Patrick Leahy war wütend. Auf den Präsidenten, auf den Geheimdienst NSA. Und vor allem auf die eigene Partei, die Demokraten. "Die Presse erledigt unsere Aufgaben", schimpfte der US-Senator in die Kameras. "Wir sollten uns schämen." Und dann hielt er die Titelseite der "USA Today" in die Höhe. Deren Titelgeschichte hatte Washington am Donnerstag in einen Alarmzustand versetzt, denn offenbar überwacht die Regierung ihre Bürger umfassender, als das selbst das Establishment für möglich gehalten hätte: Nach dem Bericht von USA Today hat der Inlands-Geheimdienst National Security Agency (NSA) nach dem 11. September 2001 Milliarden von Daten zu Inlands-Telefongesprächen gespeichert, geliefert frei Haus von mindestens drei großen Telekommunikationskonzernen, ohne richterliche Erlaubnis.
"Wir müssen uns schämen, so hinter der Presse herzuhinken und alles abzusegnen, was diese Regierung macht", zürnte Leahy, der Mann aus Vermont, immerhin das ranghöchste Mitglied der Demokraten im Rechtsausschuss des Senats. "Will diese Regierung uns weiß machen, dass Millionen Amerikaner etwas mit al Kaida zu tun haben?", frug Leahy - und gab die Antwort selbst. "Natürlich nicht! Aber wo will sie haltmachen?"
Wie weit darf eine Regierung gehen?
Die USA-Today-Story wirft knifflige Fragen von enormer juristischer und politischer Sprengkraft auf. Um was für Daten geht es? Wie kommen die Telekom-Firmen dazu, sie einfach an die NSA weiterzureichen - noch dazu ohne richterliche Erlaubnis? Was macht die Regierung mit den Informationen? Hat die Bush-Regierung das Gesetz gebrochen? Und selbst wenn nicht: Wie weit darf eine Regierung im Anti-Terror-Kampf gehen? Ist es zulässig, dass scheinbar alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden, dass ein ganzes Land in eine Art Big-Brother-Container verwandelt wird?
Sicher dürfte schon jetzt sein, dass der arg gebeutelte US-Präsident George W. Bush durch die jüngsten Enthüllungen weiter in Bedrängnis geraten wird. Der Krieg im Irak, das Zaudern der Regierung während der Katrina-Katastrophe, ein handfester Lobby-Skandal: Schon jetzt ist Bush unbeliebt wie nie zuvor. Verlieren seine Republikaner bei den Wahlen im November auch noch ihre Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenhaus, wäre seine politische Macht ausgehöhlt.
Bush beruft sich auf Sonderrechte
Dabei ist der Streit um die Rechtmäßigkeit von Abhöraktionen nicht neu. Im vergangenen Dezember hatte die "New York Times" aufgedeckt, dass die NSA Gespräche zwischen den USA und einem im Ausland befindlichen Gesprächspartner abgehört habe - ebenfalls ohne richterliche Erlaubnis. Seitdem tobt ein Streit über die Zulässigkeit der Maßnahme. Bush beruft sich in seiner Eigenschaft als oberster Befehlshaber der Streitkräfte auf seine besonderen Rechte im Kriegsfall sowie auf Kompetenzen, die ihm der Kongress nach den Anschlägen des 11. September verliehen hat. Kritiker argumentieren, es handele sich um unverhältnismäßige Maßnahmen, die die Verfassung verletzten.
Tochter der Telekom blieb offenbar standhaft
Neu ist nun, dass es um Inlandsgespräche geht und im aufziehenden Telefondaten-Streit nicht nur die Regierung am Pranger steht, sondern auch die Telekom-Konzerne. Wie kommen etwa die Firmen AT&T, Bell South und Verizon dazu, der NSA Milliarden von Daten zu übermitteln? Ist das rechtens? Zwar wurden die Gespräche nicht aufgezeichnet, auch Namen und Adressen gaben die Anbieter nicht weiter, dafür erhielt der Geheimdienst aber Informationen zu den gewählten Nummern, den angewählten Orten und über die jeweilige Dauer eines Gesprächs.
Es ist in etwa so, als ob eine detaillierte Telefonrechnung ohne Namen an einen Geheimdienst weitergereicht würde. Einige Rechtsexperten halten dies für vertretbar. "Wenn sie (die NSA, Red.) aus einem anonymisierten Datenpool lediglich jene Leute heraussuchen, die Telefongespräche mit bekannten Terroristen führen, dann sehe ich kein Problem", sagte Robert Turner, Rechtsexperte der University von Virgina "USA Today". "Das ist nicht damit vergleichbar, dass sie in unsere Schlafzimmer geht oder unsere Gespräche belauscht."
Aufgrund der Daten wollte die NSA offenbar Muster terroristischer Aktivitäten erkennen. Nur zwei Firmen sind bisher namentlich bekannt, die die Zusammenarbeit wegen rechtlicher Bedenken verweigert haben: "USA Today" nannte die Firma Qwest. CNN meldet zudem, dass auch laut der Nachrichtenagentur AP auch der Mobilfunk-Konzern T-Mobile USA behauptet habe, sich einer Anfrage der US-Regierung verweigert zu haben. T-Mobile ist eine Tochtergesellschaft der deutschen Telekom. Der republikanische Senator Arlen Specter, der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Kammer, drohte den Managern der betroffenen Telekom-Konzerne am Donnerstag, sie zu ihren Verstrickungen zu befragen.
"Wir müssen das amerikanische Volk schützen
Das Weiße Haus bemühte sich am Donnerstag, die Debatte schnell einzufangen. Zwar äußerten sich weder Bush noch NSA-Vertreter zu dem Programm und den konkreten, neuen Vorwürfen. Bush aber versicherte, dass seine Regierung keine Gesetze gebrochen habe. Auch in der Privatsphäre der US-Bürger schnüffele seine Regierung nicht herum. "Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, das amerikanische Volk vor einem erneuten Angriff zu schützen, und das werden wir um Rahmen der Gesetze unseres Landes tun", sagte der Präsident.
Führende Vertreter der Republikaner im Senat und im Abgeordnetenhaus unterstützten Bushs Haltung mit flankierenden Äußerungen. Pat Roberts, der Chef des Geheimdienst-Ausschusses im Senat, sagte, ein Unter-Ausschuss mit sieben Senatoren sei über die Aktivitäten der NSA informiert gewesen. Allerdings bezog er sich auf generelle NSA-Aktivitäten. Zu dem konkreten aktuellen Fall wollte er sich nicht äußern.
Haydens Ernennung zum CIA-Chef in Gefahr
Dabei könnten die jüngsten Enthüllungen für Bush zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Um aus dem Umfragetief herauszukommen, hat er einige Spitzenleute in seiner Regierung ausgetauscht. Dazu gehört auch der umstrittene bisherige CIA-Chef Porter Goss. Zu desser Nachfolger hat Bush ausgerechnet General Michael Hayden nominiert, der zwischen 1999 und 2005 NSA-Chef war.
Der Senat muss Hayden bestätigen, schon in der kommenden Woche finden Anhörungen statt. Angesichts der Skepsis auch einiger republikanischer Senatoren gegenüber dem Vorgehen der NSA, dürfte es nun auch für Hayden schwieriger werden, das Nominierungsverfahren zu überstehen. Seine Ernennung ist bedroht.