permanente Trockenheit im Gesamtboden habe dazu beigetagen, zuletzt 500.000 Bäume verloren gegangen sind. Ob sich die Lage entspannt, hängt laut Marx von Temperatur und Niederschlag der kommenden Monaten ab.
2023 könnte ein weiteres Hitzejahr werden
Zwar lässt sich beides nur schwer vorhersagen. Meteorologen gehen aber davon aus, dass auch 2023 wieder Temperaturrekorde gebrochen werden könnten. Grund dafür ist aber nicht nur der Klimawandel, sondern auch das wiederkehrende Wetterphänomen El Niño vor der Westküste Lateinamerikas. Es taucht alle paar Jahre auf und kann die globalen Temperaturen zusätzlich in die Höhe treiben.
El Niño und sein Gegenstück La Niña begünstigen Extremwetter in verschiedenen Weltregionen. El Niño umschreibt die Erwärmung des Oberflächenwassers im östlichen Pazifik und weltweit veränderte Luft-und Wasserströmungen. Es bringt meist starke Trockenheit in Australien, Teilen Afrikas und Südamerikas und heftige Niederschläge etwa an der amerikanischen Pazifikküste bis nach Kalifornien mit sich. La Niña gilt als Kaltphase, in der die Strömung die Erwärmung über die Sonneneinstrahlung in tiefe Gewässer des Westpazifiks führt, wo sie gespeichert wird.
In den letzten drei Jahren wurde die globale Erderwärmung von La Niña abgeschwächt. Jetzt mehren sich die Anzeichen für einen El Niño. Laut Weltwetterorganisation (WMO) lag die Wahrscheinlichkeit für dieses Jahr zuletzt bei 55 Prozent. 2016 war das Jahr mit der höchsten Durchschnittstemperatur seit der Industrialisierung. Sie lag etwa 1,3 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850-1900). Es war nach Angaben der WMO von einem El Niño geprägt. Dieses Jahr könnte es wieder soweit sein. Die Wahrscheinlichkeit für ein heißes und trockenes Jahr 2023 ist zumindest da – und könnte die globale Erderwärmung verschärfen.
Marx bleibt dennoch optimistisch. Zwar bringe der Klimawandel Veränderungen, an die man sich anpassen müsse. "Trotzdem müssen wir zukünftig sowohl auf trockenere Sommer als auch auf mehrjährige Dürrephasen besser vorbereitet sein." Juli bis September bleiben demnach kritische Monate – genaue Vorhersagen aber mindestens spekulativ.
Quellen: Dürre-Monitor des Helmholtz-Institut, "Kölner Stadt-Anzeiger", "The Guardian", "Bayerisches Wochenblatt", mit Material von DPA und AFP