33 Tage sind seit der Terrorattacke der islamistischen Hamas auf Israel vergangen. Bei dem Angriff am 7. Oktober kamen mehr als 1400 Menschen ums Leben, zahlreiche Geiseln wurden in den Gazastreifen entführt. Israel reagierte zunächst mit Luftschlägen, im Zuge der später gestarteten Bodenoffensive sind israelische Soldaten inzwischen bis ins Zentrum von Gaza-Stadt vorgedrungen, teilte Verteidigungsminister Joav Gallant am Mittwoch mit.
Dass der Krieg nun schnell enden könnte, schließen Experten aus. Aufgrund der dichten Besiedelung und des Hunderte Kilometer umfassenden Tunnelsystems der Hamas sei von einem länger dauernden und für beide Seiten verlustreichen Häuserkampf auszugehen, heißt es. Für den israelischen Minister für Kulturerbe, Amichai Elijahu, offenbar eine Aussicht, die sich Israel ersparen könnte. In einem Interview bezeichnete der rechtsextreme Politiker den Einsatz einer Atombombe jedenfalls als "eine der Optionen" – und löste so nicht nur in den sozialen Netzwerken empörte Reaktionen aus.
Doch sprach Elijahu in dem Interview auch im Namen der Regierung Israels? Ein Faktencheck.
Nein, Israel will keine Atombombe auf den Gazastreifen abwerfen
Behauptung: Israel erwägt den Abwurf einer Atombombe auf den Gazastreifen, um den Krieg mit der Hamas schnellstmöglich zu beenden.
Bewertung: Falsch. Die Äußerung von Kulturerbeminister Elijahu wurde von Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sofort einkassiert. Dessen Aussagen "entsprechen nicht der Realität", so Netanjahu, der Elijahu daraufhin suspendierte.
Die Fakten: Die Äußerung, der Einsatz einer Atombombe sei im Krieg gegen die Hamas eine "Option", ist tatsächlich in einem Interview des Radiosenders Kol Barama am vergangenen Sonntag (5. November) gefallen. Elijahu reagierte demnach mit seiner Aussage auf die Frage, ob man eine Atombombe auf den Gazastreifen werfen sollte. Der der ultranationalistischen Partei Otzma Jehudit angehörende Minister legte im Verlauf des Interviews zudem nahe, Israel solle die von der Hamas verschleppten Geiseln opfern. "Im Krieg bezahlen wir eben einen Preis", sagte Elijahu auf eine Frage zum Schicksal der Geiseln im Falle eines Atombombenabwurfs.
Brisante Aussagen, die schnell den Weg in die sozialen Netzwerke fanden und dort – auch von pro-israelischen Accounts – scharf kritisiert wurden. Auch Vertreter der israelischen Regierungsspitze reagierten umgehend und distanzierten sich.
Elijahus Äußerungen "entsprechen nicht der Realität", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Israel und die Armee gingen "in Einklang mit den höchsten Standards internationalen Rechts vor, um Schaden an Zivilisten zu vermeiden", so Netanjahu, der Elijahu vorerst von allen Kabinettssitzungen ausschloss. Ob der Politiker seinen Ministerposten verliert, war zunächst unklar.
Auch Verteidigungsminister Gallant verurteilte die "haltlosen und unverantwortlichen Äußerungen" Elijahus. "Gut, dass dies nicht die Leute sind, die für Israels Sicherheit zuständig sind", schrieb er in einem X-Post.
Tatsächlich ist Elijahus Partei Otzma Jehudit weder Teil des israelischen Sicherheits- noch des Kriegskabinetts. Der Einfluss auf Kriegsentscheidungen gilt daher als äußerst gering.
Elijahu spricht nicht im Namen Israels
Elijahu sprach in dem Radiointerview also für sich und die Ansichten seiner rechtsextremen Partei, nicht aber im Namen seines Landes. Zwar hat Israel nie offiziell bestätigt, über Atomwaffen zu verfügen, besitzt aber laut Schätzungen des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Stockholm (Sipri) rund 90 nukleare Sprengköpfe. Mit einem Atomschlag dürfte das Land jegliche Unterstützung des Westens riskieren. Die Bundesregierung jedenfalls verurteilte Elijahus Atombomben-Drohung deutlich. Entsprechende Äußerungen seien "inakzeptabel", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Dienstag.
Doch nicht nur die Gefahr internationaler Ächtung macht einen Atombombenabwurf enorm abwegig. Gaza-City und Tel Aviv liegen keine hundert Kilometer voneinander entfernt. Das unberechenbare Risiko, durch den Einsatz einer Masssenvernichtungswaffe der eigenen Bevölkerung zu schaden, dürfte Jerusalem von diesem drastischen Schritt abhalten.
Und Elijahu? Der Minister ruderte nach der scharfen Kritik zurück. Seine Atombomben-Äußerung sei "metaphorisch" gemeint gewesen. Die Desinformation, Israel erwäge einen Atomschlag, war da aber schon längst in der Welt – und sie wird weiterhin verbreitet.
Quellen: Interview mit Radiosender Kol Barama / "Times of Israel" / Telegram / Twitter / mit Agenturmaterial von DPA und AFP.