Der aserbaidschanische Militäreinsatz im Südkaukasus hat nach örtlichen Angaben binnen Stunden mehr als zwei Dutzend Menschen in der betroffenen Region Bergkarabach das Leben gekostet. "Mit Stand 20.00 Uhr gibt es 25 Opfer, darunter zwei Zivilisten, als Folge des umfassenden Terrorangriffs durch Aserbaidschan", schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach (Arzach), Gegam Stepanjan, am Dienstagabend auf der früher als Twitter bekannten Plattform X. Darüber hinaus seien in der Konfliktregion mindestens 138 Menschen verletzt worden, darunter 29 Zivilisten. Aus sechs Orten seien Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht worden.
Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte den breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Bergkarabachs am Morgen begonnen. Aserbaidschans Regierung sprach von "örtlich begrenzten Anti-Terror-Einsätzen" in Berg-Karabach. Die armenischen Truppen in der umstrittenen Region müssten sich auflösen und ihre Waffen abgeben, das "illegale Regime" müsse sich auflösen, forderte die aserbaidschanische Präsidialverwaltung. Sie schlug Gespräche "mit Vertretern der armenischen Bevölkerung Karabachs" in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach vor.
Die aserbaidschanischen Streitkräfte versuchten, tief in das Gebiet von Berg-Karabach vorzudringen, erklärten die pro-armenischen Kräfte. Demnach setzten die aserbaidschanischen Streitkräfte Artillerie, Raketen und Kampfdrohnen ein. Sechs Ortschaften wurden den Separatisten zufolge wegen der Angriffe evakuiert. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan sprach in einer Fernsehansprache von einem "Einsatz mit Bodentruppen" Aserbaidschans, der das Ziel habe, "ethnische Säuberungen" gegen die armenische Bevölkerung in der Region zu betreiben.
Scholz: "Kriegshandlungen müssen sofort beendet werden"
Bergkarabach liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Die beiden ehemals sowjetischen Nachbarländer kämpfen bereits seit Jahrzehnten um Bergkarabach. Im jüngsten Krieg 2020 hatte die durch Öl- und Gaseinnahmen hochgerüstete Armee Aserbaidschans bereits weite Teile Karabachs erobert.
Vom Kalten Krieg bis heute: die Geschichte der Nato in Bildern

International wurde Aserbaidschan für sein gewaltsames Vorgehen kritisiert. Die Bundesregierung etwa verlangte von der Führung in Baku ein sofortiges Ende der Militäraktion in Bergkarabach. "Armenien und Aserbaidschan sind jetzt in einer sehr kritischen Situation, und deshalb ist für uns ganz klar, dass diese Kriegshandlungen sofort beendet werden müssen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte: "Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren." Auch die US-Regierung zeigte sich "zutiefst besorgt" über die aktuellen Entwicklungen und forderte Aserbaidschan auf, die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen.
Frankreich strebt wegen des aserbaidschanischen Militäreinsatzes in Berg-Karabach eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats an. Das teilte das französische Außenministerium in Paris am Dienstag mit. Frankreich spreche sich eng mit seinen europäischen und amerikanischen Partnern ab, um eine starke Antwort auf die inakzeptable Offensive zu geben, hieß es. Armenien hatte den UN-Sicherheitsrat bereits zu Maßnahmen aufgerufen.
Frankreich forderte Aserbaidschan dazu auf, seine Offensive unmittelbar zu beenden. Kein Vorwand könne eine solch einseitige Aktion rechtfertigen, die Tausende Zivilisten bedrohe.
Die russischen Friedenstruppen in Berg-Karabach riefen laut dem Verteidigungsministerium in Moskau die Konfliktparteien auf, "die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen".

Aserbaidschan mit Rückendeckung aus der Türkei
Rückendeckung bekam Aserbaidschan hingegen aus der Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, sein Land unterstütze die Schritte zum "Schutz der regionalen Integrität Aserbaidschans".
Die ebenfalls islamisch geprägte Türkei gilt als Schutzmacht Aserbaidschans, wohingegen das christlich-orthodoxe Armenien traditionell auf die Unterstützung Russlands setzt, das in der Region auch eigene Soldaten stationiert hat. Mittlerweile aber braucht Moskau seine Kämpfer in erster Linie für den eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beobachter hatten deshalb bereits befürchtet, dass Aserbaidschan diese instabile Lage für militärisches Vorgehen nutzen könnte. Schon vor Beginn des jüngsten Beschusses war die humanitäre Lage in Bergkarabach katastrophal gewesen, weil Aserbaidschan den einzigen Zugang Armeniens in die Exklave – den sogenannten Latschin-Korridor - blockierte.
In Armeniens Hauptstadt Eriwan brachen am Dienstagabend heftige Proteste gegen die eigene Regierung aus, es kam teils zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Demonstranten forderten von Regierungschef Nikol Paschinjan ein entschiedeneres Vorgehen sowie Unterstützung der armenischen Bewohner Bergkarabachs.