Rebellion in Russland Festnahme von Prigoschin stand wohl unmittelbar bevor – doch der Wagner-Chef entschloss ich zur Attacke

Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, hält in Rostow eine Videoansprache.
© Uncredited/Prigozhin Press Service/AP/dpa / DPA
Als Jewgeni Prigoschin auf Rostow marschierte, flohen Verteidigungsminister Schoigu und Generalsstabchef Gerassimow aus der Stadt. Dort bereiteten sie sich offenbar auf die Festnahme des Wagner-Chefs vor.

Die russische Stadt Rostow erwachte am Samstag in einer bizarren Welt. Die Söldnertruppe Wagner hatte in der Nacht die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht - ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. "Der Generalstabschef ist geflohen", verkündete der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin um 7.30 Uhr Ortszeit. 

Auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu hielt sich in der Nacht zu Samstag in der Stadt unweit der ukrainischen Grenze auf. Er floh ebenfalls.

Schoigu und der Generalstabschef Gerassimow sind in der Nähe der Front höchst seltene Gäste. Und nun waren beide in Rosrow, ausgerechnet in jener Nacht, als Prigoschin in eine offene Rebellion überging und Kurs auf Moskau nahm? 

Für Beobachter kann dies kein Zufall sein. Ein Blick in die propagandistischen Telegram-Kanäle von Z-Bloggern gibt ihnen Recht.

Vorbereitungen für Schlag gegen Jewgeni Prigoschin 

Vor einigen Tagen tauchten erste Berichte über die Verlegung von 1500 Männern russischer Sondereinheiten nach Rostow auf. Zunächst sah es nach Verstärkung der russischen Kriegstruppen aus.

Doch am Freitag wurde bekannt, dass Schoigu zusammen mit den Sondereinheiten angereist war. "Unseren Informationen zufolge, ist Schoigu nach Rostow gekommen, nicht um gegen die ukrainischen Streitkräfte vorzugehen. Zusammen mit dem Generalstabschef Gerassimow arbeitet er an einem Plan, die Wagner-Kämpfer festzunehmen", meldete der Telegram-Kanal "Moskauer Waschsalon" um 17.35 Uhr. 

"Der offizielle Grund ist die Weigerung, einen Vertrag mit den russischen Streitkräften abzuschließen. Es ist entschieden worden, den störenden Musikanten endgültig ein Ende zu machen. Es wird keine Gnade geben." 

Seit einige Monaten ist es der russischen Propaganda verboten, den Truppennamen Wagner zu erwähnen. Also gingen die Propagandisten dazu über, von Musikanten zu sprechen, wenn die Rede von der Wagner-Truppe war. 

"Wer Widerstand leistet, wird erschossen"

Allein diese Regelung ließ bereits vorhersagen, dass der Stern von Prigoschin bald verglühen wird. Nun bereiteten sich Schoigu und Gerassimow offenbar darauf, ihm den Todesstoß zu versetzten. 

Der ersten entsprechenden Meldung folgte am Freitagabend eine weitere. Der Telegram-Kanal "Brennpunkt" schrieb unter Berufung auf Soldaten in Rostow, die Militärführung bereite eine "äußerst gewaltsame Festnahme" von Wagner-Söldnern vor. "Wer Widerstand leistet, wird erschossen", hieß es. 

Der Meldung beigefügt war ein Chat, der zwischen zwei Soldaten stattgefunden haben soll. Einer schrieb demnach dem anderen: "Wir dachten, wir werden gegen Zivilisten vorgehen. Nun sollen wir aber Wagner-Leute beseitigen. Sowas habe ich nicht unterschrieben." 

Eskalation als einziger Ausweg 

Drei Stunden nach den ersten Meldung über den möglichen Grund des Aufenthalts von Schoigu und Gerassimow in Rostow ging Prigoschin zum Schlag über. Er ließ seine Truppe auf Rostow marschieren. Seitdem bewegt er sich unaufhaltsam auf Moskau zu.

"Für mich sieht es tatsächlich so aus, als ob Prigoschin von der Anwesenheit einer Strafeinheit, die ihn festnehmen sollte, erfahren und entschieden hat, es sei an der Zeit zu handeln", analysiert die Situation der Militärexperte Michael Nacki auf seinem YouTube-Kanal.

Der ursprüngliche Plan des russischen Militärs habe vorgesehen, die Wagner-Truppe bei Bachmut aufreiben zu lassen. "Prigoschin hat aber diesen Plan durchschaut und verstanden, dass die Eskalation seine einzige Option ist." 

Er habe den Rückzug aus Bachmut verkündet. Doch das Verteidigungsministerium habe dies zu verhindern versucht und eine Einheit entsandt, um die Wagner-Truppe am Rückzug zu hindern. Doch der Plan sei schief gelaufen, so Nacki.

Jewgeni Prigoschin kommt seinen Feinden zuvor

Im Mai hatte die Wagner-Truppe einen russischen Offizier gefangengenommen. Vor einer Kamera gestand er ein, die Rückzugswege der Prigoschin-Kämpfer vermint zu haben. 

Nach einer solchen Ohrfeige musste Prigoschin den Weg der Eskalation weiterbeschreiten. Einem direkten Befehl Wladimir Putins, sich dem Verteidigungsministerium unterzuordnen, erteilte er eine radikale Absage.

Das wiederum konnte Putin nicht hinnehmen und erteilte dem Verteidigungsministerium den Befehl Prigoschin festzunehmen. 

"Von dieser Entscheidung hat Prigoschin erfahren. Er hat erfahren, dass die Strafeinheit eingetroffen ist; dass Schoigu höchstpersönlich eingetroffen ist. Und er hat entschieden, das einzig Richtige für ihn in dieser Situation zu tun: Noch einen Schritt weiter zu eskalieren und den Gegner zu überrumpeln", sagt der Militärexperte Nacki. Bislang ist dies Prigoschin gelungen.