China Die Angst vor dem roten Drachen

Wegen seines Wirtschaftswachstums und seinen rund 1,3 Milliarden Einwohnern hat China rasch an Bedeutung gewonnen. Doch im Reich der Mitte treten die inneren Widersprüche immer deutlicher zu Tage.

Gut 15 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks mit der Sowjetunion als führender Macht herrschen heute nur noch in China, Vietnam, Kuba und Nordkorea kommunistische Parteien uneingeschränkt. Gerade im Reich der Mitte treten die inneren Widersprüche immer deutlicher zu Tage, an denen das kommunistische Imperium scheiterte. Die wirtschaftlichen Erfolge des Landes spiegeln sich vor allem in den Megastädten.

Wegen seines dramatischen Wirtschaftswachstums - seit 20 Jahren im Schnitt zehn Prozent pro Jahr - und seinen rund 1,3 Milliarden Einwohnern hat China für die Weltwirtschaft rasch an Bedeutung gewonnen. Weil der Staat eine dominante Rolle im chinesischen Wirtschaftsgeschehen spielt, können politische Beziehungen vor allem bei Großaufträgen den Ausschlag geben. In den kommenden Jahren wird China sowohl als Käufer deutscher Waren als auch als Produktionsstandort deutscher Firmen immer wichtiger. Einige Experten warnen jedoch vor einer übertriebenen China-Euphorie auf Kosten anderer Wachstumsmärkte.

Experten setzen auf die Zukunft

China kaufte im vergangenen Jahr deutsche Waren im Wert von 21 Milliarden Euro und damit nur knapp drei Prozent der deutschen Exporte. China lag auf Platz zehn der wichtigsten Käuferländer deutscher Produkte, hinter der Schweiz und vor Polen. Experten setzen jedoch vor allem auf die Zukunft. "Das Niveau ist nicht entscheidend, sondern die Zuwachsraten", erklärt Volkswirt Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

Allein seit 1997 haben sich die deutschen Exporte nach China vervierfacht. "Da ist noch viel Luft nach oben drin - China hat ein Riesenpotenzial", sagt Christina Rentzmann, China-Referentin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). "Das Land ist einer der wenigen Märkte, wo noch richtig etwas passiert." Zudem profitiert die deutsche Wirtschaft davon, dass China als Wachstumsmotor die Nachfrage aus dem ganzen asiatischen Raum beflügelt. Im Gegenzug hat Deutschland aus China 2004 Waren im Wert von 32 Milliarden Euro gekauft - vor allem Elektrogeräte wie Fernseher und Computer.

Maschinen waren im vergangenen Jahr mit 7,5 Milliarden Euro mit Abstand der größte deutsche Exportschlager im Handel mit China. "China hat sehr stark in seinen Kapitalstock investiert - das passt genau zur Spezialisierung der deutschen Wirtschaft. Deshalb haben deutsche Firmen überproportional von dem Boom profitiert", erläutert Carsten-Patrick Meier vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Daneben führte Deutschland Autos im Wert von 2,8 Milliarden Euro, Elektrogeräte für 1,8 Milliarden Euro und chemische Erzeugnisse für 1,5 Milliarden Euro aus.

Einige Experten warnen, dass die derzeitige Begeisterung der deutschen Wirtschaft über die Geschäftsmöglichkeiten in China übertrieben sein könnte. "Die derzeitige China-Euphorie erinnert mich manchmal an den Internetboom", warnt IfW-Experte Meier. Auch DIHK-Volkswirt Treier sieht angesichts des rasanten Wachstums Fragezeichen hinter dem chinesischen Wirtschaftswunder: "Die Firmen bauen dort große Kapazitäten auf - dafür muss aber auch die dortige Binnennachfrage in Schwung kommen, sonst drohen deflationäre Tendenzen." Ihre Fixierung auf China sollte deutschen Firmen zudem nicht den Blick auf andere Wachstumsmärkte verstellen. So prognostiziert die Deutsche Bank, dass die Wirtschaft in Indien bis 2020 noch schneller wachsen wird: "In China werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen."

Währungsverhältnisse geordnet

Mit der Stärkung seiner Wirtschaftsmacht und dem aufkommenden Tourismus hat China auch seine Währungsverhältnisse geordnet. Nachdem eine spezifische Ausländerwährung schon vor Jahren abgeschafft wurde, ist es Reisenden auch möglich in großen Hotels und Banken Devisen umzutauschen. 1969 wurde als offizielle Bezeichnung für die heimische Währung der Renminbi (RMB), übersetzt "Volkswährung", eingeführt. Der Yuan ("kleine Münze") bezeichnet die Währungseinheit. Auch in der Bevölkerung wird die Bezeichnung Yuan und nicht Renminbi verwendet. Die mehr als ein Jahrzehnt währende feste Bindung zum Dollar (zuletzt: 8,28 Yuan je Dollar) hat Chinas Notenbank zu Gunsten eines Währungskorbes aufgegeben. Zugleich wurde die Währung um 2,1 Prozent auf 8,11 Yuan je Dollar aufgewertet.

Große strategische und wirtschaftliche Bedeutung für die Staatsführung hat die Insel Hainan im Süden Chinas. Die mit rund 34.000 Quadratkilometern größte Insel der Volksrepublik ist seit 1988 eigene Provinz und eine mit besonderen Privilegien ausgestattete Wirtschaftssonderzone. Sie beherbergt einen bedeutenden chinesischen Luftwaffen-und Marinestützpunkt und gilt zugleich als wichtigste Militärbasis für das Südchinesische Meer. Die fast sieben Millionen Einwohner der an Bodenschätzen reichen gebirgigen Insel von der Größe Nordrhein-Westfalens leben vor allem von der Landwirtschaft und dem Tourimus. In den 80er Jahren von den chinesischen Behörden gehegte Träume, die "Schatzinsel" neben Singapur, Südkorea, Taiwan und Hongkong als fünften "kleinen Tiger" in Südostasien aufzubauen, haben sich bislang nicht erfüllt.

Kluft zwischen Arm und Reich

Ministerpräsident Wen Jibao will das rasante Wirtschaftswachstum des Landes etwas abbremsen und dabei sicherstellen, dass mehrere hundert Millionen Bauern nicht den Anschluss an den Aufschwung verlieren. Die Kluft zwischen Arm und Reich sowie zwischen ländlichen Regionen und Städten soll weiter abgebaut werden. Es wird erwartet, dass Finanzminister Jin Renqing in diesem Jahr ein geringeres Defizit im Staatsbudget anpeilt als in den vergangenen Jahren.

Dagegen hat China seine Militärausgaben in diesem Jahr weiter kräftig aufgestockt, um 12,6 Prozent auf 247,7 Milliarden Yuan (rund 23 Milliarden Euro). Auch im Vorjahr waren die Ausgaben um einen zweistelligen Prozentsatz gewachsen. Die Armee, die 2,3 Millionen Soldaten umfasst, ist in den vergangenen Jahren stetig modernisiert worden. China hat das weltweit größte stehende Heer. In den Atomclub stieg das Land 1964 auf. Die Zahl der chinesischen Nuklearsprengköpfe wird auf etwa 400 geschätzt. Seit Mitte der 80er Jahre läuft ein Modernisierungsprogramm. Wenige Wochen nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung am "Platz des Himmlischen Friedens" am 4. Juni 1989 in Peking verhängten die Europäische Union und die USA Waffenembargos. Beide sind bis heute gültig. Die USA verbieten Exporte militärischer Güter in die Volksrepublik in gesetzlicher Form; in der EU hat das Embargo vor allem politisches Gewicht. Details regeln die Mitgliedsländer.

Der Tiananmen-Platz in Peking war 1989 Hauptschauplatz der blutigen Konfrontationen zwischen chinesischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Der "Chinesische Frühling", die wochenlang anhaltenden Kundgebungen für Demokratie und Freiheit, wurde vom Militär gewaltsam niedergeschlagen. Der Einsatz tausender Soldaten, Panzer und Schützenpanzer kostete unzählige Menschen das Leben. Die Schätzungen reichen von mehreren hundert bis zu mehreren tausend. Der 1651 angelegte Platz ist seit langem das Symbol politischer Macht. Mao Tse-Tung hatte hier am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China ausgerufen.

Gewaltsame Annexion Tibets

Anfang der fünfziger Jahre wurde Tibet, einst ein selbstständiger Staat auf einem Hochplateau nördlich des Himalaya, von China gewaltsam annektiert. Ihr Versprechen, das politische System sowie die religiöse und kulturelle Identität der Tibeter zu respektieren, haben die Kommunisten gebrochen. Stattdessen drängten sie dem abgeschieden Land ihr marxistisches System auf. Gegen die Herrschaft der Chinesen wehrten sich die Tibeter 1959 in einem erfolglosen Aufstand. Der Dalai Lama, einst die höchste geistige und weltliche Autorität, floh ins Exil nach Indien. Dort wurde er zum Symbol des gewaltlosen Widerstands gegen die Unterdrückung seiner Heimat. Der Friedensnobelpreisträger des Jahres 1989 besteht heute nicht mehr auf einer politischen Unabhängigkeit seiner Heimat, sondern verlangt nur noch eine "echte Autonomie".

Während Zehntausende seiner Landsleute ebenfalls flüchteten, leisteten andere zu Hause Widerstand, der sich immer wieder in Unruhen entlud. Die Chinesen reagierten mit dem Einsatz von Soldaten, scharfen Überwachungsmaßnahmen, strengen Kontrollen des religiösen Lebens und der Zerstörung zahlloser Klöster. Mit der systematischen Ansiedlung von Chinesen droht die eingesessene Bevölkerung zur Minderheit im eigenen Land zu werden. Insgesamt leben heute in dem 1,2 Millionen Quadratkilometer großen Land nur 2,5 Millionen Menschen. Ihre wichtigste Erwerbsquelle ist die Landwirtschaft. Im 1965 formal zur "Autonomen Region" erklärten Tibet sind der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge seit 1987 "Tausende von Personen verhaftet (worden), die sich meist friedlich für die Unabhängigkeit ihrer Heimat eingesetzt" hätten. Unter den "hunderten" politischen Gefangenen seien "zahlreiche Nonnen und Mönche".

Die ostasiatische Insel Taiwan ist mit einer Fläche von rund 36.000 Quadratkilometern etwas größer als Nordrhein-Westfalen. Die Inselrepublik mit rund 22 Millionen Einwohnern hat sich zu einer florierenden Handelsnation entwickelt, liegt jedoch in ständigem politischen Streit mit China. Die kommunistische Regierung in Peking betrachtet das demokratische Taiwan als abtrünnige Republik. Taiwan war früher unter dem Namen Formosa portugiesische und spanische Kolonie und stand schließlich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unter japanischer Kolonialherrschaft. Seit 1949 herrschen dort Nationalchinesen, die nach der Niederlage gegen die Kommunisten im Bürgerkrieg auf die Insel flohen. 1992 wurde erstmals das Parlament und 1996 der Präsident frei gewählt.

Die Straße von Taiwan, auch als "Formosastraße" bekannt, trennt die kommunistische Volksrepublik von der demokratischen Inselrepublik. Die Straße von Taiwan ist seit mehr als einem halben Jahrhundert immer wieder Schauplatz von Krisen: 1949 floh Chiang Kai-shek, Präsident Nationalchinas, mit hunderttausenden Soldaten und vielen Beamten vor den kommunistischen Truppen Mao Tsetungs nach Taiwan. Die Insel wurde zur Republik China, doch wandten sich die meisten Staaten von Taiwan ab, als sie diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik aufnahmen. Peking will die Wiedervereinigung mit Taiwan nach dem Hongkonger Autonomie-Modell, droht aber mit einem Militäreinsatz, falls sich die Insel formell unabhängig erklären sollte. Um dieser Drohung auch Gewicht zu verleihen, hat Chinas Volksbefreiungsarmee in der Meeresenge regelmäßig umfangreiche Militärmanöver oder sogar auch Raketentests unternommen, die zu Spannungen in der Meeresenge führen.

Armenhaus und Konfliktherd

Die Provinz Xinjiang an der früheren Seidenstraße, die ein Sechstel der Fläche Chinas und ein Viertel seiner Außengrenze umfasst, zählt zu den Armenhäusern Chinas und gilt zugleich als ein ethnischer Konfliktherd. In einem Gebiet von der fast fünffachen Größe Deutschlands leben nur etwa 17,5 Millionen Menschen. Fast die Hälfte von ihnen sind muslimische Uiguren, knapp 40 Prozent Han-Chinesen. Seit sich Peking die Provinz 1955 als "Autonome Region" im Nordwesten einverleibte und Han-Chinesen ansiedelte, kämpfen die Uiguren für die Unabhängigkeit des ehemaligen Ostturkestans. Menschenrechtsorganisationen warfen Chinas Führung in den vergangenen Jahren immer wieder die brutale Unterdrückung Xinjiangs mit Hilfe von systematischer Folter, Massenverhaftungen und Todesurteilen gegen muslimische Separatisten vor. Peking macht im Gegenzug militante Unabhängigkeitskämpfer für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich.

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters

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