Parteirevolte in Großbritannien David Camerons politischer Horror-Ritt

Engländer hatten schon immer eine arg gestörte Beziehung zur Union in Europa. Das muss Premierminister David Cameron jetzt ausbaden. So scheint es zumindest.

Für einen Regierungschef, der gerade eine der größten Niederlagen in der an Niederlagen nicht armen Streit-Geschichte rund um die britische EU-Mitgliedschaft erlitten hat, sieht David Cameron erstaunlich erholt aus. In der Nacht zu Dienstag hat eine mehr als 80-köpfige Mannschaft von Hinterbänklern im Parlament seine expliziten Anweisungen missachtet und für einen Antrag gestimmt, der dem britischen Wahlvolk zu einem Referendum über den Austritt aus der EU verhelfen sollte. Es wurde mit den Stimmen der Koalitionspartner und Opposition niedergeschlagen.

Es scheint also, als verliere Cameron nicht nur am Verhandlungstisch in Brüssel zwischen einem genervten Nicolas Sarkozy und einer starrköpfigen Angela Merkel an Verhandlungs-Spielraum. Sondern auch noch zu Hause, wo er sich noch nicht einmal der Unterstützung seiner parlamentarischen Fraktion sicher sein kann. Doch für einen solchen politischen Horror-Ritt sieht der Premier in seinen neuesten Fernseh-Interviews zu frisch aus. Zu zufrieden.

In den britischen Zeitungen wird aufgeführt, dass schon sein konservativer Vorgänger John Major am Europa-Thema gescheitert sei. Und, noch dramatischer, die Grande Dame der Konservativen Partei, Margaret Thatcher. Die Konservativen seien erneut dabei, sich zu zerfleischen, heißt es da. Aber stimmt das wirklich?

Viele Engländer wollen sofort raus aus der EU

David Cameron weiß, dass er als Premierminister den Ur-Instinkten seiner Wähler nicht folgen kann. Fast zwei Drittel der konservativen Engländer wollen sofort aus der EU austreten. Noch in der Opposition gab Cameron seinem Wahlvolk eine "eisenharte Garantie", dass er sie über den Lissabon-Vertrag abstimmen lassen werde. 2009 musste er zugeben, dass ein solches Referendum angesichts der Realpolitik in Europa während der nächsten Legislaturperiode wenig wahrscheinlich sein würde.

Ins Parlament gewählt wurde im Frühjahr 2010 mit Cameron eine neue Generation der konservativen Partei, jünger und vor allem euroskeptischer als zum Beispiel der alte Thatcher-Haudegen Kenneth Clarke, der sich als Justizminister als einer der letzten im Cameron-Kabinett für die Vorteile der Europäischen Union ausspricht. Im Außenministerium sitzt William Hague, ein Erz-Euroskeptiker. David Cameron sagt über sein eigenes EU-Verhältnis: "Es gibt kaum jemanden, der skeptischer ist als ich."

Doch Cameron ist kein Oppositions-Politiker mehr, der in der Fragestunde im Unterhaus den Regierungs-Chef mit bösen Bemerkungen zu den Milliarden nerven kann, die von Großbritannien jedes Jahr an die Europäische Union abgeführt werden. Stattdessen sitzt er mit Sarkozy und Merkel in Verhandlungen in Brüssel und muss sich anhören, dass er den Mund halten solle, weil er sowieso gegen alles sei.

Der britische Premier weiß, dass er angesichts dieser außenpolitischen Stimmung vorsichtig sein muss. Wenn er sich Verhandlungs-Spielraum in Brüssel offenhalten will, dann darf er nicht als EU-Phobiker auftreten, der alles kurz und klein schlagen will. Dazu kommt, dass Cameron nicht alleine regiert. Sein stellvertretender Premier und Vorsitzender der Liberaldemokraten, Nick Clegg, gilt in England als ausgesprochener EU-Liebhaber. Im Koalitionsvertrag steht angesichts dieser unüberbrückbaren Differenzen nichts über einen möglichen Austritt aus der EU.

Camerons Hinterbänkler machen die Drecksarbeit

Das ist die Realpolitik, in der sich Cameron gefangen sieht: Seine Wähler sind mehrheitlich - wie er selber - gegen die EU. Rechts von seiner konservativen Partei droht stets die euroskeptische UKIP, die vor allem in Europawahlen schon viele konservative Mandate abgeräumt hat. Doch als Regierungschef kann er nicht Vertreter einer kompromisslosen Politik sein, die Europa am liebsten abschreiben würde.

Was passt also besser in dieses Szenario als eine Truppe wildentschlossener, mutiger Parlamentarier, die den Willen ihrer Wähler über die Ratio eines Fraktionschefs stellen? Die rebellischen Tory-Abgeordneten sind seit Anfang dieser Woche die politischen Vorbilder der Euroskeptiker. In einem Radio-Interview betonte der Erziehungsminister Michael Gove, ein enger Freund Camerons und natürlich ebenfalls ein beinharter Euro-Skeptiker, dass sich auch nach der Abstimmung alle ganz prima verstehen bei den Konservativen. Der Premier sprach nach seiner Niederlage in die Kameras, dass es "kein böses Blut gebe", vor allem nicht bei ihm.

Cameron lässt seine Hinterbänkler die Drecksarbeit machen, während er weiter in Brüssel verhandelt. Was er wirklich will, hat er vor einigen Wochen dem konservativen politischen Magazin "The Spectator" in den Block diktiert. Angesichts der Euro-Krise gebe es die Chance, Großbritanniens Verhältnis zu Europa neu zu verhandeln - und sich Macht aus Brüssel zurückzuholen: "Es wird die Möglichkeit geben, dass wir das Maximale herausholen können aus unserem Engagement in Europa."