Am Mittwoch noch bemühte sich US-Außenministerin Condoleezza Rice in Israel und bei den Palästinensern um eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen. Keine 24 Stunden später versucht ein palästinensischer Attentäter, alle Anstrengungen wieder zunichtezumachen. Der als orthodoxer Jude verkleidete Mann dringt in Jerusalem in eine Religionsschule ein und feuert minutenlang in alle Richtungen. Der Angreifer tötete nach Polizeiangaben mindestens acht Studenten, bevor er von einem Offizier der israelischen Armee, der die Schüsse gehört hatte und zu Hilfe geeilt war, erschossen wurde.
Der blutige Terroranschlag ist von zahlreichen Regierungen scharf verurteilt worden. Der UN-Sicherheitsrat konnte sich dagegen nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen. Das 15-köpfige höchste Gremium der Vereinten Nationen ging nach zweistündigen Beratungen ohne Ergebnis auseinander. Einige Mitglieder des Sicherheitsrats hätten das Attentat in Jerusalem nicht als Terroranschlag werten wollen, sagte der amtierende Präsident des Weltsicherheitsrates, der russische UN- Botschafter Witali Tschurkin. "Als russische Delegation bedauern wir, dass der Weltsicherheitsrat nicht in der Lage war, den Anschlag zu verurteilen", sagte Tschurkin vor Journalisten.
Nach einem Selbstmordanschlag ist dies das zweite Attentat von Palästinensern in diesem Jahr. In der südisraelischen Stadt Dimona hatten zwei Palästinenser am 4. Februar eine Frau mit sich in den Tod gerissen. Zu diesem Attentat hatte sich die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas bekannt. Wer hinter dem Anschlag vom Donnerstagabend steckt, war zunächst unklar. Hamas erklärte, die "Operation in Jerusalem" habe ihren Segen. "Es wird nicht die letzte sein."
Der Alptraum dauerte zehn Minuten
Die Religionsschule von Merkas Harav befindet sich im Westen Jerusalems, wenige Minuten vom Bahnhof entfernt. Hier studieren mehrere hundert orthodoxe Juden im Alter zwischen 16 und 30 Jahren. Der palästinensische Attentäter kleidete sich wie einer von ihnen - mit der typisch schwarz-weißen Kleidung und einer Kippa, der traditionellen Kopfbedeckung.
In der Religionsschule herrschte nach Angaben von Augenzeugen absolutes Chaos. Der Attentäter kam unerkannt durch den Haupteingang. Dann schoss er nach Augenzeugenberichten aus einer Maschinenpistole und einer Handfeuerwaffe willkürlich um sich. Als die ersten Sanitäter eintrafen, feuerte er auch auf diese. Zehn Minuten dauerte der Alptraum, erst dann konnte der Armeeoffizier den Attentäter erschießen.
Zum Zeitpunkt des Angriffs hielten sich mehrere hundert orthodoxe Studenten im Alter zwischen 16 und 30 Jahren in der Schule auf. Ein israelisches Einsatzkommando stürmte nach dem Anschlag die Religionsschule. Die Suche nach einem vermuteten zweiten oder dritten Attentäter verlief ergebnislos. Die Jerusalemer Polizei errichtete weiträumig Straßensperren, um mögliche Helfershelfer zu finden.
Die Palästinenser feierten das Attentat
Nach israelischen Medienangaben fuhren mindestens 50 Krankenwagen zum Anschlagsort. Viele Schüler und Schaulustige hielten sich dort auf. Die aufgebrachte Menge skandierte: "Tötet die Araber". Nach Angaben des Schulleiters David Schalem studieren in der Schule insgesamt 500 Studenten. Schalem nannte den Anschlag eine Folge einer jahrzehntelangen Kultur des Hasses unter den Arabern und einer verfehlten Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern.
In Gaza feierten Palästinenser das Attentat und schossen vor Freude in die Luft und verteilten Süßigkeiten. Die Auswirkungen auf den erst im Januar begonnenen Friedensprozess sind völlig unklar. In der kommenden Woche wollten sich die beiden Verhandlungsdelegationen eigentlich wieder treffen. US-Außenministerin Rice hatte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas solange bearbeitet, bis er seinen Boykott aufgab. Abbas hatte die Gespräche eingefroren, nachdem bei der israelischen Militäroperation "Heißer Winter" in der vergangenen Woche 127 Palästinenser getötet worden waren.
Unmittelbar vor dem Attentat waren Vertreter von der Hamas und der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Heiliger Krieg aus Ägypten von Waffenstillstandsgesprächen zurückgekommen. Bereits dort hatte sich Hamas unversöhnlich gezeigt. Israel solle alle Militäroperationen im Gazastreifen und im Westjordanland einstellen, forderte Hamas-Sprecher Aiman Taha. Erst dann sei Hamas zu einer Waffenruhe bereit.