Protest gegen Putin "Hier werdet ihr belogen": Mitarbeiterin des Staatsfernsehens unterbricht Abendnachrichten

Russland Staatsfernsehen: Frau protestiert in Live-Sendung des Staatsfernsehens gegen Ukraine-Krieg
Russland: Frau protestiert in Live-Sendung gegen Ukraine-Krieg
Sehen Sie im Video: "Sie lügen Euch an" – Kriegsgegnerin stört Live-Nachrichtensendung im russischen Staatsfernsehen.












STORY: Nachrichten im russischen Staatsfernsehen Kanal 1 am Montagabend – inhaltlich stramm auf Linie des Kremls mit der Botschaft: Russland war gezwungen, die Ukraine anzugreifen. Doch dann stört eine Mitarbeiterin die Sendung. Auf dem Schild steht auf englisch und russisch: "Kein Krieg. Stoppt den Krieg. Glaubt nicht der Propaganda. Sie lügen Euch an." Nach wenigen Sekunden schaltete der Sender auf ein anderen Bericht um. Das Staatsfernsehen ist die Hauptnachrichtenquelle für viele Millionen Russen. In einem Video, das vor dem Vorfall aufgezeichnet worden sein soll und anschließend online gestellt wurde, beschrieb sich eine Frau, die die Aktivistin zu schein schien, als Mitarbeiterin des Senders. Sie sagte, dass sie sich dafür schäme, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. Ihr Vater sei Ukrainer, ihre Mutter Russin. Was derzeit in der Ukraine passiere, sei ein Verbrechen und Russland sei der Aggressor. Die Verantwortung liege bei einem Mann und dieser sei Präsident Wladimir Putin. Sie rief das russische Volk auf, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Nach Angaben einer Menschenrechtsgruppe wurde die Frau verhaftet und wird sich wohl unter anderem wegen Diskreditierung der Streitkräfte verantworten müssen. Der außergewöhnliche Protest fand am 19. Tag des Kriegs statt, der mit dem Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine am 24. Februar begonnen hatte. Russland nennt die Invasion eine militärische Sonderoperation. Diese Satellitenbilder zeigen die Zerstörung in den unter russischem Beschuss stehenden Städten Mariupol, Irpin bei Kiew und auf der strategisch wichtigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer.
In der Primetime stürmte eine Mitarbeiterin des Perwyj Kanals, des größten Senders Russlands, das Studio der Abendnachrichten und hielt dem Millionenpublikum ein Anti-Kriegs-Plakat vor die Augen. 

Die Abendnachrichten des Perwyj Kanals, des Ersten Kanals, sind eins der wichtigsten nachrichtlichen Formate des russischen Fernsehens. Jeden Abend schauen Millionen russischer Bürger die Sendung, die trotz des Namens aber wenig mit Nachrichten zu tun hat, sondern einer Propaganda-Show gleicht. Eine Redakteurin des staatlichen Senders hatte genug von den Lügen und entschloss sich zu einem verzweifelten Protest. Marina Owsjannikowa stürmte am Montagabend während der Live-Übertragung ins Studio und hielt in der Primetime dem Millionenpublikum ein Protestplakat gegen den Ukraine-Krieg vor die Augen. "Nein zum Krieg. Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen", lautete ihre Botschaft.

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Dazu rief die junge Frau mehrmals "Nein zum Krieg! Stoppt den Krieg!". Der Fernsehsender hatte keine Zeit, das Bild zu ändern und den Ton auszuschalten. Nach einigen Sekunden wurde die Übertragung jedoch abgebrochen und ein Beitrag aus einem Krankenhaus ausgestrahlt. Am Dienstagmorgen war die Seite der Abendnachrichten nicht zugänglich. 

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Nach ihrer Protestaktion wurde Owsjannikowa festgenommen und befindet sich nach Angaben der Menschenrechtsorganisation OWD-Info und ihrer Freunde auf einem Polizeirevier in Moskau. Nach einem neuen Gesetz, das am 4. März verabschiedet worden ist, drohen ihr nun bis zu 15 Jahre Haft. Das Gesetz verbietet die Verbreitung von angeblichen "Fake News" über den Ukraine-Krieg. Was aber Fake ist, bestimmt der Kreml. Dazu gehört auch die Bezeichnung Krieg für die Invasion in der Ukraine. 

"Russland ist der Aggressor" 

Ihren Protest hatte Owsjannikowa in den sozialen Netzwerken angekündigt. "Was gerade in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen", sagt sie in einer Videobotschaft. "Und Russland ist der Aggressor. Die Verantwortung für diese Aggression trägt ein einziger Mensch. Und dieser Mensch heißt Wladimir Putin. Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter Russin. Und sie waren nie Feinde", erklärt sie ihre Situation, die in so vielen russischen Familien anzutreffen ist. 

Schuld und Scham 

"Zu meinem Bedauern habe ich in den letzten Jahren bei Perwyj Kanal gearbeitet und Kreml-Propaganda verbreitet. Ich schäme mich sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zugelassen habe, dass Lügen vom Fernsehbildschirm erzählt werden. Ich schäme mich dafür, dass ich zugelassen habe, dass die russische Bevölkerung gehirngewaschen wird." 

"Wir haben 2014 geschwiegen, als all das begann. Wir sind nicht auf die Straße gegangen, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben wortlos dieses unmenschliche Regime beobachtet. Und jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewendet. Und die nächsten zehn unserer Generationen werden sich nicht von der Schande dieses Bruderkriegs reinwaschen können." 

"Es liegt an uns, diesen Wahnsinn zu stoppen", wendet sie sich zum Schluss an ihre Landsleute. "Geht auf die Straße. Habt keine Angst. Sie können uns nicht alle verhaften." 

Für ihren mutigen Protest, mit dem sie die Existenz ihrer Familie und ihre eigene aufs Spiel setzt, wird Owsjannikowa gefeiert. Innerhalb weniger Stunden fluteten Zehntausende bewundernde Kommentare ihre Facebook-Seite. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fand lobende Worte. In einer Videoansprache am Montagabend sagte er: "Ich bin den Russen dankbar, die weiter versuchen, die Wahrheit zu verbreiten, die gegen Desinformation kämpfen und ihren Freunden und Familien echte Fakten erzählen, und besonders dieser Frau, die mit einem Anti-Kriegs-Plakat ins Studio von Perwyj Kanal ging."

Mykhailo Podolyak, ein Berater von Selenskyj, twitterte einen Clip der Protest-Aktion: "Russland ist keineswegs frei. Es gibt keine freien Medien, keinen politischen Wettbewerb, keine Protestkundgebungen. Jeder Protest ist ein direkter Weg ins Gefängnis. Umso wertvoller ist die Tat von Marina Owsjannikowa, die einem Millionenpublikum die Wahrheit über den verheerenden Krieg Russlands erzählte", schrieb er.