Experte zu Taktik im Krieg Nach Cherson: Jetzt nimmt die Ukraine Putins "letzte große Eroberung" ins Visier

Russland-Ukraine-Krieg: Ein ukrainischer Soldat steht in der Stadt Cherson
Russland-Ukraine-Krieg: Ein ukrainischer Soldat steht in der Stadt Cherson
© Picture Alliance
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Gernot Kramper (stern) Bei Cherson selber sind starke offensive Operationen schwer vorstellbar, weil man diesen riesigen Fluss dafür überqueren muss. // Dort haben sie die Möglichkeit, in der offenen Steppe die Landverbindung zwischen Krim und Donbass zu kappen, oder das ist jedenfalls das Ziel, was sie haben. Ein klares strategisches Ziel. Das ist die letzte große Eroberung von Putin in diesem Krieg.


Hendrik Holdmann (stern) Wie wird sich der Krieg in den nächsten Wochen entwickeln? Wird es ein ruhiger Winter oder werden sich die Kämpfe, die es um Cherson gab, jetzt verlagern?


Gernot Kramper (stern) Ich glaube nicht, dass es ein ruhiger Winter ist, weil die Ukraine hat jetzt das Momentum und das werden sie erhalten wollen, insbesondere auch um weitere Erfolgsgeschichten, um die Russen unter Druck zu setzen, um weitere Eroberungen zu machen, aber auch, um Erfolgsgeschichten vorweisen zu können. Weil die Belastung für die Zivilbevölkerung wird durch diese Stromausfälle – wenn das so weiter geht, ja, extrem hoch, also um die Moral hochzuhalten. Das heißt, die Ukraine wird einen ruhigen Winter weder wollen noch sich leisten können. Bei Cherson selber sind starke offensive Operationen schwer vorstellbar, weil man diesen riesigen Fluss dafür überqueren muss und auch damit rechnen müßte, dass der Gegner, wenn es ihm zu kritisch wird, einfach oberhalb dann doch eienn Staudamm komplett sprengt, also nicht nur beschädigt, sondern ihn in der Substanz zerstört. Um eine Flutwelle zu machen und dann sind deine ganzen Truppen abgeschnitten. Das wird ja keiner riskieren wollen. Also wird die Ukraine die Truppen da herausziehen wollen. Und ich würde mal tippen, dass die Kämpfe sich in ein Gebiet verlagern, wo es seit dem Sommer keine wirklichen schweren Kämpfe gegeben hat und dass ist zwischen dem Dnepr und dem Donbass, also diese Steppenlinie. Und das ist auch das strategische Ziel der Ukraine, weil dort haben sie die Möglichkeit, in der offenen Steppe die Landverbindung zwischen Krim und Donbass zu kappen, oder das ist jedenfalls das Ziel, was sie haben. Ein klares strategisches Ziel. Das ist die letzte große Eroberung von Putin in diesem Krieg. Wenn man von den Geländegewinnen im Donbass absieht und das ist also das natürliche Ziel der Ukraine, also müssen sie die Truppen von der Westseite des Dneprs irgendwie auf die Ostseite bekommen. Sie müssen sie neu einsetzen. Das wird alles dauern. Also man kann jetzt nicht erwarten, dass da praktisch in zehn Tagen die Großoffensive ausbricht. Das würde ich für unwahrscheinlich halten. Aber dass die Kämpfe sich in diesen Raum verlagern, das halte ich schon für wahrscheinlich. Und dann muss man davon ausgehen, dass der Winter zwar sehr lebensfeindlich ist für die Soldaten, also weil man ja heizen muss und ähnliches und weil man im Schnee ununterbrochen Spuren hinterlässt. Was auch bei dieser Drohnen-Kriegsführung natürlich sehr, sehr schnell zu großen Schäden führt. Aber der Krieg mit großen Offensiven wird ja erst wieder beginnen können, wenn der Boden durchgefroren ist. Weil in der Ukraine gibt es diese Schlammperiode. Die Fronten sitzen relativ fest. Die Vorstellung, dass man nur entlang der Straßen vorstößt, das ist, glaube ich, unrealistisch. Und das heißt, es muss trocken sein oder es muss nur frieren, dass schwere Fahrzeuge, also 50-Tonner, also Panzer, dort nicht drin versinken. Und das heißt, es dauert sowieso noch einen Moment, weil im Moment sind die Bedingungen ja nicht so. Das heißt leichter Bodenfrost reicht ja nicht mal aus. Aber für die Ukraine. Insofern aber alles in Anführungsstrichen, so halbwegs das richtige Timing, weil sie müssen ihre Truppen verlagern, sie müssen beginnen, diese Offensive vorzubereiten und dann irgendwann in der starken Frostperiode könnte die anlaufen. Und insofern würde ich das erwarten, dass es keinen ruhigen Winter gibt. Es gibt da jetzt sicherlich Umgruppierungspausen, aber es ist nicht so, dass es keine Kämpfe geben wird.
Nach der Rückeroberung der Großstadt Cherson nimmt die Ukraine schon weitere Ziele ins Visier. stern-Militärexperte Gernot Kramper erklärt, dass in den kommenden Monaten vor allem die Landverbindung zwischen der Krim und dem Donbass im Fokus Kiews sein dürfte.