Nein, als Nullnummer lässt sich diese Impfkampagne nicht bezeichnen, obwohl sich ihr Erfolg am ehesten mit Nullen veranschaulichen lässt: 1.000.000.000, eine Milliarde. So viele Chinesen könnten in wenigen Tagen gegen das Coronavirus geimpft sein. Das ist, unter'm Strich, eine bemerkenswerte Leistung.
Im Reich der Mitte wird der Impfstoff in einer Größenordnung und Geschwindigkeit unter die Leute gebracht, die weltweit ihresgleichen sucht. Zum Vergleich: Bis Mittwoch wurden in China etwa 945 Millionen Impfdosen verabreicht, wie der US-Sender CNN berichtet – damit drei Mal mehr als in den USA, 15 Mal mehr als in Deutschland und fast 40 Prozent der bisher weltweit gespritzten Vakzine. Hält der Trend an, dürfte China am Wochenende also die Milliardenmarke knacken. Noch Ende März wurden in der Volksrepublik erst eine Million Impfungen verabreicht.
Doch wer nun neidvoll nach Ostasien schielt, sollte seinen Blick auch auf die Maßnahmen richten, die diese Erfolgsrechnung erst möglich machen. Denn China verfügt über ein mächtiges Werkzeug: den autoritären Staat – der Entscheidungsfreiheit als eher dehnbaren Begriff versteht.
"Impfe alle, die geimpft werden können"
"Impfe alle, die geimpft werden können", so lautet die offizielle Losung des Einparteiensystems. Und das heißt auch, im Umkehrschluss: Impfe alle, ob sie wollen oder nicht.
Wer sich in China nicht impfen lässt, riskiert mindestens Einschränkungen und mitunter Strafmaßnahmen, berichtet CNN. Der Impfzwang kommt durch die Hintertür: So locken Impfstellen, wie in anderen Ländern auch, zwar mit Einkaufsgutscheinen, kostenlosen Lebensmitteln oder Gratis-Eiscreme. Gleichzeitig werden aber Mitarbeiter in staatlichen Betrieben zur Impfung gedrängt, Bewohnern von Wohnkomplexen zum Teil der Zutritt zu den Anlagen verweigert, wenn sie ohne Impfung auf der Fußmatte stehen. Ein Einkaufscenter in Shanghai habe Kunden den Einlass verweigert, die kein Impfzertifikat vorweisen konnten, während ein Stadtpark in der nördlichen Provinz Heibei ungeimpfte Besucher abgewiesen und sie zu nahegelegenen Impfstellen geführt habe.
Es sind nur einige Beispiele der Maßnahmen, die auf das Einparteiensystem zurückzuführen seien, "das energisch und allumfassend in Aktion" trete, wie CNN schreibt. Der durchbürokratisierte wie autoritäre Staat könne seine Behörden schnell mobilisieren, der "Top-Down"-Ansatz der Volksrepublik – bei der die maßgebenden Ansagen von der Staatsführung kommen – werde konsequent durchgezogen, um die Impfkampagne zu beschleunigen.
Hintergrund ist offenbar die eigentlich überschaubare Impfbereitschaft im Land. Aufgrund der erfolgreichen Eindämmung des Virus sahen viele zunächst keine Dringlichkeit, sich impfen zu lassen, berichtet der Sender. Anhaltende Skepsis an den inländischen Impfstoffen hatte ebenfalls zur öffentlichen Zurückhaltung beigetragen. Mehrere lokale Ausbrüche, etwa in den nördlichen Provinzen Anhui und Liaoning oder Guangdong im Süden, hätten zuletzt die Sorge vor einer neuen Infektionswelle geschürt – der Impfturbo wurde hochgefahren.
Wie viele der rund 1,4 Milliarden Einwohner Chinas bisher vollständig geimpft wurden, ist nicht bekannt. Chinas Nationale Gesundheitskommission schlüsselt die Zahlen nicht auf. Doch die Impfstoffverteilung im Land scheint ungleichmäßig: So seien bis zur ersten Juniwoche in Peking fast 70 Prozent und in Shanghai fast 50 Prozent der Einwohner geimpft worden, so CNN. In den Provinzen Guangdong und Shangdong läge die Rate bei nur 20 Prozent. Darüber hinaus hinke die Impfstoffverteilung pro 100 Einwohner im Vergleich zu anderen Ländern, wie den USA oder Großbritannien, aufgrund der schieren Größe der chinesischen Bevölkerung zurück.