Menschen, die Mut machen Dem, der glaubt, ist alles möglich

Von Erdmann Wingert
In der Adventszeit stellen wir jeden Tag einen Menschen vor, den sein Engagement für andere oder der Umgang mit dem eigenen Schicksal auszeichnet. Heute: Günther Otto. Der Pastor war schon zu DDR-Zeiten ein großer Spendensammler. Dabei treibt ihn die Scham an - obwohl er die beschämende Tat gar nicht selbst begangen hat.

Am Ende des Rundgangs durch sein Haus führt er die Besucher zu den drei Ikonen, die im Arbeitszimmer hängen. "Die hat mir mein Freund Ambrosius geschenkt, der Metropolit von Kalavrita", sagt Günther Otto mit Blick auf die heiligen Gestalten vor dem Goldgrund. "Ja, es gab viele Momente in meinem Leben, in denen ich Danke sagen musste."

Der heute achtzigjährige Pfarrer aus Radebeul hat kurz vor der Wende 1989 als Bevollmächtigter von "Brot für die Welt" in der DDR dafür gesorgt, dass in Griechenland ein Altenheim möbliert werden konnte. Otto hat Tische und Stühle, Betten und Schränke aus den Dresdner Werkstätten von Hellerau geschickt; das Beste, was die DDR an Möbeln zu bieten hatte. Aber das Beste war Otto lange nicht gut genug als Entschädigung für das Massaker, das die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg auf dem Peloponnes angerichtet hatte. Weil griechische Partisanen achtzig deutsche Soldaten erschossen hatten, wurden Kalavrita und fünfundzwanzig andere Dörfer in Schutt und Asche gelegt und siebenhundert Menschen umgebracht.

Scham über Verbrechen im Namen Deutschlands

"Ich schämte mich, dass solche Verbrechen im Namen Deutschlands begangen wurden", sagt der alte Mann, der am Ende des Zweiten Weltkriegs selbst fast ein Opfer geworden wäre. Zunächst als sechzehnjähriger Flakhelfer im Geschosshagel der alliierten Kampfjäger, danach als Fahnenflüchtiger vor dem Kriegsgericht. Mit Glück kam er davon, doch die Schande, "dass wir diesem Hitler hinterhergelaufen sind", verfolgt ihn bis heute.

Menschen, die Mut machen

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die anderen helfen und in scheinbar ausweglosen Situationen Mut machen. Menschen, die oft selbst nichts besitzen, wegen ihres sozialen oder politischen Engagements bedroht werden und doch nicht aufgeben. Das Hilfswerk der evangelischen Kirche Deutschlands, "Brot für die Welt", unterstützt diese Menschen. Mit Spenden und mit praktischer Hilfe zur Selbsthilfe. So entstanden unzählige Projekte auf allen Kontinenten. In diesem Jahr feiert die Organisation den 50. Jahrestag ihrer Gründung. stern.de stellt in einer Kooperation mit "Brot für die Welt" 26 Menschen vor, die von der Hilfe aus Deutschland profitiert haben - und nun selber zu Helfern geworden sind: zu Menschen, die Mut machen.

Sein Leben lang hat Otto versucht zu versöhnen und Brücken zu schlagen. "Brot für die Welt" ist für ihn solch eine Brücke. Zehn Jahre lang hat er als Bevollmächtigter des Hilfswerks in der DDR dafür gesorgt, dass diese Brücke auch tragfähig blieb. Die Bilanz der Organisation belegt sein Verdienst. Im ersten Jahr verfügte er über Spenden in Höhe von viereinhalb Millionen Mark, als er den Posten abgab, waren es achtzehn Millionen. Stattliche Summen, mit denen allerdings wenig anzufangen war. "Die DDR-Währung, der sogenannte Alu-Dollar, war ja nicht konvertierbar", erklärt er. "Also musste man Sachwerte beschaffen, um armen Menschen in aller Welt zu helfen."

Beeindruckend große Mengen

Der "Gemischtwarenhandel", den Otto dafür ins Leben rief, ist inzwischen Legende. Trotz sozialistischer Planwirtschaft, trotz aller Schikanen der Staatsführung: Der Pfarrer wusste immer, wo etwas zu holen war und eiste es los, und das oft in beeindruckend großen Mengen. Wie hat er das bloß hingekriegt? "Dem der da glaubt, ist alles möglich", erwidert er.

Die lahmen Predigten vieler junger Pastoren versetzen ihn in Rage. "Wer auf der Kanzel nicht vor Begeisterung zittert, der soll gefälligst unten bleiben!" Und vielleicht sollte man dem kirchlichen Nachwuchs auch diese Devise des mutigen Mannes ans Herz legen: "Wer nicht wagt, kann nicht klagen, dass es nicht gegangen wäre."