Krieg unter der Erde "Für Häuserkampf extrem wichtig": stern-Militärexperte über Tunnelsysteme in Kiew und Odessa

Ukraine-Krieg: Ein ukrainischer Soldat in einem unterirdischen Bunker
Ukraine-Krieg: Ein ukrainischer Soldat in einem unterirdischen Bunker
© Vadim Ghirda/ / Picture Alliance
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Gernot Kramper (stern): Und diese Dinge kannst du von außen nicht einsehen. Sie lassen sich mit vielen Waffen nicht beschießen. Sie sind eben tief unten drin und sie würden in einer Verteidigung mit einbezogen werden. // Diese Widerstandsnester gerade im Untergrund können sich unendlich lange halten. Das heißt, du verlängert diesen Krieg, aber aus dem Keller heraus wirst du die Stadt nie wieder erobern können.


Hendrik Holdmann (stern): Die ukrainischen Hauptstadt Kiew und die strategisch wichtige Hafenstadt Odessa sollen über gigantische Tunnel- und unterirdische Bunkersysteme verfügen. Was ist darüber bekannt und wie wichtig könnten sie in diesem Krieg noch werden?


Gernot Kramper (stern): Also da muss ich vorausschicken: Diese unterirdischen Systeme sind enorm wichtig im Häuserkampf. Aber wer sie nutzen will, genauso wie derjenige, der die Dächer von Apartmenthäuser nutzen will, zieht den Krieg in Wohngebiete. Das muss man einfach auch mal so sagen. Die Entscheidung, eine Stadt als Festung zu verteidigen, ist extrem kritisch zu sehen. Und die Beschießung von Wohngebieten ist nicht zu akzeptieren. Aber es ist natürlich auch nicht zu akzeptieren, da Panzerabwehrstellungen in Wohnungen einzubauen. So, das möchte ich einfach mal vorweg sagen. Der Häuserkampf heute ist oder war schon immer dreidimensionaler Kampf, anders als der Kampf in der normalen Fläche. Wieso? Weil es einerseits klar, es gibt die Straße, es gibt den Platz auf dem du bist, aber es gibt Gebäude, ob das jetzt Apartmenthäuser sind oder Industrieanlagen. Das heißt, du hast Unübersichtlichkeit, du kannst von oben gucken. Da kann man auch ohne Drohnen im elften Stock Schützen positionieren. Und jetzt wird es noch besser: Es geht eben auch nach unten in jeder Stadt, weil es gibt U-Bahn-Linien, es gibt Abwasserkanäle, es gibt Abwasser-Bassins. Es gibt alles Mögliche. Die halbe Stadt ist praktisch nochmal unterirdisch. Das ist nicht nur in Kiew so, das ist in Berlin so. Das ist eigentlich in fast jeder Stadt so. Und diese Dinge kannst du von außen nicht einsehen. Sie lassen sich mit vielen Waffen nicht beschießen, sie sind eben tief unten drin und sie würden in einer Verteidigung mit einbezogen werden. Das macht Häuserkampf extrem schwierig und kaum zu machen. Bloß das Problem ist ja das, dass viele Leute stellen sich ja Häuserkampf so vor wie in einem Hollywoodfilm. Also so Kommandos und dann sind sie im Treppenhaus. Und wenn man sich jetzt heutige Filme ansieht, also auch aus dem Krieg in der Ukraine von tschetschenischen Kommandos dann sieht das ganz ähnlich aus. Aber eigentlich ist es nicht entscheidend. Häuserkampf ist schon im Zweiten Weltkrieg durch schwere Waffen entschieden worden. Es gehen nicht um 50 Infanteristen in ein Haus, um da von Wohnung zu Wohnung zu gehen. Das hat man in Stalingrad zum Teil noch gemacht. Sondern man sprengt das ganze Haus in die Luft. Und zwar nicht, dass es in Platten und Trümmern ist. Das ist schwer, das ist auch wiederum leicht zu verteidigen, sondern dass aus dem ganzen Haus nur 10 Zentimeter große Geröllbrocken sind. Das kann man sich in Aleppo ansehen. Aber man kann auch Rakka ansehen oder Mossul. Die Amerikaner machen das ganz genauso. Das heißt, auch diese unterirdischen Stellungen würden die Russen, wenn sie darum kämpfen müssen, nicht hineingehen. Sondern sie würden sie zum Einsturz bringen. Und das ist die Methode dagegen. Das würde aber natürlich eine noch noch viel schlimmere Verwüstung dieser Städte haben, weil du praktisch nicht nur die Gebäude oben zerstört hast, sondern auch die Infrastruktur im Unteren. Und man würde, wie ich schon gesagt habe, diese Anlagen werden nicht erkämpft, sondern sie werden mit Waffen wie der "Mutter aller Bomben" oder mit Aerosolbomben von oben zum Einsturz gebracht. Und insofern ist das ein sehr brutaler und blutiger Krieg. Aber wir werden das ja in Mariupol jetzt erleben. Aller Voraussicht nach werden die Russen den Kessel spalten. Also das, was noch übrig ist vom frei von der ukrainischen Teil der Stadt. Und sie werden dann Widerstandsnester ausräumen. Und diese Widerstandsnester gerade im Untergrund können sich unendlich lange halten. Also im Zweiten Weltkrieg in der Festung Brest sollen ja noch 30 Tage Leute irgendwie unten da, ob sie jetzt gekämpft haben, aber jedenfalls sich aufgehalten haben. Bloß das ist ja nicht kriegsentscheidend. Das ist ja das Problem dabei. Das heißt, du verlängert diesen Krieg, aber aus dem Keller heraus wirst du die Stadt nie wieder erobern können, sondern du bindet da nur Kräfte. Und ich würde eben vermuten: Klar, da hat man Abwehr erfordert, aber man kann dann immer wieder auftauchen und noch mal schießen. Aber das wissen jetzt viele vielleicht nicht mehr. Aber die Ukrainer oder die Kiew-Ukrainer haben den Donezk-Airport ja relativ lange verteidigen können in den Kämpfen um die Separatisten-Republiken. Und da ist irgendwann von Spezialisten mit Schluss gemacht worden. Und was haben sie gemacht? Die Kiewer haben sich immer wieder in den Kellern, Versorgungsschächten, irgendwelchen Pipelines in diesem Flughafen versteckt. Dann sind die Separatisten auch als sie schon siegreich waren; waren praktisch in der Halle. War keiner, da haben sie keinen gefunden und nachts sind die Ukrainer wieder herausgekommen und haben weiter gekämpft. Was haben die Spezialisten, die wohl aus Russland gekommen sind, gemacht? Die haben das ganze Gebäude, die ganze Decke einfach herunter gesprengt. Und dann war über allen Ausgängen,  vor den Löchern unten war einfach 5 Meter Schrott und dann ist Schluss. Also so muss man sich das wohl eher vorstellen. Klar, es ist nicht möglich, so etwas zu erobern, solche unterirdischen Gangsysteme oder extrem blutig, aber es ist eher zu erwarten, dass die einfach eingedrückt werden. Und klar, bis auf ganz wenig Fanatische natürlich, das führt dann auch zur Aufgabe. Also man kann da auch Flammen-Öl einleiten und ähnliches. Also das ist einfach ein grausamer Krieg und das ist ein grausamer Tod, weil du letzten Endes irgendwo unten in einem Loch verschüttet wirst.

Viele Städte der Ukraine verfügen über gigantische Tunnel- und Bunkersysteme. Diese unterirdischen Bauten werden der Ukraine im Kampf gegen die russische Armee vor allem in Kiew und Odessa einen Vorteil verschaffen. stern-Militärexperte Gernot Kramper über den brutalen Krieg unter der Erde.
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