Gernot Kramper

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Ukraine-Krieg: "Kampfpanzerlieferung ist nur eine Frage der Zeit" – Militärexperte zur Debatte um Leopard 2

Ukraine-Krieg "Kampfpanzerlieferung ist nur eine Frage der Zeit" – Militärexperte zur Debatte um Leopard 2

Sehen Sie im Video: "Kampfpanzerlieferung ist nur eine Frage der Zeit" – Militärexperte zur Debatte um Leopard 2.






Wird Olaf Scholz der Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine zustimmen?
Natürlich ist klar, dass die Polen und die baltischen Staaten zu denjenigen gehören, die die Unterstützung der Ukraine besonders befördern wollen. Aber grundsätzlich muss man sagen: Das, was wir erfahren, das sind abgestimmte Aktionen. Das heißt: Die Lieferung des Schützenpanzers Marder ist seit langer Zeit beraten worden, und es wird ein gemeinsames Vorgehen vorgeschlagen. Dann kommt zuerst Macron, der einen kleinen Spähpanzer liefert. Dann sagt Biden, er werde auch Bradleys liefern und dann kommt der Bundeskanzler. Das ist natürlich alles abgestimmt. Das ist jetzt nicht so, dass der eine den anderen überholt. Das Bündnis funktioniert so, dass die Partner sich abstimmen. Und am Ende muss man doch klar sagen, dass der mächtigste und stärkste Partner die USA sind. Sie bestimmen die Geschwindigkeit. Jetzt wird immer auf Olaf Scholz rumgehackt, weil er bis jetzt keine schweren Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 liefert. Ist ja auch vollkommen richtig. Aber man muss klar sagen: In Amerika werden Biden die ganze Zeit die gleichen Fragen gestellt und in England den wechselnden Premiers auch. Bis jetzt hat keiner von ihnen schwere Kampfpanzer geliefert. Jetzt muss man aber wissen, es werden Schützenpanzer geliefert und wenn Schützenpanzer geliefert werden, werden auch schwere Kampfpanzer geliefert. Das ist nur eine Frage der Zeit oder der Orchestrierung: Wie das jetzt für die Öffentlichkeit zurecht gemacht wird, wie diese Entscheidung dann tatsächlich offenbar wird. Aber meiner Ansicht nach ist die Entscheidung gefallen. Wir werden westliche Kampfpanzer und Schützenpanzer in die Ukraine liefern, darunter auch den Leopard 2.
Wie wichtig sind die Kampfpanzer für die Ukraine?
Sie sind absolut entscheidend, und zwar in zweierlei Hinsicht. Das erste ist, die Ukraine braucht weitere Schützenpanzer und weitere Kampfpanzer, weil in diesem Krieg das vorhandene Material ununterbrochen abgenutzt wird. Da kann man sich jetzt darüber streiten, in welchem Verhältnis. Verlieren die Russen mehr, verlieren die Ukrainer mehr? Aber manche Träume in den Medien, dass die Russen praktisch alles verlieren, bei den Ukrainern sei es eher mehr, weil sie Beutewaffen haben – das ist alles Unfug. Da muss man sich nicht mit beschäftigen. Im Krieg schwinden diese Vorräte und die Ukraine selber hat keine Industrie mehr, welche Panzer in größerem Maßstab herstellen kann. Sie setzten welche in Stand. Aber es kommt nichts Neues nach. Und insofern ist die Ukraine schon seit dem letzten Frühjahr auf Lieferungen aus dem Westen angewiesen gewesen. Im letzten Jahr hat man im Westen entschieden, dass man im Wesentlichen Waffen sowjetischer Bauart liefert, die man irgendwie bei den NATO-Verbündeten auftreiben kannen – unter anderem fast 300 T 72 aus Polen. Man könnte auch auf die Idee kommen, in Nordafrika und Afrika uralte Modelle, die nicht modernisiert sind, irgendwie zusammen zu kaufen. Aber am Ende wird man damit den Bedarf der Ukraine nicht decken können. Und an großen Vorräten sind eben keine T 72 mehr da, also müssen West-Panzer ran. Wenn das nicht passieren würde, würde die Ukraine irgendwann ohne schwere Kettenfahrzeuge dastehen. In diesem Krieg werden diese Fahrzeuge weniger durch die Benutzung und Feindeinwirkungen. Und insofern ist das ganz alternativlos, um mal Frau Merkel zu zitieren. Und das hat jetzt weder primär etwas mit Eskalation zu tun. Und es hat auch nicht unbedingt etwas damit zu tun, ob man der Ukraine neue Fähigkeiten verleiht. Das hängt dann im Wesentlichen davon ab, wie viel Panzer das sind.
Aber wenn man sagen würde, wir liefern nichts außer ein paar Reste, die wir hier an altem Sowjet-Material finden, dann würde der Krieg im Frühjahr bis Sommer zu Ende gehen, weil der Ukraine das Material ausgehen würde. Also insofern verhindert man damit nur erstmal eine Niederlage. Wie stark die Ukraine davon profitiert, hängt am Ende davon ab, wie viele Panzer werden es, wie viele Soldaten werden ausgebildet und wann kommen sie an? Wenn man den Hahn nur ein bisschen aufdreht, dann verhindert man eine Niederlage. Wenn man den Hahn voll aufdrehen würde, würde man sie enorm aufstocken können, sodass das ukrainische Militär richtige Panzer-Brigaden und neue Truppen aufstellen kann. Und so weiter und so fort. Die Dosis ist am Ende entscheidend dafür, welche Wirkung das auf dem Schlachtfeld hat. 
Welche Strategie verfolgen die Russen und Ukrainer momentan in der Ostukraine?
Das große Bild: Der bisherige Oberkommandierende – mit dem merkwürdigen Spitznamen General Armageddon – hat ja im Wesentlichen eine defensive Strategie gefahren. Das heißt: Man hat die Front zurückgenommen und fängt an, sie zu befestigen und hält operative Dinge zurück. Ausnahme sind mehrere Städte im Donbass, in denen die Russen insbesondere durch die Wagner-Gruppe sehr aggressiv vorgehen. Diese Strategie hat verschiedene Bedeutungen. Das eine ist, dass die Russen versuchen, ukrainische Kräfte zu binden und abzunutzen, also Soldaten zu töten. Damit wollen sie verhindern, dass die Ukrainer Truppen aus der Front zurückziehen, sie auffrischen und zu mobilen Angriffsverbänden neu ausstatten. Sie aufpäppeln, damit sie aktiv in Aktion kommen. 
Die beiden Orte, die du genannt hast, Soledar und Bachmut,  das sind beides Kleinstädte. Das heißt, sie sind die letzte großen Befestigungen vor der allerletzten Verteidigungslinie. Und das heißt, sie halten den Druck von den großen Städten fern. Aber wenn die Russen sie einkassiert haben, wenn sie weiter vorrücken – auch mit Artillerie – würde sich das Schicksal, das man in Bachmud und Soledar hat sehen können, sich in den großen Städten wiederholen. Wenn sie nicht gestoppt werden. Das ist die strategische Bedeutung, die diese unbedeutenden Orte dann wohl doch haben.
Und die andere russische Strategie nennt sich Meat Grinder: Auf Deutsch sagt man auch Blutmühle dazu Man versucht ein Gefecht aufzubauen, in dem im Wesentlichen Verluste erlitten werden. Und die Idee ist dabei, dass der Gegner mehr Verluste erleidet als man selber. Und warum machen die Russen das bei Operation im Feld mit Bewegung? Im Kampf der bewegten Waffen haben sie schwere Verluste erlitten und das hat  nicht so richtig funktioniert. Das können sie irgendwie nicht so richtig und haben Schwierigkeiten, da die Ukrainer das ganze Know-how des Westens hinter sich haben.
Hier in diesen Städten sieht das ein bisschen anders aus. Die Ukrainer wollen sie unbedingt halten – aus Prestigegründen, aus strategischen Gründen – und versuchen dort Widerstand zu leisten. Hier geht es um nackte Gewalt und Nahkämpfe. Man kann sich die Videos, wenn man den Magen dafür hat, ja auch ansehen. Einer sitzt praktisch an der Seite einer Kreuzung und der andere im Balkon oben drüber. Das ist wie in Stalingrad vor der Einkesselung. Und hier glauben die Russen, dass sie dem Gegner mehr Verluste zufügen können oder zumindest gleichmäßige Verluste. Wir können das nicht überprüfen. Wenn wir bei uns in die Medien gucken, bekommt man den Eindruck, es sterben in diesem Krieg nur Russen und keinesfalls ukrainische Soldaten, höchstens mal ein paar Zivilisten. Das ist natürlich Unfug. Man kann sich das auf Telegram ansehen. Die ganzen Straßen liegen voll mit ukrainischen Leichen, Autos voller zerfetzter Körper, Hauseingänge. Beide Seiten erleiden große Verluste. Bloß auf lange Sicht gesehen darf die Ukraine nicht so viele Leute verlieren wie die Russen. Das kann nicht funktionieren, weil Russland einfach ein sehr viel größeres Land ist.
Und es gibt den Trick der Wagner-Gruppe, dass sie Gefangene einsetzen. Wo man jetzt ganz abgründige Geschichten erzählen kann, die auch alle richtig sind. Aber damit umgehen sie natürlich ein wesentliches Problem: Für die wirklich riskanten Operationen opfern sie die Gefangenen auf, denen in Anführungsstrichen in Moskau keiner eine Träne nachweint. Und der andere Teile der Wagner-Gruppe besteht aus hochspezialisierten Militärs. Das ist der Berufsalltag. Das sind Leute, die zur Wagner-Gruppe gehen, weil sie dort besser verdienen als wenn sie warten würden, dass sie von Putin einen Einberufungsbefehl bekommen. Und diese Mischung führt dazu, dass die Verluste Russlands eben anders zu gewichten sind.
Um das jetzt mal so in die Tüte zu sprechen: Wenn Tausend Wagner-Soldaten sterben, dann sind für Putin die 200 Profis wichtig. Die 800 Gefangenen – ja auch traurig – aber das ist nicht der Punkt dabei. Das ist eine ganz merkwürdige Form der Kriegsführung. Und die Ukraine hat diese Möglichkeiten in dieser Form nicht. Dort zählen alle 1000 Tote gleichmäßig. Wir wissen nicht, wie viele Tote es sind, aber es ist zu befürchten, dass die Ukraine eben auch substanzielle Verluste erleidet. 
Soldaten als lebendes Kanonenfutter einzusetzen, ist also weiterhin eine bewährte russische Strategie?
Ja, das ist in der Tat richtig. Aber man muss sagen, aus der Donbass-Schlacht gibt es auch Momente, in denen die Ukrainer dazu geneigt haben, dass sie ihre hoch-trainierten Truppen nicht in die Lücken gesendet haben, um die Feuerwehr zu spielen. Da werden irgendwelche Leute aus der territorialen Verteidigung reingeworfen, die den Gegner zwar abbremsen, dabei aber schwerste Verluste erleiden. Das ist alles böse, es ist auch böse. Aber der Krieg ist letzten Endes menschenverachtendes Geschäft.
Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung in Bachmut und Soledar. Welche Folgen hat der Krieg für die Städte?
Die Orte, die schwer umkämpft sind, sind über lange Sicht zerstört. Das muss man so sagen. Das sieht man ja bei den Aufnahmen. Insbesondere wenn die Kämpfe länger andauern,  werden auch die ganzen kleinen Häuschen, die eigentlich gar keine Bedeutung haben, die irgendwo entlang der Straße sind, zerstört. Das kommt, weil das Feuer nicht so angemessen ist. Aber natürlich auch, weil Soldaten Unterschlupf suchen. Also sowohl raus. Man muss isch das als Kriegszone vorstellen, irgendwo schlafen die Soldaten. Irgendwo versuchen sie sich vor Blicken von oben und von Drohnen zu schützen. Die gehen in alle diese Häuser, Garagen rein und wenn der Gegner sie vorher gesehen hat, gibt es einen Angriff und das Haus ist weg. Auch wenn das Haus sonst überhaupt gar keine Bedeutung hatte. Bachmut und Soledar sind praktisch zerstörte Städte. Von allem, was sichtbar ist. Wir wissen ja aus dem Zweiten Weltkrieg, dass die Hälfte der Infrastruktur unter dem Boden ist. Also und auch wenn die zerstört ist und die Wasserleitung, lässt sich das dann irgendwann leichter wieder zusammenflicken, weil sie in der Masse nicht kaputt sind. Aber die ganzen Gebäude in diesen Städten, das ist praktisch weg, weil das schwere Kampfzonen sind. Umgekehrt ist es aber natürlich so: Das ist ja eine 1000 Kilometer lange Front und es wird immer nur punktuell gekämpft. Dass in diesen beiden Städten und in einigen Dörfern rundherum, wo der Gegner ausgedrückt worden ist. Es kann aber durchaus sein, dass jetzt in der Region andere Orte praktisch die haben da mal ein Blindgänger abbekommen und da ist praktisch gar nichts passiert. Aber diese Orte sind praktisch vernichtet – also als Stadt weg. 
Russland-Ukraine-Krieg: Ein ukrainischer Soldat steht in der Stadt Cherson

Experte zu Taktik im Krieg Nach Cherson: Jetzt nimmt die Ukraine Putins "letzte große Eroberung" ins Visier

Sehen Sie im Video: Nach Cherson – Ukraine nimmt Putins "letzte große Eroberung" ins Visier.
















Gernot Kramper (stern) Bei Cherson selber sind starke offensive Operationen schwer vorstellbar, weil man diesen riesigen Fluss dafür überqueren muss. // Dort haben sie die Möglichkeit, in der offenen Steppe die Landverbindung zwischen Krim und Donbass zu kappen, oder das ist jedenfalls das Ziel, was sie haben. Ein klares strategisches Ziel. Das ist die letzte große Eroberung von Putin in diesem Krieg.


Hendrik Holdmann (stern) Wie wird sich der Krieg in den nächsten Wochen entwickeln? Wird es ein ruhiger Winter oder werden sich die Kämpfe, die es um Cherson gab, jetzt verlagern?


Gernot Kramper (stern) Ich glaube nicht, dass es ein ruhiger Winter ist, weil die Ukraine hat jetzt das Momentum und das werden sie erhalten wollen, insbesondere auch um weitere Erfolgsgeschichten, um die Russen unter Druck zu setzen, um weitere Eroberungen zu machen, aber auch, um Erfolgsgeschichten vorweisen zu können. Weil die Belastung für die Zivilbevölkerung wird durch diese Stromausfälle – wenn das so weiter geht, ja, extrem hoch, also um die Moral hochzuhalten. Das heißt, die Ukraine wird einen ruhigen Winter weder wollen noch sich leisten können. Bei Cherson selber sind starke offensive Operationen schwer vorstellbar, weil man diesen riesigen Fluss dafür überqueren muss und auch damit rechnen müßte, dass der Gegner, wenn es ihm zu kritisch wird, einfach oberhalb dann doch eienn Staudamm komplett sprengt, also nicht nur beschädigt, sondern ihn in der Substanz zerstört. Um eine Flutwelle zu machen und dann sind deine ganzen Truppen abgeschnitten. Das wird ja keiner riskieren wollen. Also wird die Ukraine die Truppen da herausziehen wollen. Und ich würde mal tippen, dass die Kämpfe sich in ein Gebiet verlagern, wo es seit dem Sommer keine wirklichen schweren Kämpfe gegeben hat und dass ist zwischen dem Dnepr und dem Donbass, also diese Steppenlinie. Und das ist auch das strategische Ziel der Ukraine, weil dort haben sie die Möglichkeit, in der offenen Steppe die Landverbindung zwischen Krim und Donbass zu kappen, oder das ist jedenfalls das Ziel, was sie haben. Ein klares strategisches Ziel. Das ist die letzte große Eroberung von Putin in diesem Krieg. Wenn man von den Geländegewinnen im Donbass absieht und das ist also das natürliche Ziel der Ukraine, also müssen sie die Truppen von der Westseite des Dneprs irgendwie auf die Ostseite bekommen. Sie müssen sie neu einsetzen. Das wird alles dauern. Also man kann jetzt nicht erwarten, dass da praktisch in zehn Tagen die Großoffensive ausbricht. Das würde ich für unwahrscheinlich halten. Aber dass die Kämpfe sich in diesen Raum verlagern, das halte ich schon für wahrscheinlich. Und dann muss man davon ausgehen, dass der Winter zwar sehr lebensfeindlich ist für die Soldaten, also weil man ja heizen muss und ähnliches und weil man im Schnee ununterbrochen Spuren hinterlässt. Was auch bei dieser Drohnen-Kriegsführung natürlich sehr, sehr schnell zu großen Schäden führt. Aber der Krieg mit großen Offensiven wird ja erst wieder beginnen können, wenn der Boden durchgefroren ist. Weil in der Ukraine gibt es diese Schlammperiode. Die Fronten sitzen relativ fest. Die Vorstellung, dass man nur entlang der Straßen vorstößt, das ist, glaube ich, unrealistisch. Und das heißt, es muss trocken sein oder es muss nur frieren, dass schwere Fahrzeuge, also 50-Tonner, also Panzer, dort nicht drin versinken. Und das heißt, es dauert sowieso noch einen Moment, weil im Moment sind die Bedingungen ja nicht so. Das heißt leichter Bodenfrost reicht ja nicht mal aus. Aber für die Ukraine. Insofern aber alles in Anführungsstrichen, so halbwegs das richtige Timing, weil sie müssen ihre Truppen verlagern, sie müssen beginnen, diese Offensive vorzubereiten und dann irgendwann in der starken Frostperiode könnte die anlaufen. Und insofern würde ich das erwarten, dass es keinen ruhigen Winter gibt. Es gibt da jetzt sicherlich Umgruppierungspausen, aber es ist nicht so, dass es keine Kämpfe geben wird.