Mehrere US-Soldaten haben nach einem Bericht des Fernsehsenders CBS Iraker in einem Gefängnis bei Bagdad schwer misshandelt. Wie der US-Sender am Donnerstag unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Washington berichtete, müssen sich sechs Militärpolizisten vor einem Militärgericht verantworten. CBS zeigte Bilder vermutlich vom November 2003, auf denen Insassen des Abu-Ghraib-Gefängnisses zu sehen sind, die misshandelt und entwürdigend behandelt werden. Der Sprecher der US-Truppen im Irak, Brigadegeneral Mark Kimmitt, äußerte sich "entsetzt" über die Bilder.
17 Soldaten vom Dienst suspendiert
Insgesamt wurden dem Fernsehbericht zufolge wegen des Verdachts, Gefangene misshandelt zu haben, im vergangenen Monat 17 Soldaten im Irak vom Dienst suspendiert, darunter die für das Gefängnis verantwortliche Brigadegeneralin. Die entlarvenden Bilder seien von einem Militärpolizisten gemacht worden, hieß es. Auf Bitten des US- Verteidigungsministeriums hatte der Sender die Ausstrahlung des Berichts um zwei Wochen verzögert. Die Militärführung befürchtete eine Verschärfung der Spannungen im Irak.
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Den vollständigen Bericht und das Video finden Sie auf der Internetseite von CBS hier
Dem Bericht nach waren es amerikanische Soldaten, die im Abu-Ghraib-Gefängnis als Militärpolizei eingesetzt waren, welche diese Aufnahmen machten. Die Untersuchungen begannen, nachdem ein Soldat solche Fotos von einem Freund bekam und sie seinen Vorgesetzten weiterleitete. Die Reaktion der Nachrichtensendung "60 Minutes II" hat nach eigenen Angaben Dutzende dieser Bilder - und es soll sehr viel mehr davon geben. Alle zeigen GIs, Männer und Frauen in Militärkleidung, die mit nackten Irakern posieren.
Ganze "Spielszenen" inszeniert
Auf einem Bild sind die nackten Gefangenen zu einer 'menschlichen Pyramide' gestapelt, einem wurde ein obszönes Wort in englischer Sprache auf die Haut geschrieben. Auf anderen Bildern wurden die männlichen Gefangenen so 'arrangiert', dass sie aneinander sexuelle Handlungen simulieren. Es gibt auch Gerüchte, dass es nicht bei den simulierten Handlungen geblieben sein soll. Auf den meisten Bildern lachen die Amerikaner dabei und posieren in Siegerpose. Die Gefangenen sollen auch gezwungen worden sein, sich gegenseitig zu schlagen. Alle Soldaten, gegen die ermittelt wird, sind noch im Irak.
Bisher konnte von CBS nur ein Angeklagter namentlich identifiziert werden, es ist der Soldat Sgt. Chip Frederick. "60 Minutes" gelang mit ihm ein Telefonat nach Bagdad zu den erhobenen Vorwürfen, welches auf ihrer Internetseite wiedergegeben wird. Demnach will Frederick auf "nicht Schuldig" plädieren, weil die Armee durch ihre Art der Gefängnisleitung quasi den Missbrauch duldet.
"Wir hatten keine Unterstützung, keine Ausbildung,...ich habe meine Vorgesetzten nach Regeln gefragt," so Frederick. "Aber es kam nichts." Er schien besonders gut für den Job im Gefängnis geeignet zu sein - auch in seiner Heimat Virginia arbeitete Frederick in einem Gefängnis. Als er nach Abu-Ghraib kam, half er dem militärischen Geheimdienst. Seine Aufgabe soll es gewesen sein, die Gefangenen auf die Vernehmungen 'vorzubereiten'. "Mit unserer Art der Behandlung haben wir geholfen, sie vorzubereiten," so Frederick. "Für gewöhnlich haben wir sie innerhalb weniger Stunden gebrochen." All dies soll mit Wissen und mit ausdrücklichem Lob des militärischen Geheimdienstes passiert sein.
US-Truppen beginnen Rückzug aus Falludscha
Unterdessen entspannte sich die Lage um die von US-Truppen belagerte Stadt Falludscha. Würdenträger aus der umkämpften Stadt und Vertreter des US-Militärs vereinbarten am Donnerstag einen schrittweisen Rückzug der Truppen. Für die Ordnung in der Rebellen- Hochburg sollen die örtliche irakische Polizei und der irakische Zivilschutz zuständig sein. Das Kommando in der Stadt werde ein ehemaliger General und Divisionskommandeur aus der Armee des gestürzten Diktators Saddam Hussein übernehmen, sagte der Verhandlungsführer der Falludscha-Abordnung, Ahmed Hadran, dem arabischen Fernsehsender El Dschasira.
Bei neuen Angriffen und Attentaten im Irak wurden am Donnerstag insgesamt zehn US-Soldaten getötet, mindestens sechs Iraker kamen bei verschiedenen Zwischenfällen ums Leben. US-Außenminister Colin Powell äußerte sich in Kopenhagen zuversichtlich über die Verabschiedung einer neuen Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrates bis zum 1. Juli. Nach einem Gespräch mit dem dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen sagte Powell, diese werde auch die Bedenken europäischer Länder berücksichtigen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach sich für ein stufenweises Vorgehen bei den diplomatischen Bemühungen um eine Lösung der Irak-Krise aus. Zunächst sollten die Bemühungen des UN-Beauftragten Lakhdar Brahimi für eine neue UN-Resolution abgewartet werden, sagte er dem Fernsehsender N24. Erst wenn diese vorliege, sollten sich Länder wie Deutschland, Frankreich, Spanien oder Großbritannien über das weitere Vorgehen in der Vereinten Nationen abstimmen.
Powell appeliert an London
US-Außenminister Colin Powell hat indirekt an Großbritannien appelliert, weitere Soldaten in den Irak zu entsenden. In einem Interview mit der konservativen Tageszeitung "The Times" (Freitagausgabe), sagte Powell: "Ich möchte den Briten keineswegs nahelegen, was sie tun oder lassen sollen, aber zusätzliche Soldaten wären in der gegenwärtigen Situation nützlich.".
Er könnte sich auch vorstellen, dass Frankreich dazu bereit wäre, Sicherheitspersonal für den Schutz von UN-Vertretern bereitzustellen, die zur Überwachung von Wahlen in den Irak geschickt werden könnten. "Ich erwarte von Frankreich keine Entsendung von Soldaten, aber es gäbe noch andere Dinge, die Frankreich tun könnte. Wir brauchen Kräfte für den Schutz von UN-Personal..."
Die britische Regierung hat ihren Entscheidungsprozess über die mögliche Entsendung weiterer Soldaten noch nicht abgeschlossen. Die USA sollen London gedrängt haben, die vom Abzug der Spanier aus dem Irak hinterlassene Lücke zu füllen. Nach Medienberichten soll sich die britische Militärführung aber gegen eine Entsendung von Truppen in "gefährliche" Zonen des Irak sträuben. Das bisherige britische Kontingent von rund 7500 Mann ist im Süd-Irak stationiert.
Größtes Zuchthaus im Irak
Das Abu-Ghraib-Gefängnis war das größte Zuchthaus des Irak und liegt rund 30 Kilometer westlich von Bagdad. Ein Blick ins Innere zeigt einen trostlosen Mittelgang, an den Seiten reiht sich Zelle an Zelle. Türen gibt es nicht, nur Gitterstäbe und blanke Wände. Bis zu 80 Menschen waren in solchen Räumen eingepfercht. "Es war immer etwas Besonderes, wenn die Sonnenstrahlen hereinschienen", erzählt ein ehemaliger politischer Gefangener, der jahrelang in einer dieser Zellen eingekerkert war. "Wenn die Sonne schien, haben wir unsere Arme und Beine durch die Gitter gesteckt, um ein paar Strahlen abzubekommen."
Aussicht auf Tageslicht gab es in einigen Zellen so gut wie nie. Oft wurden mehrere Gefangene in winzige Kerker, so genannte Korrekturzellen, gesperrt - die kargen Kämmerchen boten kaum Platz zum Umdrehen. Bis zu sechs Menschen seien hier wochenlang eingekerkert gewesen, berichten ehemalige Insassen. Hier mussten sie auch ihre Notdurft verrichten. Die perfide Idee stammte vom jüngsten Saddam-Sohn, Udai Hussein.
Während des Schreckensregimes von Saddam Hussein drangen nur wenige Informationen über die Zustände im Abu-Ghraib-Gefängnis an die Außenwelt. Allein am 27. Januar 2000 sollen hier 26 politische Gefangene hingerichtet worden sein. Viele wehrten sich bis zuletzt verzweifelt gegen die Exekution. "Man möchte ja nicht sterben, einige wollten die Zellen nicht verlassen. Die hat man dann mit Gewalt rausgezerrt. Sie bekamen Schläge, auf den Kopf und auf die Beine", erinnert sich der damalige Henker Saad Abdul Amir.
Gehenkt wurde immer mittwochs und sonntags
Mehr als 600.000 Iraker sollen unter dem Regime von Saddam Hussein hingerichtet worden sein. Gehenkt wurde immer mittwochs und sonntags. Unter den Verurteilten waren viele Schiiten aus Nadschaf und Kerbala. Ob an dem Strick im Hinrichtungsraum auch Ausländer starben, ist nicht bekannt. "Sie wurden einer nach dem anderen hingerichtet. Es ist eine schnelle Prozedur, die Hinrichtung dauert gerade zwei Minuten. Wenn es 20 Hinrichtungen waren, dann dauert es anderthalb bis zwei Stunden, nicht länger", sagt Amir.
Viele Angehörige haben von ihren Familienmitgliedern nie wieder etwas gehört, nachdem sie ins Abu-Ghraib-Gefängnis gebracht worden waren. Nach dem Fall des Saddam-Regimes suchten Hunderte nach Spuren ihrer Angehörigen, so etwa im Haus eines Ex-Geheimdienstoffiziers. An der Wand hingen Todeslisten mit Namen und Datum der Hinrichtung.
Wie viele Menschen in dem Gefängnis inhaftiert waren, wie viele exekutiert wurden - niemand kann das exakt nachvollziehen, auch weil die Toten beinahe spurlos verschwanden. Man entnahm den Leichen die Augen "für die Forschung", sagt Amir. "Die Augenhöhlen wurden mit Watte gefüllt, die Leiche wurde auf dem Gefängnisgelände vergraben", erklärt der Henker. Auf dem Areal wurden etliche Massengräber ausgehoben.
Weder Reue noch Mitleid
Reue oder Mitleid empfindet Amir nicht. "Es stimmt, ich habe diese Dinge gemacht, aber ich trage keine Schuld. Ich habe diesen Job getan, wie andere ihren Job auch machen. Auch wenn meine Arbeit ein bisschen anders war. Ich bete zu Gott, und ich hoffe, er wird mir meine Sünden verzeihen", sagt er. "Falls ich überhaupt welche begangen habe." Seine Augen verraten keine Gefühle. Er trägt eine große Sonnenbrille.