Der Streit zwischen den Nato-Partnern Griechenland und der Türkei nimmt neue Ausmaße an. Athen befürchtet aufgrund der aggressiven Politik unter dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Eskalation im Mittelmeer. Der griechische Außenminister Nikos Dendias hat sich deshalb in einem Brief an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gewandt.
Die Praxis in der Ägäis löse Probleme in Griechenland aus, aber schade vor allem auch dem europäischen Umfeld insgesamt und verstoße gegen den europäischen Besitzstand, so Dendias. "Diese wiederholte türkische Praxis schafft ein gefährliches Sicherheitsumfeld und erhöht die Möglichkeit eines 'Unfalls', der von Ankara ausgenutzt werden könnte, um die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei zu verschärfen."
Der griechische Außenminister bezieht sich in seinem Schreiben auf einen Vorfall vom 5. Januar, wie es aus diplomatischen Quellen heißt. Dabei sei die griechische Küstenwache bei einer Operation in griechischen Gewässern von der türkischen Küstenwache bedrängt worden. Konkret soll es dazu gekommen sein, als die griechische Marine im Seegebiet südöstlich von Farmakonisi drei türkische Fischerboote identifizierte, welche in griechischen Hoheitsgewässern fischten.
Dendias beklagt generell, dass die türkischen Fischer die Zusammenarbeit verweigerten und sich oft aggressiv verhielten – nicht nur gegenüber der griechischen Küstenwache sondern auch gegenüber griechischen Fischereifahrzeugen. Der griechische Außenminister stellt fest: "Eine Haltung, die sich gegen die legitime Fischereitätigkeit der griechischen Fischer richtet". "Es ist leicht zu verstehen, welche Folgen eine solche Entwicklung für die gesamte Region, aber auch für die europäisch-türkischen Beziehungen haben wird", führt Dendias fort. Er wirft den türkischen Beamten eine aggressive Rhetorik vor, "die fast täglich unprovoziert Drohungen gegen Griechenland aussprechen".
"Zusammen mit den Vorfällen, die die nationale Souveränität in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer in Frage stellen, ist es klar, dass die Türkei mit ihrer illegalen und unregulierten Fischerei (IUU-Fischerei) ein weiteres Mittel zur Umsetzung ihrer revisionistischen Politik einsetzt und den Status quo der Region in Frage stellt", heißt es in dem Schreiben. Sofern die Türkei die Praxis fortsetzt, schlägt Dendias Maßnahmen der EU vor, etwa ein Verkaufsverbot von Fischereierzeugnisse auf dem EU-Markt. Der Brief an den EU-Außenbeauftragten soll auch ein Signal an die Türkei sein, dass die Toleranz in Athen gegenüber bestimmten Dingen zu Ende gehe.
Griechenland: Streit mit der Türkei im Mittelmeer
Griechenland sieht durch die Aktivitäten der Türkei seine Souveränität in Gefahr. Es kommt nahezu täglich zu einem Aufeinandertreffen türkischer und griechischer Streitkräfte. Erst am Montag berichtete der griechische Fernsehsender Open TV von schweren Konfrontationen der Luftwaffe beider Nachbarländer. Demnach kam es über den Mittelmeerinseln zu Luftraumverletzungen durch insgesamt 20 türkische Kampfjets – 16 davon bewaffnet – woraufhin es zu Konfrontationen mit griechischen Kampfflugzeugen kam. Das griechische Militär befindet sich aufgrund der angespannten Lage in Alarmbereitschaft und führt immer wieder Übungen im Mittelmeer durch. Am Mittwoch begann westlich der Insel Psara in der östlichen Ägäis eine Übung mit einem Kriegsschiff und vier Kampfjets. Nächste Woche soll eine noch deutlich größer angelegte Militärübung mit fast der gesamten Marineflotte im Mittelmeer starten.
Die beiden Länder streiten schon lange um die Seerechte. Hintergrund sind unter anderem die Ansprüche von Gebieten zur wirtschaftlichen Nutzung, wie zu Erdgasbohrungen im Meer. Und Ankara wirft Athen etwa vor, die Inseln im östlichen Mittelmeer zu militarisieren. Währenddessen hat die Türkei selbst an der Ägäisküste die größte Landungsstreitmacht im Mittelmeer stationiert. Inzwischen drohte Erdogan Griechenland auch schon offen mit Krieg. Möglicherweise könnte in der Kriegsrhetorik aber nicht der Wunsch einer militärischen Eskalation stecken, sondern vielmehr das Bemühen, vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Türkei im kommenden Juni von den innerpolitischen Problemen abzulenken. Aber auch ein Sabotageakt und eine Eskalation mit Griechenland gilt als nicht ausgeschlossen. Das bekräftigt schließlich das Schreiben Dendias' an Borrell.
Vom Kalten Krieg bis zur russischen Invasion der Ukraine: die Chronik der Nato

Zehn westeuropäische Länder, die USA und Kanada gründen in Washington die Nato, um der Bedrohung durch die Sowjetunion zu begegnen. Sie verpflichten sich zum gegenseitigen Beistand im Falle eines Angriffs ("Bündnisfall"). Nach und nach wird die Allianz in den folgenden Jahren erweitert. Im Foto: die Vertreter der beteiligten Länder während der feierlichen Unterzeichnungszeremonie am 4. April 1949 in Washington D.C.
Unstimmigkeiten gibt es zudem in der Flüchtlingsthematik. Erdogan warf Griechenland zuletzt vor, Flüchtlinge im Mittelmeer zu "töten", während die türkische Marine geflüchtete Menschen im Meer rette. Athen wiederum beschuldigt Ankara, Flüchtlinge in der Türkei illegal nach Griechenland einreisen zu lassen (Pushforward).