In den Tagen ihrer schwersten Niederlage erhält Hillary Clinton so viel Lob wie selten zuvor in ihrer politischen Karriere. Barack Obama preist artig ihre historische Kandidatur und die Demokratische Partei ihren unermesslichen Beitrag für Amerikas Frauen. John McCain lobt ihr Beharrungsvermögen, und selbst ihre größten Feinde in den konservativen Talkshows bewundern den "Kampfeswillen einer Löwin". Für Millionen ihrer eigenen Anhänger ist sie spätestens seit diesem Samstag eine Märtyrerin, eine Evita der Neuzeit, die Anwältin der Schwachen und Unterdrückten.
In der Tat lieferte Hillary Clinton auf den ersten Blick einen starken Wahlkampf, in dem sie von Tag zu Tag besser wurde. Sie mobilisierte Millionen Frauen, sie gewann die wichtigen "Swing States" Ohio, Pennsylvania, Florida, New Mexico und schlug immer dann zurück, wenn alle Experten das "Comeback Girl" wieder mal abgeschrieben hatten. Hätte Hillary Clinton das Rennen gegen Obama gewonnen, wäre sie jetzt die klare Favoritin gegen John McCain bei den Wahlen im November.
Aber sie gewann nicht. Sie ging als große Favoritin ins Rennen und verlor. Sie hatte in den Umfragen bis zu 30 Prozent Vorsprung - und scheiterte. Sie verlor - in Zeiten zweier Kriege - gegen den jüngsten und unerfahrensten Kandidaten im Feld, gegen einen Mann mit der außenpolitischen Erfahrung eines Politnovizen. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen erlebte Hillary Clinton ein politisches Debakel.
Die Schuld trägt sie selbst
Sicher, sie hatte es mit sexistischen Angriffen zu tun, und - was schwerer wiegt - mit obamaverliebten Medien, die zu seinen größten Fans wurden. Doch Hillary Clinton scheiterte nicht am Sexismus oder CNN oder an diesem politischen Jahrhunderttalent aus Chicago, sondern an sich selbst. Die Niederlage war vermeidbar. Die Schuld trägt in erster Linie sie selbst. Sie hat Obama kläglich unterschätzt. Sie hatte ein eher mäßiges, zerstrittenes Wahlkampfteam. Und sie, die immer damit warb, von Tag 1 bereit zu sein für den härtesten Job der Welt, machte von Tag 1 an eine Reihe strategische Fehler, die sie keinem ihrer Mitarbeiter je verzeihen würde.
Es begann gleich am Anfang: Noch bevor Barack Obama und Hillary Clinton vor 17 Monaten ihre Kandidatur verkündeten, erhielt ihr Mann Bill einen Anruf von Mark Buell, einem der größten Unterstützer der Clintons. "Ihr wisst, Obama tritt auch an", sagte Buell dem Präsidenten, "ich habe es gerade von ihm selbst erfahren." "Obama ist nicht unser Problem", antwortete Clinton. "Unser Hauptgegner wird Edwards sein."
So sahen die Clintons das Rennen von Anfang an: Obama war hochtalentiert, aber zu jung. Inspirierend, aber ohne Substanz. Ein Leichtgewicht in Zeiten des Krieges. Einer, der den Vorwahlkampf als Trainingslauf begreifen würde für 2016 oder 2020.
Im Rückblick wundern sich Mark Buell und andere Clinton-Unterstützer über die Naivität der angeblich größten Politprofis der vergangenen zwei Jahrzehnte. Noch im Januar 2008, nach der Niederlage in Iowa, erklärte Hillary ihrem Freund Buell gegenüber, dass ihre Strategie weiterhin nicht darauf ausgerichtet sei, Obama zu schlagen, sondern McCain im November. Von Anfang an zielte ihr Wahlkampf auf den Sieg gegen die Republikaner, als habe sie die Vorwahlen schon in der Tasche. Sie wollte die Präsidentschaftswahl - wie einst ihr Ehemann - im politischen Zentrum gewinnen. An das Herz der Partei dachte sie dabei nicht.
Vorsicht wurde zum obersten Gebot
Im Herbst 2007, als die heiße Phase begann, wirkte Hillary zwar souverän, sie eckte nicht an, machte keine Fehler, doch ein Funke der Begeisterung sprang damals nicht über auf die Basis. Vorsicht wurde zum obersten Gebot, Misstrauen zur Doktrin. Dass sie sich in der Kriegsfrage, dort wo die Parteibasis am leidenschaftlichsten fühlte, weiter als Falke präsentierte, erleichterte ihre Aufgabe nicht.
Eine Parteiseele aber will berührt werden. Ein Land, das so gebeutelt ist von sieben Jahren Bush, will geheilt werden. Wähler, die so leidenschaftlich empfinden wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr, sehnen sich nach Inspiration. Doch ihre Leidenschaft entdeckte Hillary Clinton erst, als es zu spät war, in einem Diner in New Hampshire, in den Fabriken von Ohio, bei den Arbeitslosen in Pennsylvania.
Jene anfängliche Leidenschaftslosigkeit übertrug sich auf ihr Team. Während Obamas Leute für den eigenen Kandidaten schwärmten, mit ihm fieberten und litten, hatte Clinton eine Riege Parteibürokraten an ihrer Seite. Wer sie in den vergangenen Monaten begleitete, im Flugzeug, im Bus, in den Turnhallen und Kuhställen, wurde das Gefühl nicht los: Den Mitarbeitern geht es nur um zukünftige Jobs im Weißen Haus, nicht um den Esprit dieser Kampagne. Sie empfanden so viel Begeisterung für ihre eigene Kandidatin wie für Hillarys bunte Hosenanzüge, über die sie sich gern mokierten. Eine seelenlose Karawane zog da durchs Land, gut organisiert, aber genervt und technokratisch. Ihr Wahlkampf wurde nicht getragen von der Basis, sondern von einem Apparat, in dem kalte Strategen mit alten Rezepten gewinnen wollten.
Partei sehnte sich nach einem Neuanfang
Fatal war Clintons Fehleinschätzung der eigenen Partei. Sie hatte die vergangenen sechs Jahre im Senat genutzt, um die Superdelegierten in Stellung zu bringen. Sie hatte ihre Starpower eingesetzt und Millionen Dollar gesammelt für die Wahlkämpfe anderer Demokraten. Als Gegenleistung erwartete sie die Unterstützung durch die Superdelegierten, den Händedruck bei der Krönungszeremonie, die Einhaltung des alten Washingtoner Gesetzes, nach dem eine Hand die andere wäscht.
Doch auch die Partei sehnte sich insgeheim nach einem Neuanfang. Für Clinton war das die schmerzhafteste Lektion der vergangenen Monate: Parteifreunde, die sie sicher hinter sich wähnte, verließen sie in Scharen. In ihrem Team sahen sie dies als Dolchstoß ins Herz. Als heimtückischen Mord der Thronfolgerin. Jede Woche kapitulierte wieder einer ihrer alten Freunde - Bill Richardson, Maria Shriver, Tom Hanks - und entschieden sich für den jungen Charmeur aus Chicago.
Hillary Clinton sah sich als idealer "Commander-in-Chief" der Nation, wirkte aber nie wie die Oberkommandierende ihres eigenen Wahlkampfs. Sie hatte nur unzureichend für die organisationsintensiven Caucus-Wahlen geplant, wo Obama sich still und heimlich ein unschlagbares Netz von freiwilligen Helfern zusammenstellte. Sie hatte nie über den 5.Februar, den sogenannten Super Tuesday, hinaus geplant, während Obama schon längst Büros in den hintersten Winkeln der Staaten eröffnet hatte. Sie warf das Geld für dubiose Berater aus dem Fenster, und als sie es brauchte, für eine Reihe von Vorwahlen nach dem Super Tuesday, war es zu spät.
Grundregel nicht beachtet
Die Strategen an der Spitze, allen voran Mark Penn und Patti Solis Doyle, hatten zudem jene einfache Grundregel nicht beachtet, die John Kerry vor vier Jahren die Nominierung bescherte: Du musst Iowa gewinnen, die erste Abstimmung. Hätte Clinton Busladungen von Freiwilligen nach Iowa verfrachtet und nur 10.000 Stimmen mehr bekommen, wäre Barack Obama womöglich schon am 10. Januar nach den Vorwahlen von Iowa und New Hampshire erledigt gewesen.
Ihre Ausdauer war übermenschlich. Sie schlief kaum, sie arbeitete so hart wie kein anderer. Sie schlug alle anderen Mitstreiter - in Ausdauer, Disziplin, auch in der Fürsorglichkeit für ihre Mitarbeiter. Spät in der Nacht noch erkundigte sie sich bei Freunden nach ihrem Wohlbefinden und kümmerte sich persönlich um die Versorgung der Sicherheitsleute. In Debatten war sie Obama überlegen, die Details der Gesundheits- oder Rentenpolitik beherrschte sie wie kein anderer. Sie war die Härteste, die Klügste, doch man wurde das Gefühl nicht los, da kämpft jemand erfolglos gegen den Lauf der Geschichte an. Geschuldet war dies einem allgegenwärtigen Gefühl, dass Amerika nach acht Jahren Bush eine Generalüberholung braucht - und Hillary war das Gegenteil. Man kannte sie zu gut, man schätzte ihr Wissen und ihre Disziplin, man sah in ihr aber auch den klebrigen Link ins vergangene Jahrhundert.
Bill half ihr nicht
Es half ihr nicht unbedingt, dass sich Bill Clinton oft nicht zurückhalten konnte. Seine Aussagen waren oft harmloser, als das, was die Medien daraus machten, aber nicht wenige fragten sich, ob dieser weißhaarige Mann mit dem oft hochroten Kopf wieder ins Weiße Haus gehörte. Bei aller Wertschätzung des größten "Power-Couples" in der Geschichte der Demokraten, unterschätzte Hillary, dass die Partei sich nach dem sehnte, was der junge Gouverneur Bill Clinton in seinem Wahlkampf 1991 versprach: eine Frischzellenkur. Eine Wende. Einen Neuanfang. Auch einen personellen.
Tragisch aus ihrer Sicht ist, dass die Partei sich einwickeln ließ vom Charme eines Mannes, der weniger Erfahrung hat als George W. Bush, aber mit denselben oberflächlichen Argumenten antrat: ein Versöhner zu sein, kein Spalter. So dürftig das inhaltlich auch sein mochte - wer von sich behauptet, jede Strömung in der Bevölkerung zu spüren, jede Stimme zu hören, Anwalt der kleinen Leute zu sein, hätte auch darauf kommen können, dass der Wahlkampf im Jahr 2008 einem American-Idol-Wettbewerb gleicht. Wer sie aus der Nähe erlebte, konnte in ihr die lustige, charmante, selbstironische Frau aus dem Mittleren Westen sehen. Auf dem Weg ins Fernsehen blieb diese Hillary stecken.
Trotz all der Fehler sprechen viele von einem großartigen Wahlkampf. Großartig war ihr Kampfeswillen. Mit dem Rücken zur Wand wurde sie die Kandidatin, die sie von Anfang hätte sein müssen. Im Angesicht einer drohenden Niederlage bekam Ihr Wahlkampf erst eine Geschichte. Die Geschichte einer Frau, die es trotz bester Eignung womöglich nicht schafft, sich in der Männerdomäne Politik durchzusetzen. Eine Geschichte, mit der sich Millionen Frauen identifizieren konnten und versuchten, ihr noch zur Hilfe zu kommen.
Nur zu spät. Wie so oft in ihrem Wahlkampf. Will sie tatsächlich Vizepräsidentin werden, muss sie spätestens heute bei ihrer Rede in Washington anfangen, mal alles richtig zu machen.