Entführungsopfer "Er ging aus schierer Not"

  • von Holger Witzel
  • und Kuno Kruse
Weil er als Hochbauingenieur in Mecklenburg keinen Job mehr fand, suchte Rüdiger Diedrich eine neue Chance in Afghanistan. Als man seine Leiche fand, war sie von Kugeln durchsiebt.

"Mit den Leuten komme ich gut klar - wenn sie denn morgens überhaupt erscheinen." Das hatte Rüdiger Diedrich seinem Freund Hans Burmeister in Mecklenburg berichtet. Die Männer hatten oft über das Internet miteinander telefoniert. An Freundlichkeit mangele es den afghanischen Kollegen nicht, manchmal dafür etwas an der Arbeitsdisziplin. Die Hitze sei erträglich, und die Unterkunft sei ihm sowieso egal. Er hätte ja draußen reichlich zu tun: Straßen-, Häuser- und Staudammbau.

Arbeit gibt es in Afghanistan genug. Deshalb war der umtriebige Hochbauingenieur auch ins Land am Hindukusch gekommen. Weil es zu Hause in Mecklenburg keine Arbeit mehr für ihn gab. "Es war keine Abenteuerlust, er ging doch aus schierer Not", sagt sein Freund, ein Taxiunternehmer.

Rüdiger Diedrichs, 43 Jahre alt, wurde mit seinem deutschen Kollegen Rudolf B., 62, und afghanischen Begleitern in der Region Wardak entführt. Am Samstag vergangener Woche fand man Diedrichs Leiche.

Mehr als ein Dutzend Angestellte

Nach der Wende war Rüdiger Diedrich Bauleiter für das Unternehmen "Rüßel Hotels" gewesen, das in Mecklenburg-Vorpommern alte Schlösser sanierte und zu Luxusherbergen umbaute. Daneben gründete Diedrich seine eigene Baufirma. Die Geschäfte gingen gut, mehr als ein Dutzend Leute hatte er in seinem Betrieb angestellt.

Dann entdeckten Ärzte bei ihm einen Tumor in der Leber. Die Geschwulst war groß, aber gutartig. Doch nach der Operation wachte er nicht wieder auf. Wochenlang lag er im Koma, kam anschließend nur mühsam wieder auf die Beine. Als er in seine Firma zurückkehrte, stand er vor dem Chaos.

Er lachte viel, machte oft Witze

Rüdiger Diedrich verkleinerte das Unternehmen und machte trotzig weiter. Die Menschen in Teterow, wo er mit Frau und Sohn in einem schlichten Haus am Stadtrand wohnte, erlebten einen meist gut gelaunten Hansdampf des Baugewerbes, der immer neue Einfälle hatte und anderen gern half, wenn es darum ging, Förderung für deren Finanzierung zu bekommen. Er lachte viel, machte oft Witze - und er war keiner, der beim Arbeiten fror. Auch beim Essen geriet er manches Mal ins Schwitzen. "Das hat er genossen", sagt Hans Burmeister. Bier dagegen hat er schal werden lassen.

Doch hinter der fröhlichen Fassade versteckte er zunehmend größere Sorgen. Die Lieferantenrechnungen häuften sich, die Aufträge wurden weniger, und die Außenstände immer höher. Das Baugewerbe ist gerade in strukturschwachen Regionen hart umkämpft. Die Nachfrage nach Neubauten ist gering, wenn die Einwohnerzahl wie in Teterow seit der Wende permanent sinkt.

Er nahm jeden Job an

Diedrich nahm jetzt jeden Job an: Ställe bauen, Knasttüren, zuletzt Parkbänke. Doch dann ging der Kleinunternehmer pleite und der Familienvater in private Insolvenz. Das war im Juni 2004. Seine Frau versuchte in einer kleinen Halle Restposten zu verramschen, eine Ich- AG, mit der sie ein paar Cent dazuverdienen wollte.

Diedrich ging auf Jobsuche, verkaufte nebenbei Trödel. Das Arbeitsamt, das gleich gegenüber seinem Haus lag, hatte nichts für ihn. Als ehemals Selbstständiger bekam er kein Arbeitslosengeld, sondern gleich Sozialhilfe. "Mensch, mach dir keinen Kopf, du bist doch sowieso in Privatinsolvenz", hatte Freund Burmeister oft gesagt. Aber der Familienvater machte sich einen Kopf.

Ständige Sorge um den Sohn

Denn da war noch die ständige Sorge um den Sohn. Der Junge war schwerhörig, hatte eine Gehörlosenschule besucht. Er trug zwar jetzt ein Hörgerät, aber es blieb ein Handicap. Das wollte der Vater ausgleichen. Manchmal mit Verwöhnung, viel aber mit Förderung. Doch was sollte werden, wenn die Familie von Sozialhilfe leben musste? Sollte jetzt etwa noch das soziale Stigma hinzukommen, wenn er seinem Jungen kein neues Sweatshirt kaufen könnte? So hat er es dem Freund gesagt.

Nach der Insolvenz war die Familie aus dem kleinen Teterow in die größere Stadt Wismar gezogen. Wegen des Jungen, sagte der Vater. Er wolle ihm mehr bieten, als die eine Bushaltestelle, an der sich die Jugendlichen für gewöhnlich treffen. Vor allem aber war es seine eigene Scham: Es gab Gläubiger im Ort, die immer wieder mal an seiner Tür klingelten.

Suche nach einem Job

Ingenieur Rüdiger Diedrich suchte weiter nach einem Job, bei der Arbeitsagentur, in Zeitungen, im World Wide Web. Auf einem der wenigen Fotos von ihm feiert er seinen vierzigsten Geburtstag. Ein Alter, in dem es schwierig wird, in Mecklenburg etwas Neues zu finden. Egal, wo. Dann fand er das Angebot der Firma Kabul-Berlin- Corporation (KBC). Das war vor ungefähr einem Jahr.

Diedrich polierte sein Englisch auf, dann ging er erst einmal für vier Monate zur Probe an den Hindukusch, seine persönliche Freiheit zu verteidigen. Erst bei der KBC-Kabul, dann als freier Ingenieur. Wenn er zwischendurch zu Besuch nach Deutschland kam, nahm er auf dem Rückweg viele Medikamente mit. Denn nach der Operation an der Leber machte ihm ein Diabetes Probleme. Aber auch die Zuckerkrankheit konnte seinen Einsatz nicht bremsen. Zuletzt war er in der Region Wardak tätig, 100 Kilometer südwestlich von Kabul, auf der Strecke nach Kandahar. Felsen, flimmernde Hitze, Schotterpisten und kleine Pfade, die hinauf in die Berge führen. Ein Ort der Verbannung - mit vielen Baustellen, vor allem für Straßen.

Aufbauarbeit als gottloses Werk

Gerade die engagierte Arbeit für das Land macht fremde Ingenieure zum Ziel für terroristische Taliban. Davon ist der Berliner Terrorismus-Experte Berndt Georg Thamm überzeugt: "Die Taliban führen ihren Heiligen Krieg jetzt auch gegen die zivilen Helfer aus dem Westen, weil sie deren Aufbauarbeit als gottloses Werk ansehen." Seit einigen Monaten gilt bei den Mudschaheddin ein neues "Militärisches Regelbuch" ("Dschihadi Laayha"), in dem die Direktive 26 feststellt: "Diejenigen Nichtregierungsorganisationen, die unter der gegenwärtigen Regierung der Ungläubigen ins Land gekommen sind, sind Werkzeuge der Regierung. Sie zerstörten den Islam, daher sind alle ihre Aktivitäten verboten, sei es der Bau von Straßen, Brücken, Kliniken, Schulen." Wenn etwa eine wieder aufgebaute Schule trotz Warnung nicht schließe, solle sie verbrannt werden, bestimmt das Regelwerk des "Islamischen Emirats Afghanistan", das Ausländer bloß als Unterstützer der gehassten Karsai-Regierung ansieht.

"Es kommt im Einzelfall gar nicht mehr darauf an, ob Banden, Stämme oder militärische Kommandeure für Entführungen und Morde verantwortlich sind, die Lage am Hindukusch hat sich insgesamt dramatisch verschlechtert", warnt Thamm.

"Vorher verschwinde ich lieber"

Am Telefon erzählte Rüdiger Diedrich dem Freund manchmal von seiner Angst. Er sei immer nur in afghanischer Begleitung unterwegs. Aber die Bedrohung für ihn rücke spürbar näher. Einmal schlug ganz in der Nähe seiner Unterkunft eine Granate ein. "Bevor sie uns hier an der Jacke kriegen, verschwinde ich lieber."

Sie haben ihn gekriegt und verschleppt. Als man ihn fand, war sein Körper von den Schüssen einer AK-47 durchsiebt.

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