Schon der Gipfel war seine Idee, vielleicht hätte man also etwas ahnen können. Am Montag trafen sich über 25 Staatschefs und Regierungsvertreter in Emmanuel Macrons Amtssitz zur Krisenbesprechung. Auf der Tagesordnung die Frage: Wie kann die Ukraine unterstützt und gegen Putin verteidigt werden? Und zwar durch die Europäische Union – auch ohne die USA?
Im Elysée-Palast nannte man die Konferenz "wahrhaft bedeutsam", noch ehe sie überhaupt begonnen hatte. Statt Müdigkeit werde jetzt Entschlossenheit an den Tag gelegt, erfuhren die Journalisten beim Briefing. Putin werde in der Ukraine nicht gewinnen.
Eine mentale Zeitenwende für Europa
Das klang ganz anders als die übliche Sorgen-Rhetorik. Und das sollte es auch: Gastgeber Emmanuel Macron will eine mentale Zeitenwende für Europa einläuten. Schluss mit dem ewigen Defätismus, mit den lähmenden Zweifeln. Schon seit Längerem legt Frankreichs Staatschef gegenüber Moskau einen deutlich verschärften Ton an den Tag. "Wir werden alles Nötige tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann", sagte er zum Abschluss der Konferenz.

So weit, so Konsens. Auf die Frage, was denn nun "alles Nötige" sein soll, gab es auch nach diesem Abend keine konkrete Antwort. Deutlich hingegen wurde: Emmanuel Macron macht Druck. In Frankreich ist Symbolpolitik wichtig und allein die Tatsache, dass all die Staatschefs im Élysée zusammenkommen und sich gemeinsam handlungsbereit zeigen, ein Signal. Zudem stellt sich Frankreich klarer als je zuvor an die Seite Polens und der baltischen Länder.
Olaf Scholz will keine "Taurus"-Marschflugkörper schicken? Dann schickt Frankreich eben weiter "Scalps" und gründet mit anderen Staaten eine Koalition für Langstreckenwaffen. Olaf Scholz hat Angst davor, "Kriegspartei" zu werden? Macron betont stets, dass Frankreich in Form von Desinformation und Cyber-Angriffen bereits eine Zielscheibe des Kremls sei. "Die Niederlage Russlands ist für Europas Sicherheit und Stabilität unerlässlich", erklärte er folglich am Montag. Ob er auch bereit sei, westliche Soldaten in die Ukraine zu schicken? Nichts dürfe ausgeschlossen werden, so Macron. Eine Botschaft nach Moskau.
Eurobonds für die Bewaffnung der EU?
Mit seinem Auftritt signalisiert Frankreichs Präsident: Es reicht nicht, darüber nachzudenken, wann für Putin möglicherweise eine rote Linie überschritten sei. Europa müsse "aufbrechen" – und aufrüsten. Wie das gehen soll? Es ist kein Geheimnis, dass Macron den Vorschlag von Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas unterstützt. Seit geraumer Zeit fordert die einen EU-Investitionsfonds, um den Verteidigungsapparat und die Unterstützung für Kiew gemeinschaftlich zu finanzieren: Eurobonds für die Bewaffnung der EU.
Schon während der Corona-Pandemie war Macron eine treibende Kraft hinter diesem Modell gewesen. Damals hatte die EU erstmals ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale geworfen und zur Bewältigung der Krise gemeinsam Schulden aufgenommen.
Macron hat wenigstens Ideen
Aus deutscher Sicht gilt Macron oft als wortgewaltiger Drängler, der rhetorische Bälle in den Raum wirft, mit denen die anderen dann spielen sollen. Und er gilt als einer, der für große Ideen viel Geld ausgeben will. Allerdings muss man auch sagen: Macron hat wenigstens Ideen. In seinen schillernden Reden klingt es stets, als sei Europa ein Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten – wenn nur das alte Motto der drei Musketiere ein wenig stärker beherzigt würde: Einer für alle, alle für einen. Es geht aus französischer Perspektive erst einmal um den politischen Willen. Und dann ums Geld.
Der Zeitdruck gibt Macron leider Recht: Es ist absehbar, dass die USA den Kampf der Ukraine gegen Putin nicht auf Dauer finanzieren können, auch nicht wollen. Und das Beispiel der Bundeswehr zeigt, wie schwer es selbst dem wohlhabendsten Staat der EU fällt, seine Armee auf Stand zu bringen.
Die Eurobonds oder ein äquivalentes Instrument könnten ein erster und vor allem praktikabler Ausweg aus diesem Dilemma sein. Unterstützung dafür kommt unter anderem von EU-Kommissar Thierry Breton. Der Franzose hatte schon vor Jahren die Gründung eines europäischen Verteidigungsfonds vorgeschlagen, um die Produktion von Rüstungsgütern beschleunigen zu können. Deutschland hat sich zum Thema Eurobonds oder einem vergleichbaren Mechanismus noch nicht eindeutig positioniert. Macron hat klar gemacht, welche Richtung Europa seiner Einschätzung nach einschlagen müsse: "Wir sind nicht im Krieg mit der russischen Bevölkerung, aber wir wollen sie in der Ukraine nicht gewinnen lassen."
Deeskalation klingt anders. Nun wird es vor allem darum gehen, was auf diesen symbolischen Aufschlag folgt. Olaf Scholz, so war zu hören, sei nach der Konferenz kommentarlos abgereist.