Thomas Seifert ist Reporter des österreichischen Magazins "News". Seit Beginn des Irak-Krieges berichtet er auch für den stern aus Bagdad.
Es ist Frühling in Bagdad. Die schönste Jahreszeit, wie die Bewohner der Hauptstadt sagen. Am Morgen ist es angenehm kühl, die Temperaturen untertags sind für mitteleuropäische Verhältnisse hochsommerlich warm. Herrliche Tage, würde man meinen.
Doch es ist Krieg in Bagdad. Wieder einmal. Der Krieg kommt hier so regelmäßig, wie die Gezeiten am Meeresstrand. Wie 1980 bis 1988 wo ein mörderischer Stellungskrieg Hunderttausende Tote gefordert hatte. Wie 1990-1991, wo die Irakische Armee zuerst im benachbarten Kuwait eingefallen war und dann von den USA in einer 44-tägigen Luft-Boden-Kampagne aus dem Land vertrieben wurde. Wie 1998, wo die Amerikaner mit der Operation „Desert Fox“ Saddam abermals disziplinieren wollten. Und wie am 20. März 2003. Diesmal soll es ums Ganze gehen. Keine „half measures“ – „keine halben Sachen“, so die Cowboy-Rhetorik von George W. Bush.
Freiwillige Ausgangssperre
Eine surreale Situation: Vor den Fenstern zwitschern die Vögel, die Stimmung in der Stadt ist wie an einem Hochsommertag, wo alle, die konnten, aufs Land gefahren sind. Es sind kaum Menschen auf den Straßen, es fahren kaum Fahrzeuge auf der Abu Nawas, einer der Hauptdurchzugsrouten entlang des Tigris. Die Ausgangssperre, die hier herrscht, wurde nicht verhängt, sondern freiwillig eingehalten. Jeder Bagdadi möchte bei Freunden, bei seiner Familie sein, wenn es das nächste Mal kracht. Und wenn man schon sterben muss, meint eine arabische Weisheit, dann am besten in seinen eigenen vier Wänden. Keine Panik in Bagdad. Krieg? Das kennt man ja.
Das Bombardement vom Donnerstag, dem 20. März kam für die Bagdadis nicht überraschend. Am Abend davor trafen die Ministerien und öffentlichen Einrichtungen, aber auch die Bürger Bagdads die letzten hektischen Vorbereitungen. Es war zu erwarten gewesen, dass der irakische Staatschef Saddam Hussein das US-Ultimatum ungenützt verstreichen lassen würde. Im Sicherheitsrat verdiente sich der Deutsche Außenminister Joschka Fischer noch am Abend zuvor gute Haltungsnoten, doch der Militärschlag war nicht mehr aufzuhalten.
Die ersten Einschläge
Bagdad geht ins Bett und weiß, dass eine unruhige Nacht droht. Um exakt 5.35 Uhr heulen die Sirenen. Der "Tag der Befreiung" – so der O-Ton von George W. Bush in seiner Rede an die Nation etwa eine halbe Stunde später – hatte begonnen. Um 5.41 Uhr beginnt die Flak im Südosten der Stadt zu feuern, schon wenig später sind die dumpfen Einschläge der Tomahawk-Cruise-Missiles und der GPS-gesteuerten Bomben zu hören. Um 5.47 Uhr stellt die Flugabwehr dann den Beschuss ein. Eine Viertelstunde später feuern die Flugabwehrgeschütze abermals in den Himmel. Bis 6.20 Uhr bleibt das so. Vereinzeltes Flugabwehrfeuer. In Washington, D.C. wird man später sagen, man hätte Bomben auf ein „target of opportunity“ geworfen. Ein Ziel also, das sich aus der Situation ergeben hätte. Man brauchte nicht lange zu spekulieren: Die USA hatten offenbar von einem Treffen der irakischen Führung Kenntnis erhalten und versucht, dem Regime „den Kopf abzuschlagen“, bevor der Krieg überhaut begonnen hatte. Den Angestellten des Hotels Meridien-Palestine im Zentrum der Stadt, der durch den palmenbepflanzten Garten des Hotels schlendert, lässt der Bombenkrieg gleichgültig. Er geht zur Mauer, wagt einen Blick Richtung Tigris. Die Paläste stehen noch. Er schlurft wieder zurück, vorbei am wasserlosen Brunnen. Von der Hektik, der angespannten Atmosphäre, ist an diesem Morgen nichts zu spüren. Das Warten auf den Krieg hat ein Ende, jetzt ist er da, der Krieg. Die Würfel sind gefallen, von nun an ist alles in den Händen Allahs, meint man hier.
Wenig später zeigt sich Saddam Hussein im irakischen Staatsfernsehen und stimmt sein Volk auf den Krieg ein. Er wirkt müde, aber – und das ist die Botschaft an die Iraker – er ist am Leben. Sollte der US-Schlag ihm gegolten haben, ist er missglückt.
Die Tage sind ruhig, nachts fallen die Bomben
In scharfem Kontrast zu den Durchhalteparolen des Staatschefs stehen die für Journalisten sichtbaren militärischen Vorbereitungen. Auf den wichtigen Straßenkreuzungen sind Sandsäcke aufgeschichtet, die mit eher älteren, gemütlich wirkenden irakischen Soldaten bemannt sind. Doch was passiert, wenn die US-Bodentruppen in die Stadt kommen? Öffnet sich dann die Tür zu einem militärischen Schattenreich, bereit zum erbitterten Widerstand, von dem bisher nichts zu sehen war?
Die Tage in Bagdad sind ruhig, zumindest bis jetzt. In der Nacht kommen wieder die Bomber und Cruise Missiles. Um 21.10 Uhr heftiges Luftabwehrfeuer über dem Regierungsbezirk. Bomben fallen. Im Irakischen Fernsehen: Tänze, Landschaftsaufnahmen, Militärische Marschkolonnen am Paradeplatz, patriotische Musik. Massen, die dem Staatschef zujubeln.
Um 22.15 Uhr der nächste Flieger-Alarm. 22.57 Uhr. Wieder Alarm. Zwei Gebäude wurden getroffen und stehen in Flammen. Der Amtssitz des irakischen Premierministers, Tarek Aziz und das Planungsministerium, direkt am Tigrisufer. Über der Stadt liegt der Nebel des Krieges, ein Nebel aus Staub- und Rauchschwaden. Um 23.50 Uhr heulen die Sirenen und geben Entwarnung.
Am nächsten Morgen kommt eine Meldung aus dem Ticker, der gleich vor dem Büro der Deutschen Presseagentur im irakischen Informationsministerium steht. Saddam Hussein lobt Kopfprämien für gefangene oder getötete Soldaten, abgeschossene Cruise-Missile oder Flugzeuge aus.
Mittlerweile ist es Mittag in Bagdad. Hassan, Saif und Bashir, drei Freunde, die sich mit Schuhputzen Geld verdienen, machen vor dem Informationsministerium, an der Jumhuriya-Straße das Geschäft ihres Lebens. Die drei sind gute Geschäftsleute, weisen mit Handsignalen darauf hin, wenn die Schuhe der Ausländer ihrer Meinung nach nicht sauber genug sind. Und als "Sahafi", als Journalist sollte man zumindest mit geputzten Schuhen ins Ministerium gehen, finden sie. Bisher haben sie vor dem Hotel Meridien Palestine oder dem netten kleinen Hotel Al Fanar an der Abu-Nawas-Straße gestanden. Aber hier, am Informationsministerium, wo jeder Journalist zumindest einmal am Tag auftaucht, ist das Geschäft am besten, sagen sie.
Am Morgen des 21. März gibt es für die Journalisten Pressekonferenzen im Informationsministerium. Die politische Führung berichtet. Informationsminister Mohammed Al Sahaf zeigt Fotos von Zivilisten, die bei den Bombenangriffen verletzt wurden. Der Innenminister bestätigt, was auch das Pentagon verlauten lässt: Die Familienresidenz von Mitgliedern des Hussein-Clans wurde bombardiert. "Die USA sind eine Supermacht des Verbrechens", tönt er.
Die Attacke
Am Abend des 21. März: Die Nacht der Nächte. Die "shock and awe" (Schock und Furcht)-Kampagne hat begonnen. Um 20.05 Uhr heulen die Luftschutzsirenen – ein an- und abschwellender Ton. Ein Sirenengeräusch, das man in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gehört hat. Die Flugabwehr feuert in den Himmel, man sieht rote Pünktchen, die wie hochbeschleunigte Glühwürmchen in die Nacht schießen. Weit entfernt sind bereits Detonationen zu hören. Um 20.48 Uhr die zweite Welle. Die Flak feuert weiter in den Himmel, zehn Minuten später sieben orangerote gleißende Blitze, vielleicht 1,5 km in west-süd-westlicher Richtung vom Hotel Meridien-Palestine. Der Angriff gilt dem Regierungsbezirk. Die Rauchsäulen steigen bis etwa 200 Meter in den Himmel. Dann drei weitere Detonationen. Orangerote Blitze, Rauchsäulen, die aussehen wie Mini-Nuklearexplosionen. Eine gewaltige Zerstörungskraft muss dort entfesselt worden sein. Nach einer kurzen Weile – Schall pflanzt sich viel langsamer fort als Licht – dann die gewaltige Explosion, die die Fenster sichtbar nach innen drückt.
Comiczeichner würden den Knall als „WOMM!„ beschreiben. Ein „WOMM!“ mit ziemlich hohen, dicken Buchstaben. Mindestens ein Gebäude steht lichterloh in Flammen. 21.02 Uhr: Bisher 17 Einschläge gezählt. Ein massiver Schlag, zweifelsohne. Eine gewaltige Staub- und Rauchwolke liegt über dem Stadtteil, gleich gegenüber am anderen Ufer des Tigris. Man hört die heulenden Sirenen der Einsatzfahrzeuge, die Wolke driftet langsam nach Süd-Südost. Eineinhalbstunden später die nächste Bombenwelle. Wieder Detonationen. Es handelt sich offenbar um Cruise-Missiles. Zuerst hört man ein Zischen wie von einem Kampfflugzeug, dann blitzt es am Horizont, und zeitverzögert hört man die Detonation.
Die tägliche Dosis Propaganda
22.55 Uhr: Zwei weitere Cruise-Missiles zischen durch die Luft. Endlich bringt das Irakische Fernsehen Nachrichten und nicht die üblichen Tänze und Sequenzen von Saddam Hussein. Der Nachrichtensprecher verliest die bereits am Morgen über den Ticker der irakischen Nachrichtenagentur INA gelaufene Meldung über die Kopfprämien, die Saddam Hussein für gefangene und getötete Soldaten, Piloten, abgeschossene Flugzeuge und Cruise-Missiles ausgelobt hat. Das Programm wird fortgesetzt: Saddam reitet auf einem Schimmel durch das Iran-Kriegs-Triumph-Denkmal der gekreuzten Schwerter am Paradeplatz. Kein Wort von den Bombardements und den Folgen, kein Wort über den Kriegsverlauf im Süden. Wenn die Iraker wirklich informiert werden wollen, sind sie gezwungen, den arabischen Dienst der BBC oder Radio Monte Carlo zu hören. Um 11 Uhr nachts dann der einminütige Dauerton – Entwarnung.
Am Morgen des 22. März wieder die bereits routinemäßigen Pressekonferenzen im Informationsministerium. Mohammed Al Sahaf, ein bebrillter Bürokrat mit dem für irakische Offizielle typischen Schnauzbart tritt vor die Presse. Eingerahmt von zwei irakischen Fahnen, in der Mitte ein Bild des Staatschefs in Schwarz-Weiß. Frage: "Die USA und Briten melden eine große Anzahl von Kriegsgefangenen. Ihr Kommentar, bitte!"
Al Sahaf: "Diese angeblichen Kriegsgefangenen sind gekidnappte Zivilisten, die man in Uniformen gesteckt hat. Eine große Täuschung der Propaganda."
Frage: "Wie stellt sich der Kriegsverlauf aus Ihrer Sicht dar?"
Al Sahaf: "Wir haben bisher fünf Panzer der Koalitionstruppen zerstört, der Vormarsch der Feinde ist gestoppt. Sie sind nun eingekreist."
Frage: "Was wissen Sie über verletzte Zivilisten?"
Al Sahaf: "Es wurden gestern Nacht 207 Zivilisten verletzt. Diese Zivilisten wurden in ihren Häusern verletzt."
Frage: "Haben Sie Informationen über Todesopfer?"
Al Sahaf: "Wir werden diese Zahlen bekannt geben, sobald wir sie zur Verfügung haben."
Frage: "Welche Gebäude wurden getroffen?"
Al Sahaf: "Ein Palast, der als Gästehaus gedient hat, der streng friedlichen Zwecken gewidmet war, wurde getroffen. Ein weiterer ehemaliger Palast, der nun ein Museum beherbergt, wurde ebenfalls getroffen."
Frage: "Haben Sie in den vergangenen zwei Tagen den Präsidenten gesehen?"
Al Sahaf: "Nächste Frage."
Frage: "Das ist doch eine wichtige Frage. Haben Sie in..."
AL Sahaf: "Stellen Sie vernünftige Fragen!"
Frage: "Zurück zu den Verletzten. Haben Sie Details?"
Al Sahaf: "Die Verletzten wurden in vier verschiedene Spitäler eingeliefert, wo sie medizinisch versorgt werden. Ich lade Sie ein, die Verletzten zu besuchen und ihnen Fragen zu stellen, wo und wie sie verletzt wurden."
Das Pentagon meldet: In dieser Nacht wurden 1.000 Angriffe mit Flugzeugen geflogen, 1.000 Cruise Missiles abgefeuert. Das Rote Kreuz bestätigt, dass es 114 zivile Opfer (Verletzte) gegeben hat.
10.30 Uhr: Vor dem Informationsministerium warten drei Reisebusse, die die Journalisten durch die Stadt karren werden.
Die ersten zivilen Opfer
Die Al-Jarmuk Universitätsklinik der Al Mustansaria Universität. Zaid Abdul Charim, Chefchirurg des Hospitals: "Wir haben die ganze Nacht Bombenopfer behandelt. Manche Menschen wurden durch herabstürzende Gebäudeteile oder Trümmer verletzt, wir hatten Brandwunden zu behandeln, durch die Detonationswelle sind auch einige alte Häuser in sich zusammengestürzt. Dieses Spital ist auf den Krieg vorbereitet, für uns sind Verletzungen durch Kriegseinwirkung nichts neues. Wir waren auch auf die Zahl der Verletzen und die Art der Verletzungen vorbereitet. Dennoch haben wir – durch die Sanktionen – Probleme mit der medizinischen Versorgung. Es fehlt zum Teil an Material."
Frage: "Wieviele Verletzte gab es gestern Nacht?"
Zaid Abdul Karim: "In unserem Spital haben wir 101 Verletzte behandelt."
Frage: "Gab es auch Tote?"
Zaid Abdul Karim: "Es gab auch Tote. Ein kleines Mädchen, dass ich zu behandeln hatte, ist leider gestorben. Über das zweite Todesopfer kann ich keine Angaben machen."
Die Betten der Notfallmedizin des Spitals sind mit den Opfern der letzten Nacht gefüllt. In jeweils acht Betten pro Zimmer liegen die Verletzten. In jedem Bett ein trauriges Schicksal. Was sich in den orangen Blättern der Krankenberichte als "multiples stumpfes Trauma" liest, sind furchtbare Quetschwunden mit ausgedehnten Hämatomen. Die Schmerzen müssen fürchterlich sein. Ganem, ein fünfjähriger Junge wurde von seinem Vater Ahmed ins Spital gebracht. Gegen 21.00 Uhr schlug eine Bombe ganz in der Nähe der Wohnung der Familie ein. Frage: "Gibt es in der Nähe irgendwelche militärischen Ziele, gibt es Anlagen der irakischen Regierung?" Ahmed: "Wir wohnen im Beja-Distrikt. Das ist ein Wohnviertel. Da ist nichts."
Neues Leben mitten im Krieg
Ganem, der Fünfjährige ist tapfer. Er krallt sich am Vater fest, sein Kopf ist mit einer dicken Verbandshaube bedeckt. Er hat eine tiefe Kopfverletzung davongetragen. Die Schädeldecke ist nicht verletzt, er wird bald wieder gesund. Aus seinen Augen spricht noch die Angst vor den Bomben, der Schmerz der großflächigen Wunde.
Die Ärzte hier sind sehr bemüht, man kümmert sich um die Patienten. Doch das Spital ist – wie die meisten im Lande – in einem jämmerlichen Zustand. Die grüne Farbe blättert von den Wänden, die Möbel haben die besten Jahre hinter sich. Die Neonlampen tauchen die Gesichter der Patienten in ein unbarmherziges kaltes Licht. Der marmorierte Steinboden ist kalt, ein paar Wärmelampen sollen die Zimmer auf einer angenehmen Temperatur halten. In einem weiteren Zimmer liegt ein Neugeborenes im Brutkasten. Eine Frühgeburt, wegen der Anspannung der Mutter durch das Bombardement, sagen die Ärzte. Der kleine Winzling wiegt nur 1.100 Gramm. Neues Leben mitten im Bombenkrieg. Jedes Mal, wenn die Kameras angeschaltet werden, tanzen die Krankenschwestern: "Bush, Bush, isma zien, culluna nahab Saddam Hussein!" – "Bush, Bush, hör uns zu, wir lieben unseren Saddam Hussein!" Und damit wir sie auch ganz sicher verstehen: "Down, down Bush! Down, Down Bush!"
Die Busse fahren weiter, 15 Minuten Richtung Süden, Bezirk Dora. Eine Freizeiteinrichtung: Bagdad Tourist Island. Die Touristeninsel von Bagdad. Raad Abdul Latif, Direktor dieser Freizeiteinrichtung, erzählt. Er ist noch ein wenig "shell-shocked" vom gestrigen Angriff. "Gegen 21.00 Uhr kamen gestern die Bomben. Als wir den Beginn der Luftschläge mitbekamen, haben wir uns in unseren Bunker geflüchtet. Dadurch ist niemand zu schaden gekommen. Al hamdu lil-lah! – Gott sei Dank. Die Bomber haben insgesamt drei Bomben geworfen und das Verwaltungsgebäude und das Restaurant vollständig zerstört. Wir sahen gerade fern, als wir den Luftangriff mitbekamen. Was die Amerikaner machen, ist ehrlos. Sie werfen Bomben auf uns Irakis, dabei sind wir ein friedliebendes Volk." Frage: "Warum haben die Amerikaner Ihrer Meinung nach dieses Ziel bombardiert?" Raad Abdul Latif: "Ich habe nicht die geringste Ahnung. Hier gibt es kein Militär in der Nähe." Die USA werden später behaupten, dieses Ziel sei bombardiert worden, weil dieser Ort möglicherweise Uday Hussein, dem ältesten Sohn des irakischen Staatschefs, als Versteck gedient haben könnte.
Die Freizeiteinrichtung liegt in Trümmern: Schreibmaschinen, Büromaterial, Blechstücke des Dachs, zersplittertes Mauerwerk und Styroporteile der Isolation: Wo früher Gebäude standen, liegt nun alles in Schutt und Asche. Im zwei Meter tiefen Krater steht das Grundwasser, um den Krater haben sich kamerawirksame Klaqueure des Regimes postiert – mit Fahnen und Bildern von Saddam Hussein. Die Slogans kennen wir bereits: "Bush, Bush, isma zien, culluna nahab Saddam Hussein!" – "Bush, Bush, hör uns zu, wir lieben unseren Saddam Hussein!" Und "Down, down Bush! Down, Down Bush!" Ganz genau wie im Spital. Ohne Spontaneität.
Dann fährt der Bus zurück zum Hotel. Über der Stadt kreisen wieder die Bomber. An einer Armeeposition wird Halt gemacht. Die Soldaten stimmen Slogans an: "Down, Down Bush!" Sie recken ihre Kalaschnikows in den Himmel, schweres Gerät ist nicht zu sehen. Der Haufen, der sich hier präsentiert, wirkt wie der Irakische Volkssturm, gegen die Elitekräfte der Briten und Amerikaner werden diese Soldaten wenig ausrichten können.
Journalisten auf "Magical Mystery Tour"
Vor dem Informationsministerium an der Jumhuriyet ist die "Magical Mystery Tour" – nach diesem Beatles-Song haben die Britischen Journalisten diese Ausflüge durch den Krieg getauft – zu Ende. Die Journalisten stürmen gerade in Panik aus dem Gebäude, denn nun fliegen die Bomber auch am Tag ihre Angriffe. Schnell weg hier, zurück ins Hotel.
Es ist Abend geworden in Bagdad, die Sonne verschwindet im Westen hinter dem Horizont, hinter dicken, schweren Rauchsäulen in weiter Ferne. Brennen Ölfelder? Hunderte Meter hoch steht die schwarze Rauchsäule am Himmel, der Rauch driftet Richtung Norden ab. Die abendliche schaurige Kriegs-Idylle von Bagdad. Dann, gegen 18.00 Uhr weitere Einschläge. Bomben fallen rings um die Stadt. Norden, Süden, Osten, Westen. Aus allen Richtungen sind Detonationen zu hören, in allen Richtungen stehen Hunderte Meter hohe dicke Rauchsäulen in der Luft. Mindestens 30 Detonationen sind zu hören. Es steht eine weitere Bombennacht bevor.
Thomas Seifert