Die Europäische Union streitet über die Anerkennung des Kosovo. Kann das Kosovo als Staat überhaupt existieren, ohne EU-Mitglied zu werden?
Nein, nur relativ reiche Regionen können unabhängig ohne die EU existieren. Zum Beispiel Länder mit natürlichen Ressourcen wie Norwegen, das über Ölfelder verfügt. Auch Schottland fiele eventuell in diese Kategorie, da das Land ebenfalls ein paar Ölquellen hat. Die zweite Möglichkeit wäre, dass ein Land zum Beispiel als Steuerparadies viel Kapital anzieht. So wie Liechtenstein. Auch die Schweiz kann ja ohne EU bestehen. Das Kosovo fällt aber nicht in eine dieser Kategorien und könnte deswegen ohne die EU nicht überleben.
Zur Person
Nicolas Levrat ist seit 2007 Direktor des Instituts für Europäische Studien an der Universität Genf. 2005 veröffentlichte er eine Studie zum Europa der Regionen. Außerdem ist er Direktor der Forschungsgruppe GRIRCLE, die sich speziell mit den Regionen und Gebietskörperschaften in Europa beschäftigt.
Weshalb hat sich das Kosovo dennoch für diesen Weg entschieden?
Auch wenn manche Staaten dem Kosovo gerade die Anerkennung verweigern, hat es doch Grund zur Hoffnung. Denn im Bericht über das Kosovo in der UN-Resolution 1244 steht: Es wird schon seit Jahren geprüft, ob das Land die Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt. Und das ist ein ganz klares, positives Zeichen. Außerdem sind die Verhandlungen über die Unabhängigkeit des Kosovo ja schon seit einiger Zeit im Gange: Das Land hat vor seiner Erklärung eine Liste mit rund 100 Staaten aufgestellt, die seine Unabhängigkeit anerkennen würden - dazu haben sie sich diplomatisch verpflichtet. Zwar werden nicht alle gleich einen Tag nach der Unabhängigkeit den Staat anerkennen, langfristig aber schon.
Können Nein-Sager wie Spanien eine EU-Mitgliedschaft des Kosovo noch aufhalten?
Kurzfristig ja, langfristig nein. Im Prinzip müssen alle EU-Staaten mit 'Ja' stimmen, wenn ein neues Mitglied aufgenommen werden soll. Wenn sich aber nur einige wenige Staaten widersetzen, ist der Druck zu groß, um ihr 'Nein' aufrechtzuerhalten. Das ist in der EU der Fall. Außerhalb der EU gilt zudem das Prinzip der Effektivität: Wenn genug Staaten, die auch stark genug sind, einen neuen Staat anerkennen, ist das Votum der restlichen Nicht-Anerkenner nicht mehr wichtig. Was das Kosovo angeht, wird voraussichtlich genau dieser Fall eintreten.
Hintergrund
Schon in der Vergangenheit war der Status des Kosovo völkerrechtlich umstritten: Mit Ende des Kosovo-Krieges im Juni 1999 ging die Region in UN-Verwaltung über. Am 17. Februar 2008 hat sich das Gebiet nach gescheiterten Vermittlungsversuchen der internationalen Gemeinschaft unilateral für unabhängig erklärt. Bis dahin war die Region offizieller Teil Serbiens. Fast 90 Prozent der Bevölkerung sind jedoch Albaner, nur sieben Prozent Serben. Serbien will das Kosovo nicht als Staat anerkennen - ebensowenig Russland. Auch in der EU regt sich Widerstand: Spanien, Griechenland und Zypern lehnen das Kosovo als unabhängigen Staat ab. In der serbischen Hauptstadt Belgrad sind nach der Unabhängigkeitserklärung gewalttätige Proteste ausgebrochen. So wurden unter anderem die deutsche und amerikanische Botschaft angegriffen. Länder wie Frankreich, die USA, die Türkei, Großbritannien und Deutschland haben das Kosovo als eigenen Staat anerkannt. Als Reaktion darauf hat Serbien seine Botschafter aus diesen Staaten zurückgerufen.
Und warum widersetzt sich Spanien dann überhaupt?
In Spanien hat die Nicht-Anerkennung innenpolitische Gründe. Seit einigen Monaten ist der Regierung Zapatero bewusst: eine Anerkennung wäre ein gefährliches Signal gegen die Einheit des Staates. Denn: Bald wird in Spanien gewählt. Und zu oft wurde Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero in der Vergangenheit von der Rechten angegriffen, weil er angeblich zu versöhnlich mit Separatistenbewegungen wie der des Baskenlandes umgegangen war. International hat Spaniens Position jedoch kein größeres Gewicht. Anders wäre das, wenn das Land im UN-Sicherheitsrat vertreten wäre. Dann könnte Spanien auch die Anerkennung des Kosovo von Seiten der Uno verhindern.
Auch Zypern, Griechenland, Rumänien und die Slowakei haben das Kosovo noch nicht anerkannt - warum?
In Zypern ist das Problem, dass ein großer Teil des Landes nicht unter Kontrolle der Griechen, sondern der Türken ist. Die griechischen Zyprer wollen also eine Abspaltung des türkischen Zypern verhindern. Griechenland unterstützt mit seiner Position Zypern. Außerdem ist es nicht sehr weit entfernt vom Kosovo. Die Griechen sind deshalb sensibler, was eine Destabilisierung der Region angeht. Und sie haben gewisse Ansprüche auf Teile Mazedoniens und Albaniens. Dort leben nämlich auch einige Griechen. Was Rumänien angeht, ist das wohl auch eine Frage von Nähe. Zudem leben in Rumänien relativ viele Ungarn - genauso wie in der Slowakei. Beide könnten also Separatistenbewegungen fürchten.
Warum gibt es eigentlich in Deutschland keine solchen Probleme?
Deutschland bezieht die Bundesländer seit Jahren in die Europapolitik mit ein. Viele europäische Entscheidungen werden im Bundesrat diskutiert, wo die Länder ihre Meinung äußern können. Und die wird dann vom Bund auch berücksichtigt. Wenn nun ein Bundesland unabhängig würde, wäre nicht sicher, dass es die Interessen seiner Bevölkerung besser verteidigen könnte. Das betrifft die wirtschaftlichen und politischen Interessen. Und auch ihre Identität. Deutschland ist schließlich der stärkste Staat der EU - da könnte ein einzelnes Bundesland nicht mithalten. In Spanien sieht das schon ganz anders aus: Zwar werden die autonomen Kommunen an der Europapolitik beteiligt, jedoch gibt es viele Blockaden, weswegen unter anderem die Basken gerne unabhängig werden würden.
Haben denn andere Regionen in Asien wie zum Beispiel Süd-Ossetien jetzt Grund, sich mehr Hoffnungen auf eine Unabhängigkeit zu machen?
Sicherlich sehen sich Regionen mit Unabhängigkeitsbestrebungen durch das, was im Kosovo passiert ist, bestätigt. In den vergangenen 15 Jahren gab es schließlich einige Regionen, die sich unabhängig gemacht haben - wie zum Beispiel die Slowakei oder auch die Baltikstaaten. Man könnte also von einer Welle der Unabhängigkeit sprechen. Das Kosovo könnte diese Welle verstärken, auch wenn die Region nicht dessen Ursprung ist.