Als man die Kundschafterin Albina Alexandrowna 30 Jahre nach dem Krieg fragte, wie sie ihre erste Auszeichnung in der Roten Armee verdiente, antwortete sie: "Unsere Schützenkette liegt platt auf dem Boden. Dann kommt das Kommando: 'Vorwärts, für die Heimat!' Keiner rührt sich. Noch einmal der Ruf, und wieder nichts." Da riss sie sich die Mütze vom Kopf, damit die Männer sahen, dass sie eine Frau war. "Dann sprang ich auf. Da kamen alle hoch, und wir griffen an."
Viele Staaten setzten im Zweiten Weltkrieg Frauen ein – aber nur ein einziges Land in der kämpfenden Truppe und in der ersten Linie. Die traditionelle Frauenrolle galt schon vor dem Krieg wenig in der UdSSR, Frauen in Männerberufen wurden gefeiert und nicht verhindert. Mit dem Beginn des Krieges und den fürchterlichen Verlusten der Roten Armee rückten dann Frauen ein. Insgesamt dienten über eine Million Frauen in der Roten Armee. In Sanitätsberufen konnten sie eingezogen werden, doch die meisten meldeten sich freiwillig, ganze Züge junger Mädchen fuhren an die Front. Viele rissen zu Hause aus, andere fälschten das Geburtsdatum in den Papieren. Gegen den Willen ihrer Eltern ging etwa Evgenia Sapronova zur Armee: "Ich lebte nur für eine Sache. An die Front! An die Front. Diese Poster, die wir heute im Museum sehen – "Das Mutterland ruft dich!" "Was hast du für die Front getan!" – haben mich damals tief berührt."
Das Vergessen nach dem Krieg
Sie wurden geehrt und gefeiert, doch nach dem Krieg senkte sich ein großes Vergessen über die Heldinnen. Es wurde nicht vom Kreml verordnet, es gab vielschichtige Gründe. Nach dem Tod Stalins normalisierte sich vieles in der UdSSR, die Not der Nachkriegszeit verschwand. Wenn man so will, erlebte die UdSSR eine ähnliche Periode wie die BRD in den Fünfzigern, die Normalität kehrte wieder. Die Soldatinnen tauschten die Uniform gegen Kleider und versteckten ihre Narben.
Meisterin der Oral History
Erst in den 1970er-Jahren sammelte die spätere Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch die Stimmen dieser Frauen in unzähligen Interviews. Heute gehört Alexijewitsch zur Opposition in Minsk und musste das Land aus Angst vor Repressalien verlassen. Die Frauen erzählten ihr von Heldentum, vom Hass auf die Deutschen, aber mehr noch von Angst und einer großen Müdigkeit. Und dem Wunsch, den Krieg zu vergessen. "Ich musste lernen, wieder zärtlich zu sein. Schwach und zerbrechlich zu sein. Aber meine Füße waren an Stiefel der Größe 10 gewöhnt", erinnerte sich eine Scharfschützin an die Wiederaufnahme des zivilen Lebens.
Der Kriegsheld Wassili Korzh kannte den Geist der Zeit besser als seine Töchter, die auch im Krieg dienten. Er half den Schwestern, die gemeinsam mit Kosaken gekämpft hatten, auf diese Weise ins Zivilleben: "Er nahm unsere Medaillen, Orden, offiziellen Anerkennungen, legte alles weg und sagte: 'Es gab einen Krieg, ihr habt gekämpft. Jetzt vergiss es [...] Zieht euch ein paar schöne Schuhe an. Ihr seid beide schöne Mädchen ... Ihr solltet studieren, ihr solltet heiraten". Ein Soldat gestand Alexijewitsch, dass die Frauen – "unsere lieben Mädel" - an der Front alle hochanständig waren. "Doch nach all dem Schmutz, den Läusen, nach all den Leiden und den Toten verlangte es einen nach etwas Schönem. Nach schönen Frauen." Nach dem Krieg versteckten manche Frauen die Orden und die Uniform, denn die Frontfrauen galten als Huren, von denen niemand wisse, was sie da vorn getrieben hätten. Und tatsächlich gab es informelle Kriegsehen mit verheirateten Männern.
Der Krieg ist nicht weiblich
Alexijewitsch nannte ihr Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht". Anders als die Männer verstanden die Veteraninnen ihre Zeit an der Front als unnatürliche Episode. Eine Zeit, in der sie gezwungen waren, Dinge zu tun, die sie als Frau eigentlich nicht tun sollten. Vor dem Tod hatten sie keine Angst, doch alle fürchteten mit zerschmettertem, entstelltem Gesicht zu sterben, und versuchen es unter Beschuss möglichst zu schützen.
"Es gab später niemanden, dem ich sagen konnte, dass ich verwundet wurde", erzählte eine ehemalige Kommandeurin. "Versuchen Sie, so etwas zu erzählen, und wer wird Ihnen dann eine Arbeit geben, wer wird Sie heiraten? Wir schwiegen wie die Fische." Zwei männliche Veteranen, die sie zufällig in einem Zug traf, verrieten Alexijewitsch das Dilemma der Nachkriegszeit. "Das waren mutige, außergewöhnliche Mädchen", so der eine. Das Problem, sie waren alle Kameraden. "Wie konnte ich schlecht über die Mädchen denken? Aber könnten Sie Ihren Bruder heiraten? Es waren eben unsere Schwestern." Eine Veteranin erzählte ihr verbittert, dass ihr Mann sie verlassen hatte. Der gleiche Mann, den sie aus dem Niemandsland aus dem deutschen Feuer gezogen hatte. Weil er, wie alle anderen, den Krieg vergessen wollte und sie immer noch nach Pulver und Karbid riechen würde.
Auch die berühmteste Scharfschützin der Welt, Lyudmila Pavlichenko, fand nie zurück ins Leben. Sie litt unter den missgünstigen Gerüchten, dass ihre Heldentaten nur Kriegspropaganda gewesen seien. Ihre Kopfverletzungen heilten nie ganz, schließlich wurde sie taub. Pavlichenko litt offenkundig unter posttraumatischen Störungen, doch in den 1950er-Jahren gab es so etwas offiziell nicht. Sie begann zu trinken und heiratete nie wieder.
Aus den Erzählungen
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Maria Smirnova, Sanitäterin
"Wie ist es, einen Verwundeten vom Schlachtfeld zu holen? Wir sind in den Angriff gegangen, und sie haben uns mit Maschinengewehren niedergemäht. Das ganze Bataillon weg. Alle lagen dort. Die unsrigen wurden nicht alle getötet, viele waren verwundet. Die Deutschen schießen weiter, das Feuer ist nicht aufzuhalten. Völlig unerwartet, springt erst ein Mädchen aus dem Graben, dann das zweite, dritte ... Sie begannen, die Verwundeten zu verbinden und wegzuziehen. Sogar die Deutschen waren für eine Weile vor Erstaunen wie betäubt. Gegen zehn Uhr abends waren alle Frauen schwer verletzt, und jede rettete zwei oder drei Menschen.(...)
Orden wurden sparsam vergeben. Zu Beginn des Krieges wurden die Auszeichnungen nicht verstreut. Es war notwendig, den Verwundeten mitsamt seiner persönlichen Waffe herauszuziehen. Die erste Frage: Wo sind die Waffen? Ein Gewehr, ein Maschinengewehr, ein Maschinengewehr - es musste auch geschleppt werden.
Ein Befehl für die Rettung des Lebens von Soldaten lautete: Für fünfzehn Schwerverletzte vom Schlachtfeld gezogen, zusammen mit der persönlichen Waffe, gibt es die Medaille "Für militärische Dienste", für die Rettung von fünfundzwanzig Menschen - der Orden vom "Roten Stern", für die Rettung von vierzig – den "Roten Banner"-Orden, für die Rettung von achtzig – den "Lenin"-Orden. Ich habe Ihnen beschrieben, was es hieß, im Kampf nur einen ... vor den Kugeln zu retten..."
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Klawdia Grigorjewna Krochina, Obersergeant, Scharfschützin
"Wir gingen in Deckung, und ich gab Obacht. Da sehe ich: Ein Deutscher hat sich aufgerichtet. Ich zog ab, und er fiel um. Da hat es mich mächtig geschüttelt. Ich heulte los. Auf Zielscheiben schießen, das machte mir nichts aus, aber einen Menschen umbringen … Später verging das. Und es verging so: Wir waren auf dem Vormarsch, in Ostpreußen war es, bei irgendeiner kleinen Siedlung. Und da stand am Weg eine Baracke oder vielleicht ein Haus, ich weiß es nicht genau, das brannte lichterloh, war schon fast niedergebrannt, und in der Glut Menschenknochen, und unter den Knochen angeschwärzte Fünfzacksternchen – da waren unsere Verwundeten oder Gefangenen verbrannt… Danach, wie viele ich auch abgeschossen hab, tat mir keiner mehr leid."
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Olga Mitrofanova Ruzhnitskaya, Krankenschwester
"Da gibt es Bilder in meiner Erinnerung
Da gab es Stalins berühmten Befehl Nummer 227: "Keinen Schritt zurück!" Wer zurückwich, wurde erschossen. Auf der Stelle! Oder verurteilt und in ins Strafbataillon gesteckt. Wer dahin kam, war so gut wie tot. Wer sich aus dem Kessel befreien konnte oder aus der Gefangenschaft ausbrechen konnte, wurde ins Lager gesteckt. Hinter uns lagen spezielle Einheiten, die den Rückzug verhindern sollten. Unsere schossen auf die eigenen Leute.
Da sind die Bilder in meiner Erinnerung"
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Nina Wassiljewna Iljinskaja, Krankenschwester
"Dort, an der Front, war die Liebe sicherlich anders. Jeder wusste: Du liebst jetzt, und jeden Augenblick kann dieser Mensch ums Leben kommen. Unsere Liebe kannte kein später, kein morgen. Und wenn wir liebten, dann von Herzen. Jedenfalls konnte es dort keine Unaufrichtigkeit geben, denn sehr oft endete unsere Liebe mit einem Sperrholzstern auf dem Grab. Und auch dies ist auffällig: Meist zeigten sich die Männer uns Frauen von ihrer besten Seite. Sie setzten dort ihr Leben ein. Und in uns sahen sie nicht nur das Weibliche, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstopferung. Ich glaube sogar, ja von mir selbst kann ich es behaupten: Trotz aller Schrecken und Gräuel haben viele von uns im Krieg den schönsten Höhenflug der Seele erlebt. Ist ja auch verständlich, denn jeder Tag entschied von Neuem über Leben und Tod. Tagtäglich wurde der Mensch auf die Probe gestellt. War er hochherzig, dann sahen es alle, und war er eine Niete, ein Feigling, so blieb auch das keinem verborgen."
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Maria Terentjewna Dreijschuk, Sanitäterin
"Mein erster Verwundeter ist Oberleutnant Belov, mein letzter Verwundeter ist Sergei Petrovich Trofimov, ein Sergeant von einem Mörserzug. In den Siebzigerjahren kam er mich besuchen, und ich zeigte meinen Töchtern seinen verwundeten Kopf, der immer noch eine große Narbe hat. Alles in allem habe ich vierhundertachtzig Verletzte aus dem Feuer gezogen. Einige Journalisten haben berechnet: ein ganzes Schützenbataillon ... Da waren Männer dabei, die zwei- oder dreimal schwerer waren als wir. Und die Verwundeten sind noch schwerer. Du ziehst den Mann und seine Waffe, und er trägt seinen Mantel und die Stiefel. Das sind 80 Kilo und du ziehst ihn. Man lässt ihn dann fallen ... Schon geht man zum nächsten, und dann wieder siebzig oder achtzig Kilo ... Und so fünf oder sechs Mal nach einem Angriff. Und du selbst hast nur ein Ballettgewicht von 48 Kilo ... Ich kann es nicht mehr glauben ..."
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Maria Ivanovna Morozova, Scharfschützin
"Ich entschied mich zu schießen. Und dann blitzte es durch meinen Kopf: Er ist ein Mensch, er ist ein Feind, aber er ist auch ein Mensch. Ich habe am ganzen Körper gezittert. … Das Gefühl kommt immer noch in meinem Träumen zu mir zurück. Ich habe mich zusammengerissen und den Finger gekrümmt. Er ruderte mit den Armen und fiel hin. Kurz: Es war schrecklich, ich vergesse es nie."
Quelle: Von Swetlana Alexijewitsch' Buch gibt es verschiedene Ausgaben und Übersetzungen, die sich merklich unterscheiden. Die Ersten mussten mit der Zensur abgestimmt werden.