Die Republikaner machen es sich wirklich nicht leicht. Als wäre das parteiinterne Gemetzel im Repräsentantenhaus nicht nervenaufreibend genug gewesen, müssen die Konservativen all ihre Hoffnung weiterhin auf einen 77-jährigen Mann stützen, gegen den in mehreren Bundesstaaten zivil- und strafrechtlich ermittelt wird.
Dass Donald Trumps Weste nicht mal mehr als eierschalenweiß durchgeht, das wissen selbst seine hartgesottensten Anhänger – tief in ihrem Inneren, versteht sich. Dass ihr Heilsbringer vielleicht schon mit einem Zeh im Gefängnis steht, gestehen sich wohl die wenigsten Trumpisten ein.
Und doch ist es so – zumindest was die Anklage wegen mutmaßlichen Wahlbetrugs im US-Bundesstaat Georgia anbetrifft. Denn hier, im Fulton County, will die Justiz nicht nur den Ex-Präsidenten, sondern auch seinem ehemaligen Rudel an den Kragen. Erst am Dienstag bekannte sich eine von Trumps ehemaligen Anwältinnen vor Gericht der Beihilfe zu Falschaussagen für schuldig. Sie ist bereits die vierte Mitangeklagte, die ihrem einstigen Chef in den Rücken fällt. Und genau mit dem steht Trump allmählich an der Wand.
Drei seiner Ex-Trump-Anwälte retten lieber sich selbst
2024 dürfte für Trump ein Jahr der Herausforderungen werden, der politischen und der logistischen. Gut möglich, dass er seine Wahlkampfroute nach Gerichtsterminen wird ausrichten müssen. Angesichts der zahlreichen juristischen Scherereien, hier ein kurzes Worst-of:
In New York wurde der Immobilienmogul bereits von einem Richter des Finanzbetrugs schuldig gesprochen, es droht ein Geschäftsverbot und Strafzahlungen im dreistelligen Millionenbereich. Wegen seines mutmaßlich sträflichen Umgangs mit Staatsgeheimnissen klagt die Staatsanwaltschaft den Republikaner in Florida in 40 Punkten an, unter anderem wegen Verschwörung und Justizbehinderung. Und in Washington muss er sich für seine wie auch immer geartete Rolle bei der Stürmung des Kapitols im Januar 2021 im März erstmals vor Gericht verantworten.
Einen ausführlichen Überblick finden Sie hier:
Was von Trumps juristischen Problemen übrig bleibt

Erst am 10. Januar, zehn Tage vor Trumps Rückkehr ins Weiße Haus, verkündete Richter Merchan das Strafmaß: Er bestätigte den Schuldspruch der Jury, erließ Trump jedoch in die "bedingungslose Straffreiheit"
Doch nirgendwo dürfte es für Trump so gefährlich werden wie in Georgia. Fani Willis, die Bezirksanwältin von Fulton County, wirft ihm vor, den Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2020 manipuliert haben zu wollen. Im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Joe Biden hatte Trump damals Georgias Wahlleiter Brad Rafffensberger aufgefordert, die für den Sieg in seinem Bundesstaat nötigen rund 12.000 Wählerstimmen zu "finden". Und nicht nur das: Der damalige Präsident wies Raffensberger angeblich an, den legitimen Sieg seines Herausforderers nicht zu bestätigen. Die Lüge vom gestohlenen Triumph ist unter seinen Fans der wohl populärste Schlachtruf.
Die Staatsanwaltschaft in Georgia sieht das freilich etwas anders und klagte Trump im August in 13 Punkten an – auf jedem einzelnen davon stehen fünf bis 20 Jahren Haft. Das aus Trump-Sicht größte Problem an der Sache: Im Gegensatz zum Strafverfahren auf Bundesebene unter Sonderermittler Jack Smith steht Trump in Georgia nicht allein im Visier der Justiz. Neben dem Ex-Präsidenten sind auch 18 seiner Unterstützer angeklagt – und zumindest einige davon sind sich offenbar selbst näher als ihrem Ex-Chef.
"In der Hektik des Versuchs, die Wahl in mehreren Staaten, darunter auch Georgia, anzufechten, habe ich es versäumt, meiner Sorgfaltspflicht nachzukommen", erklärte die Juristin Jenna Ellis am Dienstag vor einem Gericht in Atlanta unter Tränen. Zuvor hatte sie sich der Beihilfe zu Falschaussagen schuldig bekannt. "Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich es abgelehnt, Trump bei diesen Klagen nach der Wahl zu vertreten", behauptete sie. Richter Scott McAfee akzeptierte das emotionale Schuldeingeständnis. Im Gegenzug soll sie fünf Jahre auf Bewährung absitzen, 5000 US-Dollar Rückerstattung zahlen, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten und sich schriftlich bei Georgias Bevölkerung entschuldigen. Außerdem musste sie versprechen, im kommenden Verfahren auszusagen.
Ellis ist nicht die erste Abtrünnige, immer mehr Finger zeigen auf Trump. Die 38-Jährige ist bereits die vierte mutmaßliche Komplizin, die einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingeht. Vergangene Woche hatten die prominenten Ex-Anwälte Kenneth Chesebro und Sidney Powell, im Monat zuvor der weniger bekannte Mitangeklagte Scott Hall mit den Behörden kooperiert.
Das Rico-Gesetz – Staatsanwältin Willis' mächtigste Waffe
Die Angeklagten gegeneinander auszuspielen, das war von Beginn an Teil von Willis' Strategie. In der Annahme, dass auch die Loyalität zu Trump ihre Grenzen hat, übte die Anklage massiven Druck auf die vergleichsweise unbedeutenderen Namen auf der Anklagebank ausgeübt. "Den Leuten auf den unteren Stufen wird in der Regel ein gutes Angebot gemacht, um die großen Fische an der Spitze zu fangen", erklärt Kay Levine, Juraprofessorin an der Emory University in Atlanta, gegenüber der "New York Times". Skeptiker hatten zur Beginn moniert, eine solche Kollektivklage würde viel zu lange dauern. Doch die Vehemenz, mit der Willis vorging, überraschte alle.
Ihr mächtigstes Werkzeig ist dabei das sogenannte Rico-Gesetz. Die eigentlich für mafiöse Organisationen erdachte Verordnung ermöglicht es, die Straftaten mehrerer Angeklagter zusammenzufassen. In der Anklageschrift werden Trump und seine mutmaßlichen Komplizen als kriminelle Vereinigung gehandelt. Weil mit Rico drakonische Strafen verbunden sind, ist der Anreiz zum Singen groß.
Die Frage ist inzwischen weniger, ob noch jemand auspackt – sondern, wann. Experten gehen davon aus, dass die ersten vier Deserteure nur der Anfang waren.
Georgia könnte Trump auch in Washington gefährlich werden
Nun muss sich Trump allerdings nicht nur darum sorgen, dass ihm halb vergessene Ex-Berater in den Rücken fallen. Denn auf der Anklageliste stehen auch Schwergewichte wie New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani und sein ehemaliger Stabschef Mark Meadows. Letzterer kooperiert im Zusammenhang mit der Erstürmung des Kapitols in Washington laut Informationen des Senders "ABC News" inzwischen mit den Bundesermittlern. In Georgia plädierte Meadows auf nicht schuldig und blieb bislang standhaft. Knicken hier noch weitere Nebencharaktere ein, könnte sich das ändern. Sobald Willis einen potenziellen Kronzeugen wie Meadows an Land gezogen hat, beginnt für Trump das große Schwitzen. Denn abgesehen von Giuliani und Powell dürfte niemand sonst besser über Trumps Kellerleichen Bescheid wissen.
Umgekehrt kommt jeder Etappensieg der Anklage in Georgia auch den Kollegen in Washington zugute. Denn Sonderermittler Jack Smith kann Beweismittel und Aussagen aus dem Süden grundsätzlich auch vor Gericht in der Hauptstadt einreichen. Doch müsste er die Abweichler selbst noch einmal vorladen, um deren Aussagen zu bestätigen. In Washington wiederum könnten die ihre Aussage verweigern – auch wenn sie es in Georgia nicht mehr dürfen.
Und dann wäre da noch der Faktor Zeit. Das Verfahren in Washington, dieser prestigeträchtigste aller Prozesse, soll schon Anfang März starten – bis dahin hat aber vermutlich noch keiner der Deserteure in Georgia eine offizielle Aussage gegen Trump gemacht.
Das Georgia-Team könnte den Washingtoner Kollegen immerhin inoffizielles Material wie etwa Abschriften oder Videoaufnahmen der Zeugenaussagen überlassen. Sollte Willis im Gegenzug ihrerseits Zugriff auf Smiths Informationen verlangen, dürfte es schwierig werden. Denn dieses Material ist größtenteils unter Verschluss. "Ehrlich gesagt, wenn Jack Smith neben mir stehen würde, bin ich mir nicht sicher, ob ich wüsste, wer er ist", sagte Willis kurz vor der Anklageerhebung im August. Laut "New York Times" beschränkt sich die Zusammenarbeit zwischen Willis und Smith nach wie vor auf ein Minimum. Mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Und je komplizierter, desto besser für Trump.
Donald Trumps Beliebtheit leidet nicht
Trumps Verteidiger begnügen sich derzeit hauptsächlich mit dem trumpschen Einmaleins: Sie diffamieren jeden Abweichler als Lügner. Für den Wahlkampf mag das reichen. Dass ihr Präsident alsbald ein verurteilter Verbrecher sein könnte, das kümmert die Trump-Anhänger wenig – im Gegenteil. Die Anklagen, so gefährlich sie ihm auch werden können, nähren seine Mär der linkspolitischen "Hexenjagd". Je enger es für Trump juristisch wird, desto glaubwürdiger seine Inszenierung als bürgerlicher Widerstandskämpfer. Seine Umfragewerte gehen seit Monaten stetig bergauf, ernstzunehmende "Verfolger" gibt es schon lange nicht mehr.
Ob das Gift- und Gallespucken auch für den Gerichtssaal taugt, ist eine ganz andere Frage. Im Fall der Fälle dürfte Trumps Verteidigung auf Uneinigkeit unter den Geschworenen setzen. Sollte zum Prozessende auch nur ein Geschworener gegen eine Verurteilung stimmen, käme der Ex-Präsident davon.
Klar ist allerdings inzwischen: Wenn Trump irgendetwas hinter Gitter bringen kann, dann vermutlich die Menschen, die ihn ursprünglich dort heraus und im Weißen Haus drin halten sollten.