Adrien Quatennens, Politiker der französischen linkspopulistischen Partei "La France Insoumise" (LFI), hatte im September öffentlich zugegeben, seine Frau geohrfeigt zu haben. Darüber hatte auch der stern berichtet. Im Dezember verurteilte ein Gericht ihn dann wegen häuslicher Gewalt zu einer viermonatigen Haftstrafe auf Bewährung. Seine Partei hat ihn für vier Monate suspendiert. Vergangene Woche ist Quatennens dennoch, vorerst als fraktionsloser Abgeordneter, in die französische Nationalversammlung zurückgekehrt.
Die Ohrfeige war im laufenden Scheidungsprozess der Eheleute Quatennens durch Gerichtsunterlagen an die Öffentlichkeit gelangt. Quatennens gab sie kurz danach zu und bekundete öffentlich seine Reue. In seiner Partei und in dem gesamten Linksbündnis "Nupes" hatte es daraufhin Verwerfungen gegeben, da es von einigen Parteikollegen offene Unterstützung für Quatennens gab. Vor allem LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon wurde scharf kritisiert, da er Quatennens, ein enger Vertrauter von ihm, auf Twitter "Vertrauen und Zuneigung" ausgesprochen hatte. Seine Rückkehr in die Nationalversammlung vergangene Woche bezeichnete Mélenchon zudem als richtig, da er eine "lange Strafe" gehabt habe.
Häusliche Gewalt: Céline Quatennens berichtet von jahrelanger "psychischer und psychologischer Gewalt"
Im November letzten Jahres hatte Céline Quatennens dann erneut Vorwürfe erhoben. Bei der Ohrfeige habe es sich laut ihrer Aussage nicht um einen einmaligen Ausraster ihres Noch-Ehemannes gehandelt. Gegenüber "AFP" äußerte sie, er habe sie über mehrere Jahre hinweg "physischer und psychologischer Gewalt" ausgesetzt. Adrien Quatennens ließ diese Vorwürfe über seine Anwältin dementieren. Dennoch rückte seine Partei nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe zunächst von seiner baldigen Rückkehr in die Nationalversammlung ab. Man wolle erst ein Gerichtsurteil abwarten, hieß es. Nachdem Quatennens verurteilt wurde, folgte die Suspendierung. Ob diese nach den vier Monaten verlängert wird und wie seine Zukunft in der Nationalversammlung aussieht, ist ungewiss. Die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet sprach sich diese Woche öffentlich im Fernsehsender "France 2" dafür aus, Quatennens solle sich selbst als Abgeordneter erneut zur Wahl stellen und die Wähler:innen über seine endgültige Rückkehr entscheiden lassen.
Von anderen Seiten wird die Rückkehr des Abgeordneten kritisch gesehen. Aurore Bergé, Fraktionsvorsitzende von Macrons "Renaissance"-Partei, machte im französischen Fernsehen deutlich, dass Quatennens ihrer Ansicht nach keinen Platz in der Nationalversammlung mehr haben könne. "Wir werden das nicht durchgehen lassen", sagte sie. Mélenchons Unterstützung für seinen politischen Gefährten bezeichnete sie als "Beleidigung gerichtet an alle Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind." Olivier Faure, Abgeordneter der Sozialisten, sagte laut französischen Medienberichten, seine Partei hätte sich für einen kompletten Parteiausschluss statt bloß einer vorübergehenden Suspendierung ausgesprochen.
Vorwürfe gegenüber Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg
Der Fall von Quatennens und die darüber entbrannten Diskussionen sind in Frankreich kein Einzelfall. Allein im letzten Jahr gab es mehre Vorwürfe körperlicher und sexueller Übergriffe gegenüber LFI-Abgeordneten, aber auch über das Linksbündnis hinaus. Über Jérôme Peyrat, der letztes Jahr für die Partei "Ensemble!" für das Parlament kandidiert hatte, war bekannt geworden, dass er 2020 wegen häuslicher Gewalt gegenüber seiner damaligen Partnerin verurteilt worden war. Daraufhin zog er seine Kandidatur zurück – sein Amt als Bürgermeister der Gemeinde La Roque-Gageac übt er jedoch weiterhin aus.
Macrons ehemaligem Minister für Solidarität und Menschen mit Behinderung, Damien Abad, wurde von mehreren Frauen sexuelle Übergriffe, in einem Fall auch Vergewaltigung vorgeworfen. Die Frau, die ihm Vergewaltigung vorwirft, zeigte ihn an – daraufhin wurde eine Untersuchung gegen Abad eingeleitet, die weiter andauert. Er streitet alle Vorwürfe vehement ab, verurteilt wurde Abad bislang nicht. Trotzdem musste er im Juli 2022 nach nur zwei Monaten sein Amt wieder niederlegen. Als Abgeordneter seiner Fraktion sitzt aber auch er wieder in der Nationalversammlung.
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Annette: Von den Vergewaltigungen und den Machetenhieben habe ich lange Zeit große Schmerzen gehabt. Dass ich aber meine Geschichte mit anderen Menschen und vor allem mit meinem Sohn Peter geteilt habe – das hat mir eine Last genommen, das hat mich befreit. Damals, nach dem Völkermord, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich noch lange durchhalten würde. Ich lebte von einem Tag zum nächsten, die Zeit schleppte sich so dahin. Und jetzt ist das Ganze schon 25 Jahre her. Mir geht es besser: Mein Sohn wird bald seinen Abschluss an der Universität machen, selbstständig sein und seine eigene Familie gründen.
Peter: Acht Jahre ist es jetzt her, dass mir meine Mutter von der Vergewaltigung erzählt hat. Sie ist mit mir ins Schlafzimmer gegangen und hat mir alles berichtet, eben auch, dass ich das Ergebnis der Tat bin. Das war für mich sehr schwer zu akzeptieren. Aber meine Mutter liebt mich, genauso mein Stiefvater – das hat mir sehr geholfen. Die Beziehung zu meiner Mutter ist sehr gut. Sie ist mein bester Freund. Was mich selbst angeht, da bin sehr optimistisch: Ich studiere, will später eine Firma gründen und so Jobs für viele Leute schaffen.
Nach dem Bekanntwerden des Falles Quatennens klagte ein Kollektiv von über 500 Feministinnen im September in der Tageszeitung "Libération" offen die Vorwürfe gegenüber verschiedenen Politikern und den politischen Umgang mit ihnen an. Es gebe ein parteiübergreifendes Problem von Übergriffen und eine "männliche Solidarität", die die Täter schütze.
Quellen: TF1 Info, Marianne, Libération, Spiegel, L'internaute