Eine entsprechende Empfehlung gab EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn am Mittwoch in Brüssel ab. Grund ist die anhaltende Weigerung Ankaras, Häfen und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge des EU-Mitglieds Zypern zu öffnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen begrüßten die Entscheidung. "Wir bestätigen, dass die Verhandlungen weitergehen, aber mit einem langsameren Tempo", erklärte Rehn.
Erdogan nennt Entscheidung inakzeptabel
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die Empfehlung der EU-Kommission. Eine solche Entscheidung sei inakzeptabel, sagte Erdogan nach Angaben des privaten Senders NTV. Einer seiner Berater, Egemen Bagis, sagte dem Sender: "Wir werden niemanden gestatten, auf unseren Rechten herumzutrampeln."
In Berlin fand die EU-Empfehlung ein unterschiedliches Echo. Der Vorsitzende des Bundestag- Europaausschusses Matthias Wissmann (CDU) sprach am Mittwoch von einem "ersten Schritt in die richtige Richtung". Dagegen bezeichnete der Vize-Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, die Kommissionsempfehlung als "unzureichend". Sie müsse nachgebessert werden.
Unterschiedliches Echo in Berlin auf Türkei-Empfehlung
Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle begrüßte wiederum die Brüsseler Türkei-Entscheidung, 8 von 35 Kapitel der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen. Die Grünen- Vorsitzende Claudia Roth verwies auf die positiven Äußerungen von Papst Benedikt XVI. zu einer EU-Mitgliedschaft der Türkei. CDU und CSU sollten "ihre Stimmungsmache" gegen die Türkei einstellen.
Die Empfehlung erfolgte rund eine Woche früher als geplant. Diplomaten in Brüssel erklärten, die EU-Kommission habe nicht den Eindruck, dass sich die Türkei in dieser Frage noch bewegen werde. Merkel wertete den Beschluss, Druck auf Ankara auszuüben, als "starkes Signal". Am Rande des Nato-Gipfels in Riga forderte sie die Türkei auf, das so genannte Ankara-Protokoll zur Ausweitung der Zollunion umzusetzen. Dieses hat die Türkei Ende Juli 2005 unterzeichnet. Rasmussen erklärte, die Türkei habe ihre Verpflichtungen nicht erfüllt: "Das muss natürlich Konsequenzen haben."
Blair und Zapatero gegen Abbruch der Beitrittsverhandlungen
Wie Rehn wandten sich der britische Premierminister Tony Blair und der spanische Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero aber gegen einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Es wäre "ein schwerer Fehler", der Türkei jetzt ein negatives Signal zu senden, betonte Blair. Zapatero forderte, die Tür zur EU für Ankara offen zu lassen. Ungeachtet der Brüsseler Empfehlung soll der finnische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident Matti Vanhanen am Freitag in die Türkei reisen, um Möglichkeiten für einen Kompromiss in letzter Minute auszuloten.
Rehn betonte, dass bis zum EU-Außenministertreffen am 11. Dezember noch die Chance für eine Einigung bestehe. Die endgültige Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beitrittsverhandlungen mit Ankara fortgesetzt werden sollten, liegt beim Brüsseler EU-Gipfel, der am 14. und 15. Dezember zusammenkommt. Zypern ist seit dem Einmarsch türkischer Truppen 1974 geteilt. Während der vor allem von griechischen Zyprern bewohnte Süden der Insel international anerkannt und Mitglied der EU ist, ist das türkische Nordzypern international isoliert.