John Kerry hatte keine gute Zeit in dieser Woche. Er wollte ein wenig ausspannen in seinem Haus in Nantucket. Er wollte Kraft sammeln für den Endspurt des Wahlkampfes. Und dann musste er mit erleben, wie in New York die Republikaner die Messer wetzten und ihn attackierten und niedermachten zur besten Sendezeit auf allen Kanälen.
George Bush hatte eine gute Zeit in dieser Woche. Er reiste erst durch die amerikanische Provinz und am Mittwochabend nach New York, wo er mit Feuerwehrleuten in Queens Pizza aß und im Fernsehen verfolgte, wie seine Parteifreunde die Messer wetzten und John Kerry attackierten und niedermachten zur besten Sendezeit auf allen Kanälen.
Bush übt sich schon mal in Siegerposen
Am nächsten Morgen übte Bush schon mal die Siegerpose auf der für ihn umgebauten Bühne im Madison Square Garden. Er hob die Hände. Er drehte sich nach allen Seiten. Er lachte sein George W. Bush-Lachen. Es sah gar nicht aus wie eine Probe. Er fühlte sich so. Abends dann versprach Bush dem amerikanischen Volk klare, starke Führerschaft und sagte abermals dem Terrorismus dem Kampf an, nicht aus Stolz, nicht aus Macht, sondern um Amerika sicher zu halten.
Er nannte dieses Jahrhundert, das Jahrhundert der Unabhängigkeit, und dass Amerika genau dafür stehe, die größte Nation auf Erden. Und als zwischendurch eine Protestlerin aufstand und ein harmloses Papier-Plakat entfaltete, Strong but wrong, fielen Sicherheitskräfte über sie her, und sie wurde unter Gegeifer der Delegierten "Four more years"-Rufen aus der Halle geschleift. Es sah so aus, als würde sie mindestens einem Schnell-Tribunal zugeführt und sofort abgeurteilt. Der Präsident redete unterdessen immer wieder von Freiheit und Unabhängigkeit. Am Ende segelten Zehntausende von blau-weiß-roten Luftballons auf ihn herab. Bush wirkte entspannt und überzeugt und erlöst, als habe er die Wahl schon gewonnen. Es hieß, er habe die Rede seines Lebens gehalten. Und wahrscheinlich stimmt das.
Bush wird in Umfragen vermutlich deutlich zulegen
George W. Bush wird nach diesem Parteitag in den Meinungsumfragen zulegen. Vermutlich sogar deutlich zulegen. Denn die Strategie seiner Strategen ist aufgegangen. Sie verkauften den Krieg im Irak als Siegeszug der Demokratie, versprachen - entgegen vielen Prognosen - wirtschaftlichen Aufschwung, neue Jobs und vor allem: Sie trieben John Kerry erbarmungslos in die Enge als Flip-Floper, als Wendehals, als Unentschlossenen, als Führungsschwachen. Als Liberalen, dem die Amerikaner nicht über den Weg trauen dürfen, nicht in Zeiten wie diesen. Nicht in Zeiten des Krieges. Niemals. Abend für Abend hämmerten die Redner diese Botschaft in die Wohnzimmer der Amerikaner. Und bei vielen unentschlossenen Wählern mag sie verfangen haben.
Karl Rove, Bushs Chefstratege und Intimus seit seinen frühen Tagen in Texas, hat diesen Parteitag mit perfider Perfektion inszeniert. Rove hat einen Spitznamen: Bushs Gehirn. Dieser Rove weiß, worauf es ankommt. Klare, simple Botschaften. Er ist ein Meister der Fakten-Schminke und der Attacke.
Vielleicht haben die Demokraten einen Fehler gemacht, bei ihrer Convention vor vier Wochen in Boston. Sie legten sich dort selbst einen Maulkorb an. Sie gifteten so gut wie nie gegen Bush. Sie wollten vereinen, nicht spalten, und irgendwie ging es so zahm zu wie beim Kirchentag - seid nett zueinander. In den ersten drei Tagen des demokratischen Parteitags tauchte der Name Bush in den Reden gerade 19 Mal auf. Die Republikaner verwiesen auf Kerry in derselben Spanne 91 Mal. Und wenn sie es taten, dann mit aller Schärfe.
Die Demokraten holten in Boston den liberalen Präsidentensohn Ron Reagan auf die Bühne. Reagan, ein ausgewiesener Kritiker der Bush-Regierung, hielt eine kurze Rede pro Stammzellenforschung und blieb sachlich und kühl. Die Republikaner holten in New York den demokratischen Senator Zell Miller auf die Bühne. Miller, ein ausgewiesener Kerry-Feind, bekam die beste Sendezeit und schäumte und tobte 20 Minuten gegen seinen Parteigenossen. Er war das, was die Amerikaner "attack dog" nennen. Miller verhöhnte Kerry unter rasendem Applaus als schwach und unglaubwürdig und unfähig. Es war eine hasserfüllte Rede, und gegen Miller wirkte Vizepräsident Cheney hernach wie ein Lamm.
Die politischen Kommentatoren bezeichneten Millers Auftritt als historisch. Und das nicht etwa, weil der politische Konvertit historisch viele Lügen verbreitet hatte.
Ein Republikaner-Parteitag ist kein Kirchentag
Karl Rove, Bushs Gehirn, hat ganze Arbeit geleistet. Die Republikaner sind in ihrer Vorgehensweise gnadenloser, härter, unnachgiebiger; bei ihnen ging es nicht zu wie beim Kirchentag. Maureen Dowd, Star-Kolumnistin der "New York Times", beschreibt sie als "politische Killer". Sie sind bestens vernetzt und haben mit dem erzkonservativen Murdoch-Sender Fox-News einen eigenen Kanal. Während des Parteitages erreichte Fox News Höchst-Quoten und überholte sogar die TV-Riesen NBC, ABC und CBS. Es waren eben verdammt gute Tage für die Konservativen. Sie kamen nach New York, belächelt, bespöttelt und empfangen von einer halben Million Demonstranten. Und sie verlassen die Stadt gestärkt, selbstbewusst und erhobenen Hauptes.
John Kerry muss sich etwas einfallen lassen. Es wird Zeit. Es ist schmutzig, und es wird noch schmutziger. Vielleicht kann Kerry von den Republikanern sogar lernen. "Seid nett zueinander" hat nicht funktioniert. Vielleicht braucht Kerry einen "attack dog". Einen ohne Maulkorb.