Der Supreme-Court-Richter Clarence Thomas gerät in den USA durch Medienrecherchen immer mehr unter Druck: Laut der Non-Profit Investigativ-Plattform ProPublica und der "Washington Post" missachte der 74-Jährige jahrzehntelang Vorschriften zur Offenlegung von Zuwendungen und machte fehlerhafte Angaben über seine Einkünfte.
In den letzten zwei Jahrzehnten habe Thomas in den jährlichen Berichten, in denen die Mitglieder des Supreme Courts ihre Finanzen offenlegen müssen, Mieteinnahmen seiner Familie in Höhe von Hunderttausenden von Dollar von einer Immobilienfirma in Nebraska namens Ginger, Ltd, Partnership angegeben, berichtet jetzt die "Washington Post". Dieses Unternehmen, das in den 1980er-Jahren von seiner Frau und ihren Verwandten gegründet worden sei, gebe es jedoch seit 2006 nicht mehr.
In jenem Jahr sei die Firma der Familie geschlossen und ein separates Unternehmen gegründet worden, wie aus den staatlichen Gründungsunterlagen hervorgehe. Die neue Firma, Ginger Holdings, LLC, trage einen ähnlichen Namen, werde aber in Thomas' Unterlagen nicht erwähnt. Der Richter habe stattdessen weiterhin Einkünfte aus dem stillgelegten Unternehmen angegeben – in den letzten Jahren zwischen 50.000 und 100.000 Dollar jährlich.
Clarence Thomas ließ sich von Großspender einladen
Selbst wenn es sich bei der jahrzehntelangen Falschangabe nur um einen Schreibfehler handeln sollte, reiht sich diese ein in eine lange Serie von Fehlern und Auslassungen in Thomas' Finanzunterlagen. Anfang April hatte ProPublica aufgedeckt, dass der erzkonservative Richter seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder Einladungen des republikanischen Großspenders Harlan Crow zu Luxusreisen angenommen hat, ohne diese offenzulegen.
Thomas, der ein Jahresgehalt von 285.000 Dollar beziehe, habe mehrfach auf Crows Superyacht Urlaub gemacht, sei mit dem Privatjet des Geschäftsmannes aus Dallas geflogen, habe mit ihm Bohemian Grove besucht, einen exklusiven Rückzugsort nur für Männer in Kalifornien, und habe sich auf Crows weitläufige Ranch in Osttexas einladen lassen, berichtete ProPublica. Außerdem verbringe der Richter in der Regel jeden Sommer etwa eine Woche in Crows privatem Resort in den Adirondacks, einem Gebirge im nordöstlichen Teil des Bundesstaates New York. Darüber hinaus habe Thomas im Jahr 2014 drei Grundstücke in Georgia an Crow verkauft, darunter auch das Haus, in dem seine 94 Jahre alte Mutter Leola Williams derzeit lebe. In seinen Finanzberichten sei aber weder von den Luxusreisen noch von den Immobilienverkäufen irgendetwas zu lesen.
Thomas erklärte in einer Stellungnahme, dass Kollegen, deren Namen er nicht nannte, ihm gesagt hätten, dass er die Urlaube nicht melden müsse, und dass er sich immer bemüht habe, die Offenlegungsrichtlinien einzuhalten. In Hinblick auf die Grundstücksverkäufe sagte eine Person aus dem Umfeld des Richters dem Sender CNN, dass Thomas seine Formulare immer mit Unterstützung von Helfern ausgefüllt habe und dass es ein Versehen gewesen sei, die Transaktion nicht zu melden. Der Richter beabsichtigte, seine Finanzinformationen entsprechend zu ändern.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Thomas seine Angaben nachbessert: Im Jahr 2011 änderte er laut CNN frühere Formulare, um Einkommen anzugeben, das seine Frau, die konservative Aktivistin Virginia "Ginni" Thomas, zwischen 1998 und 2003 von der Heritage Foundation, einer konservativen Denkfabrik, bezogen hatte – nachdem die Nichtregierungsorganisation Common Cause Fragen dazu aufgeworfen hatte. Thomas erklärte damals, die Informationen seien "versehentlich ausgelassen" worden. Er habe die Anweisungen für die Einreichung nicht verstanden.
Im Jahr 2017 verschwieg Thomas dem Sender zufolge Rückerstattungen im Zusammenhang mit seiner Lehrtätigkeit an der Creighton University School of Law. Außerdem habe er seine Angaben für 2018 nachträglich um Transportkosten und Mahlzeiten während seiner Lehrtätigkeit an zwei Universitäten ergänzt, nachdem die Interessenvertretung Fix the Court auf das Fehlen aufmerksam geworden war.
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Crow räumte gegenüber ProPublica ein, dass er der Familie Thomas "über die Jahre hinweg Gastfreundschaft" gewährt habe, dies sich aber "nicht von der Gastfreundschaft unterscheidet, die wir unseren vielen anderen lieben Freunden gewährt haben". Außerdem habe der Richter nie darum gebeten. Er und seine Frau hätten zudem nie ein Gerichtsverfahren mit Thomas besprochen, versicherte der Milliardär aus Texas. "Wir haben nie versucht, Richter Thomas in einer rechtlichen oder politischen Frage zu beeinflussen."
Crow hat nach Angaben von ProPublica mehr als zehn Millionen Dollar an öffentlich ausgewiesenen politischen Spenden geleistet und unterstützt Bemühungen, die US-Justiz nach rechts zu rücken.
Demokraten fordern Untersuchung von Thomas' Verhalten
Thomas hatte zuletzt im vergangenen Jahr mit einer Stellungnahme zum gekippten Abtreibungs-Präzedenzurteil "Roe v. Wade" für Wirbel gesorgt. Darin kündigte der 74-Jährige an, dass nun auch andere Grundsatzurteile, wie etwa das Recht auf Verhütung, die gleichgeschlechtliche Ehe oder Sex unter gleichgeschlechtlichen Partnern auf den Prüfstand müssten. Außerdem zog er sich nicht von Fällen zurück, in denen es um die Beteiligung seiner Frau an den Bemühungen ging, die Präsidentschaftswahlen 2020 zu kippen. Medienberichten zufolge soll Ginni Thomas nach der Abwahl von Donald Trump im Jahr 2020 versucht haben, gegen das Wahlergebnis vorzugehen. Deshalb wurden Forderungen laut, Thomas dürfte bei Fällen im Zusammenhang mit Trump nicht auf der Richterbank sitzen. Der Richter ignorierte diese aber.
Angesichts der nun erhobenen Vorwürfe gegen Thomas forderte die demokratische Mehrheit im Justizausschuss des Senats vergangene Woche eine Untersuchung seines Verhaltens. Der Vorsitzende des Supreme Courts, John Roberts, solle "unverzüglich" eine Untersuchung darüber einleiten, "wie ein solches Verhalten unter seiner Aufsicht stattfinden konnte", heißt es in einem Schreiben der demokratischen Mitglieder des Ausschusses. Man werde "in den kommenden Tagen" eine Anhörung über "die Notwendigkeit, das Vertrauen in die ethischen Standards des Obersten Gerichtshofs wiederherzustellen" abhalten.
Quellen: ProPublica, "Washington Post", CNN, CNBC