Es war eine bemerkenswerte Szene, die sich am Donnerstag in Honduras Hauptstadt Tegucigalpa abspielte. Die erste Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris, schlenderte im angeregten Austausch mit der ersten Präsidentin in der Geschichte von Honduras, Xiomara Castro, durch den Präsidentenpalast.
Die erst zweite Reise von Harris nach Mittelamerika ist mehr als nur ein Zeichen der Unterstützung. Das Weiße Haus hofft mit Castro eine entscheidende Verbündete im Kampf gegen Armut und Korruption gewonnen zu haben, die jeden Monat Tausende Menschen an die Südgrenze der USA treiben. Allein im vergangenen Jahr meldete der US-Grenzschutz mehr als 300.000 Grenzübertritte von Menschen aus Honduras, die zweitgrößte Gruppe nach Mexiko.
In ihrer ersten Ansprache als Staatsoberhaupt versprach die linke Politikerin, Honduras zu einem "sozialistischen und demokratischen Staat" zu reformieren. "Wir müssen die Korruption der letzten zwölf Diktaturjahre entwurzeln", sagte die 62-jährige Castro, nachdem sie die Gegenwart der US-Vizepräsidentin begrüßt hatte. Neben Harris nahmen auch der spanische König Felipe VI. und Taiwans Vizepräsident William Lai an der feierlichen Vereidigung mit rund 29.000 Menschen teil. "Wir haben das Recht, uns auf Bürgerwerte und nicht auf Wucher zu besinnen", rief Castro ihren Anhängern zu.
Ein Tag der Hoffnung, so scheint es, in einem Land, in dem viele diese längst verloren haben.
Xiomara Castro: Honduras neue Hoffungsträgerin
Rund 70 Prozent der Menschen in Honduras leben in Armut. Die Corona-Pandemie hat die ohnehin schon schlechte Wirtschaftslage noch weiter verschärft und die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe getrieben. Zudem wird das Land von massiver Korruption und Drogenkriminalität geplagt. Laut dem aktuellen Transparency-International-Index befindet sich Honduras von 180 Ländern abgeschlagen auf Platz 157. Selbst der scheidende Präsident Juan Orlando Hernández steht im Verdacht, in den Schmuggel von Kokain in die USA verwickelt zu sein. Angesichts der schwierigen Lebensbedingungen sehen immer mehr Menschen keinen anderen Ausweg, als sich – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – auf den Weg Richtung USA zu machen.
Das alles will Xiomara Castro in den Griff bekommen. Im Wahlkampf hat die streng katholische Politikerin der Mitte-Links-Partei Libre ("Freiheit") viel versprochen: Konsequent gegen Kriminalität und Korruption vorzugehen sowie den Bürgerinnen und Bürger mehr Partizipation und Transparenz zu ermöglichen. In ihrer Amtsantrittsrede erneuerte sie das Versprechen und kündigte an, zügig Reformen einzuleiten. Nicht nur deswegen ist Castors Wahlsieg für viele ein historischer Einschnitt, sondern auch wegen ihrer persönlichen Geschichte.
Castor ist die Ehefrau des Ex-Präsidenten Manuel Zelaya – der die Wahl 2005 als Kandidat der Liberalen Partei gewonnen und Honduras einen Linksschwenk verpasst hatte. Doch vier Jahre später putschte die rechtskonservative Elite gegen ihn und seitdem stellte die Nationale Partei die Regierung im Land. Inzwischen beläuft sich die Gesamtverschuldung des Staates auf rund 15,5 Milliarden Dollar – was knapp 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. "Honduras war zwölf Jahre von der Oberfläche verschwunden. Ich erbe ein bankrottes Land. Das Volk muss erfahren, wo das Geld abgeblieben ist. Wo sind die Millionen Dollar, die geliehen wurden?", rief Castro bei ihrer Vereidigung vor einer jubelnden Menge.
Biden-Regierung will Castro für sich gewinnen
Nach den offiziellen Feierlichkeiten kam die frischvereidigte Präsidentin Castros zu bilateralen Gesprächen mit US-Vizepräsidentin Harris und ihrer aus Washington angereisten Delegation zusammen. Anschließend betonte die US-Vizepräsidentin gegenüber Reportern, dass sie optimistisch sei, dass die Partnerschaft helfen werde, die Bedingungen in der Region zu verbessern und die Migration nach Norden zu verhindern. "Ich war beeindruckt von der Leidenschaft, mit der sie [Castro] über ihre Priorität bei der Aufdeckung und Bekämpfung von Korruption gesprochen hat", sagte Harris.
Die Partnerschaft mit Honduras neuer Präsidentin könnte eine Schlüsselrolle in der Migrationspolitik der Biden-Regierung spielen. Das komplexe Thema steht ganz oben auf der Agenda der US-Vizepräsidentin. Seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr ist Harris auf der Suche nach Verbündeten in der Region – bisher mit mäßigem Erfolg. Sowohl in El Salvador als auch in Guatemala, wo Harris erst im Juni zu Besuch war, stehen die Regierungen selbst unter Korruptionsverdacht und fordern den Einfluss der Biden-Regierung heraus. Umso größer sind daher die Hoffnungen in Washington mit Castro endlich eine verlässliche Partnerin gefunden zu haben.
Als Zeichen der Unterstützung wollen die Vereinigten Staaten Honduras auch im Kampf gegen die Corona-Pandemie stärker unter die Arme greifen. Wie das Büro von Harris am Donnerstag ankündigte, sollen in den nächsten zwei Monaten "mehrere hunderttausend zusätzliche Dosen" Corona-Impfstoff sowie 500.000 medizinische Spritzen in das mittelamerikanische Land geliefert werden. Zudem will die Biden-Regierung 1,35 Millionen US-Dollar für die Renovierung von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen in Honduras sponsern.
China könnte neue Partnerschaft auf Probe stellen
Doch es steht auch Konfliktpotential für die neue Partnerschaft an. In den letzten zehn Jahren hat China seine wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in Lateinamerika massiv ausgebaut und ist zu einem führenden Handelspartner und Kreditgeber für viele Länder der Region geworden. Der wachsende Einfluss Pekings an eigenen Türschwelle ist Washington ein Dorn im Auge. Mit Unbehagen hatte man daher verfolgt, wie Castro im Wahlkampf ankündigte, im Falle ihres Wahlsieges "sofort diplomatische und kommerzielle Beziehungen mit dem chinesischen Festland aufzunehmen".
Als Schutzmacht von Taiwan haben die USA ein besonderes Interesse daran, wie sich die neue Regierungschefin künftig hinsichtlich China positioniert. Bisher ist Honduras noch eines der letzten 14 Länder, das Taiwan offiziell als Staat anerkennt. Von Peking wird Taiwan hingegen als abtrünnige Provinz angesehen, die notfalls mit Gewalt wieder mit dem Festland vereinigt werden soll.
Die frisch besiegelten Beziehungen mit der Biden-Regierung könnten also schon bald auf eine erste Belastungsprobe gestellt werden.
Quellen: "New York Times", "NPR", "BBC", mit AFP-Material