Die nach Kritik an Kremlchef Wladimir Putin zu zwei Jahren Straflager verurteilte Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa von der Punkband Pussy Riot ist in Freiheit. Das teilte der Mann der 24-Jährigen, Pjotr Wersilow, bei Twitter am Montag mit. "Nadja ist frei", schrieb Wersilow. Über den Twitter-Account der Künstlergruppe Woina ("Krieg"), die der Punkband nahesteht, veröffentlichte er ein Foto der jungen Frau, auf dem sie von Journalisten umringt ist. "Russland ohne Putin" rief Tolokonnikowa, als sie in der sibirischen Stadt Krasnojarsk, etwa 4400 Kilometer östlich von Moskau, das Gefängnis verließ.
Damit sind alle Mitglieder der Punkband Pussy Riot nach fast zwei Jahren hinter Gittern wieder auf freiem Fuß. Wenige Stunden vor Tolokonnikowa war auch ihre Band-Kollegin Maria Aljochina aus dem Gefängnis in Nischni Nowgorod entlassen worden. Die Entlassung der beiden Musikerinnen aus der Haft kommt nur Tage nach der überraschenden Begnadigung von Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski.
Tolokonnikowa bezeichnete Russland als ein einziges "Straflager". "Russland ist nach dem Modell einer Strafkolonie aufgebaut", sagte die 24-Jährige, die nach mehreren Hungerstreiks gegen ihre Haftbedingungen sichtlich abgemagert wirkte: "Straflager und Gefängnisse sind das Gesicht des Landes." Um das Land von Innen heraus zu verändern, müsse auch das Strafvollzugssytem geändert werden.
Positive PR kurz vor den Olympischen Spielen
Ermöglicht wurde die Freilassung der Pussy-Riot-Musikerinnen durch ein Amnestiegesetz, das am vergangenen Donnerstag vom russischen Parlament verabschiedet worden war und das Aljochina kurz nach ihrer Freilassung harsch kritisierte: "Das ist kein humanitärer Akt, das ist ein PR-Trick", sagte die 25-Jährige. Wenn sie eine Wahl gehabt hätte, die Amnestie abzulehnen, wäre sie im Gefängnis geblieben, fügte sie hinzu. Ihre Strafe wäre im März verbüßt gewesen.
Mit ihrer Meinung ist sie nicht allein: Die Milde gegenüber Regimekritikern werten Beobachter als Zugeständnis des Kreml an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi eröffnet werden. Russlands Regierung wird im Ausland immer wieder für den Umgang mit Menschenrechten kritisiert. Mehrere westliche Politiker wollen aus Protest gegen den Umgang des Kremls mit politischen Gegnern den Olympischen Spielen fernbleiben.
Zwei Jahre Lagerhaft für Krawall in einer Kirche
Kaum ein Richterspruch war so umstritten wie das Urteil gegen die insgesamt drei jungen Frauen der kremlkritischen Punkband. Die Aktivistinnen hatten am 21. Februar 2012 in der Moskauer Erlöserkathedrale, einem Heiligtum der russisch-orthodoxen Kirche, mit einem "Punkgebet" gegen die Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin protestiert. Die Kirche ist in Russland sehr einflussreich - deshalb ist eine gute Beziehung zu der Institution für Putin wichtig.
Ein Gericht verurteilte daraufhin zwei der Frauen zu je zwei Jahren Lagerhaft und ihre Mitstreiterin zu einer Bewährungsstrafe - wegen Rowdytums aus religiösem Hass. Maria Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch entschuldigten sich und sagten, ihre Aktion sei politisch gemeint gewesen. Putin aber blieb hart: Die Frauen hätten "bekommen, was sie wollten". Das harte Vorgehen gegen die Musikerinnen war international als politisch motiviert kritisiert worden. Prominente wie Madonna, Yoko Ono und Aung San Suu Kyi setzten sich für ihre Freilassung ein.
Ein Moskauer Gericht stufte das Punk-Gebet später als extremistisch ein und verbot es. Der Grund: Die dokumentierten Handlungen könnten Gläubige verletzen. Sie seien außerdem verborgene Aufrufe zu Aufruhr und Ungehorsam.
Nachdem die heute 25 Jahre alte Aljochina und die 24-jährige Tolokonnikowa ihre Haftstrafe bis auf gut drei Monate verbüßt hatten, rügte das Oberste Gericht Russlands das Urteil wegen schwerer Verstöße. Weder das junge Alter noch weitere strafmildernde Gründe seien berücksichtigt worden. Die Frauen seien weder vorbestraft noch gewalttätig gewesen.
In seinem Urteil habe das Moskauer Stadtgericht außerdem keine Beweise dafür geliefert, dass die Punkband aus religiösem Hass gehandelt habe, kritisierte das Oberste Gericht. Zudem fehle ein stichhaltiges Motiv für die Anklage. Weil Aljochina und Tolokonnikowa Mütter kleiner Kinder seien, wäre nach russischem Recht auch ein Strafaufschub möglich gewesen.