Krieg in der Ukraine Russland nimmt wichtige Stadt ein – in der Ostukraine ist die Lage "sehr, sehr schwierig"

Ein Lastwagen mit Raketen passiert Schikanen auf der Landstraße
Ein Lastwagen mit Raketen passiert Schikanen auf der Landstraße. Lyssytschansk ist eine langgestreckte Stadt am hohen rechten Ufer des Donez in der Region Luhansk. Die Stadt ist Teil eines Ballungsraums, zu dem auch Sjewjerodonezk und Rubischne gehören; die drei Städte bilden einen der größten Chemiekomplexe der Ukraine. Seit die Russen die Brücke, die Sjewjerodonezk mit Lyssytschansk verbindet, zerstört haben, befindet sich die Stadt an der Frontlinie. Die Hauptstraße, die Lyssytschansk mit Kramatorsk verbindet, ist von der russischen Armee besetzt.
© Rick Mave/SOPA Images via ZUMA Press Wire / DPA
Die Lage im Osten der Ukraine sei "sehr, sehr schwierig", sagt der ukrainische Präsident Selenskyj. Die dort gelegene Stadt Lyman wurde von russischen Truppen eingenommen. Und der Gouverneur von Luhansk schließt Rückzug der Truppen aus einigen Gebieten nicht aus.

Mehr als 90 Tage tobt nun schon der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Dessen Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Lage im umkämpften Donbass als "sehr, sehr schwierig" bezeichnet. Die russische Armee setze in dem Gebiet im Osten der Ukraine ein Maximum an Artillerie und Reserven ein, sagte Selensky am Freitagabend in seiner täglichen Videoansprache. Es gebe Raketen- und Luftangriffe – "alles".

Die ukrainische Armee verteidige das Land mit allen seinen "derzeitigen Verteidigungsressourcen", sagte Selenskyj weiter. "Wir tun alles, um diese zu verstärken."

Russland hat seine Truppen aus dem Zentrum und Norden der Ukraine, wo es die Städte Kiew und Charkiw nicht einnehmen konnte, in den Osten verlagert. Seitdem dringen russische Soldaten langsam, aber stetig tiefer in den Donbass vor.

Ukraine: Lyman eingenommen, Sewerodonezk und Lyssytschansk belagert

Das russische Militär hat am Samstag die Einnahme der strategisch wichtigen Ortschaft Lyman im Osten der Ukraine bestätigt. "Einheiten der Miliz der Volksrepublik Donezk und der russischen Streitkräfte" hätten Lyman in einer gemeinsamen Aktion "befreit", hieß es in einer Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums in Moskau.

Die pro-russischen Separatisten hatten bereits am Vortag die Eroberung von Lyman verkündet, einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt nordöstlich von Slowjansk und Kramatorsk. Die Eroberung von Lyman würde einen russischen Vormarsch auf die beiden Städte ermöglichen, die noch unter ukrainischer Kontrolle stehen.

Auch strategisch wichtige Städte wie Sewerodonezk und Lyssytschansk werden von der russischen Armee belagert. Die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti zitierte einen pro-russischen Polizeivertreter, wonach Sewerodonezk "nun umzingelt" sei. Ukrainische Soldaten könnten die Stadt nicht mehr verlassen. Dies wies Oleksandr Stryuk, ein ranghoher Vertreter der Stadt, zurück. Er räumte aber rein, die Lage sei "sehr schwer".

Russland schließt Grenze in Cherson für Flüchtlinge

Nach Einschätzung des von Kiew ernannten Gouverneurs von Luhansk, Serhij Gajdaj, werden die russischen Truppen nicht in der Lage sein, die gesamte Region innerhalb kurzer Zeit einzunehmen. Möglicherweise aber müssten sich die ukrainischen Verteidiger aus einigen Gebieten zurückziehen, um nicht eingekesselt zu werden. Um dies zu verhindern, "könnte es sogar einen Befehl an unsere Truppen zum Rückzug geben", erklärte Gajdaj auf Telegram.

Das von russischen Truppen besetzte Gebiet Cherson im Süden der Ukraine hat die Grenze Richtung Norden zudem für Flüchtlinge geschlossen. "Der Grenzübergang in Richtung der Gebiete Mykolajiw und Dnipropetrowsk ist angesichts des systematischen Beschusses vonseiten ukrainischer Kämpfer sehr gefährlich", erklärte der Vizechef der prorussischen Militärverwaltung, Kirill Stremoussow zur Begründung der Entscheidung. Ausreisen aus dem Gebiet Cherson seien stattdessen über die Halbinsel Krim oder den russisch kontrollierten Teil des Gebiets Saporischschja möglich.

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Die neue Verwaltung hat zahlreiche Initiativen unternommen, das Gebiet Cherson von der Ukraine abzuschneiden und an Russland anzubinden. So wurde die russische Landeswährung Rubel eingeführt, die Administration hat die Ausgabe russischer Pässe gefordert und den Eintritt des Gebiets in die Russische Föderation – selbst ohne vorheriges Referendum. Auf die letzte Initiative reagierte selbst Moskau zurückhaltend. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, die Menschen in der Region müssten selbst über ihr Schicksal entscheiden.

Die Schließung der Grenzen könnte dazu dienen, den Flüchtlingsstrom in ukrainisch besetzte Gebiete zu unterbinden. Nach Schätzungen der ukrainischen Gebietsverwaltung hat die Stadt Cherson seit ihrer Besatzung rund die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren. Aus dem gleichnamigen Gebiet sei ein Fünftel der Bevölkerung geflohen, hatte Anfang Mai die ukrainische Gebietsverwaltung erklärt.

DPA · AFP
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