Vincent Harris' liebstes Bibelzitat liest sich ein wenig wie eine vorauseilende Abbitte: "Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch." Den Spruch aus dem 1. Thessalonicherbrief hat der End-Zwanziger unter die Kurz-Biografie auf seiner Firmen-Homepage platziert. Früher hätten ihn seine Kommilitonen "Pastor" genannt, erzählte Harris einmal. Und ein Prediger ist er in gewisser Weise immer noch - seine Mahnreden bestehen allerdings aus Verhöhnung, Denunzierung und Schmutz.
"Menschen, die durch Merkel zu Terroropfern wurden"
Seit einigen Tagen geistert die Seite "Merkel, die Eidbrecherin" durchs Netz, das Impressum weist die AfD als Verantwortliche aus, dabei dürfte es sich um die Arbeit des Texaners Vincent Harris handeln. Auf der Website mit der wenig subtilen Botschaft ist neben einem düsteren Konterfei der Bundeskanzlerin ein Sammelsurium an Anschuldigungen aufgelistet. Rot umrandet steht dort etwa die Zahl "98", dazu: "Menschen, die durch Merkels Versagen Opfer von Terroristen wurden". Auch die angeblichen "monatlichen Kosten pro Einwanderer" werden dort mit "bis zu 15.000 Euro" angegeben. Woher die Zahlen stammen, wurde zunächst nicht erläutert, erst nach einigen Tagen hat die Partei die Herkunft präzisiert.
Merkel, die Eid- und Gesetzesbrecherin - der Sound der neusten AfD-Kampagne klingt verdächtig nach den Anti-Hillary-Clinton-Rufen der Trump-Anhänger im US-Wahlkampf. "Lock her up" ("Sperrt Sie ein") war auf jeder Veranstaltung des jetzigen US-Präsidenten zu hören. Das dürfte kein Zufall sein, denn Harris kümmert sich seit einigen Wochen um die Online-Kampagne der AfD. Beziehungsweise ein paar seiner Leute, die mittlerweile in Berlin stationiert sind. Vor kurzem sei er auch persönlich zu einer Inspektionsreise in die deutsche Hauptstadt gekommen, berichtet der "Spiegel". Es wird nicht sein erster Besuch bei politischen Rechtsauslegern gewesen sein.
Zielgruppe: Wähler im rechten Spektrum
Zu den Kunden seiner Firma Harris Media gehört die rechtsextreme UK Independent Party, die laut für den Brexit trommelte, der rechtskonservative Likud von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und, natürlich, die US-Republikaner. Harris, so der Wirtschaftsdienst "Bloomberg", sei "der Mann, der den Republikanern das Internet beibrachte". Also derjenige, der mit seinen Social-Media-Kampagnen den Wahlerfolg der Konservativen ermöglichte. Für Donald Trump hat Harris auch einmal gearbeitet - allerdings nur eine Woche. Gerüchten zufolge soll dem damaligen Präsidentschaftskandidaten der Ruf nicht gefallen haben, der Harris vorauseilt.

Kurz vor der US-Wahl verbreitete er ein Video mit dem Namen "Welcome to the Islamic Republic of Germany" ("Willkommen in der islamischen Republik Deutschland"). Darin ist die Rede von der Unterwanderung Deutschlands durch muslimische Flüchtlinge, die den Kölner Dom in eine Moschee verwandeln und Bier und Schweinefleisch auf dem Oktoberfest verbieten wollen. Vincent Harris sagte damals dazu, er wolle bloß ein "wichtiges Thema hervorheben". Was er nicht sagte, war, dass der kurze Clip im Auftrag der erzkonservativen Lobbyorganisation "Secure America Now" entstanden ist, die damit auf Wähler im rechten Spektrum zielte.
Droht Verrohung des Wahlkampfs?
Harris hatte schon immer ein Herz für superkonservative Sonderlinge. 2008 begann er seine Politberatungskarriere als offizieller Blogger des damaligen Präsidentschaftskandidatenanwärters und Priesters Mike Huckabee. Vier Jahre später unterstützte er den Präsidentschaftswahlkampf von Rick Perry. Und im selben Jahr schaffte er es mit seinem aggressiven Social-Media-Kurs, den eher unbeholfenen Ted Cruz zum ersten hispanischstämmigen Senator von Texas zu machen. Die Republikaner begegneten dem Erfolg skeptisch. Nicht wegen des Erfolgs, sondern wegen der Art und Weise.
Amerikanische Wahlkämpfe waren schon immer härter und unfairer als in Europa. Dass die Kampagnen 2016 ein neues Niveau der Verrohung erreicht hatten, lag auch an Leuten wie Vincent Harris. Nun sieht es aus, als würde er mit der AfD seinen Sound nach Deutschland bringen. Der Berliner "Tagesspiegel" berichtet, dass Harris' Leute in Berlin mal den Slogan "Deutschland den Deutschen" vorgeschlagen hätten. Doch das ging der rechtskonservativen AfD zu weit. Stattdessen verbreitet die Partei über Facebook Bilder, auf denen blutdurchtränkte Reifenspuren zu sehen sind, zusammen mit dem Satz: "Die Spur der Welt-Kanzlerin durch Europa." Oder lässt über die Frage abstimmen, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Auch möglich: Das Profil-Bild mit einem AfD-Slogan zu versehen. Die Seite "Merkel, die Eidbrecherin" bietet auch Bilder zum Teilen an, die etwa die CDU beschuldigt, sie habe "Deutschland ins Elend gestürzt".
Mit Medien in die Echokammer
Ganz im Sinne Donald Trumps, der seinen Twitterkanal als einzigen Weg betrachtet, "die Wahrheit" zu verbreiten, argumentiert Vincent Harris in Sinne "der Aufklärung": "Ohne soziale Medien werden die Menschen in einer Echokammer enden, und nur noch Medien konsumieren, die ihr Weltbild bestätigen. Soziale Medien erlauben zumindest einen gelegentlichen Blick auf anderslautende Ansichten", so Harris auf seiner eigenen Homepage.