Russland Des Kaisers neue Spione

Von Andrzej Rybak und Verena Diethelm
Strategisch wichtige Unternehmen hat Wladimir Putin verstaatlicht. Jetzt folgt Phase zwei seines Plans: Der russische Premier und frühere Präsident installiert Ex-Spione und Vertraute an der Spitze privater Konzerne - wenn es sein muss, mit Geheimdienstmethoden.

Zuerst deutete nichts auf einen Eklat hin. Es war eine Branchenbesprechung, wie sie Premier Wladimir Putin häufiger einberuft. Diesmal lud er ein halbes Dutzend Metall-Magnaten nach Nischni Nowgorod, dem alten Handelzentrum an der Wolga, ein. Milliardenschwere Oligarchen, darunter Oleg Deripaska, Wladimir Lisin, Alischer Usmanow und Alexander Abramow, hörten sich geduldig die Klagen des Regierungschefs über steigende Rohstoffpreise und Inflation an.

"Bei uns gibt es so ein ehrwürdiges Unternehmen", sagte Putin und blickte mit seinen kalten Augen in die Runde. "Mechel." Russlands fünftgrößter Bergbau- und Stahlkonzern. Das Unternehmen habe seine Rohstoffe im Ausland zum halben Inlandspreis verkauft. "Wir baten ihren Chef, zu uns zu kommen, doch er wurde plötzlich krank", berichtete Putin und fuhr dann mit unverhohlener Drohung fort: "Sollte er nicht bald genesen, werden wir einen Arzt schicken müssen, der alle Probleme ausräumt."

Das war nicht nötig. Die Botschaft kam auch so an - im Moskauer Krankenhaus, wohin sich Mechel-Chef Igor Sjusin zurückgezogen hatte, und an der Wall Street, wo der Aktienkurs des russischen Konzerns binnen weniger Minuten nach unten rauschte. Seit dem Wutanfall des Premiers hat sich der Wert des Konzerns auf rund acht Milliarden Dollar halbiert.

Die Investoren sind nervös

Die Investoren sind nervös. Vor einer Woche erst hatte der Vorstandschef des britisch-russischen Joint-Ventures TNK-BP nach monatelangem Machtkampf fluchtartig Moskau verlassen. Putins scharfer Angriff auf Mechel wenige Tage später überraschte selbst Kritiker des Premiers - zumal kürzlich ein weiterer Coup angekündigte wurde. Ein enger Vertrauten Putins soll in den nächsten Tagen an die Spitze des zweitgrößten Nickelproduzenten der Welt rücken. Beunruhigende Nachrichten: Der russische Kapitalmarkt hat binnen einer Woche rund 80 Milliarden Dollar verloren.

Auch den wohlwollendsten Beobachtern wird inzwischen klar: Putin weitet seinen Einfluss auf die Wirtschaft - auch als Premierminister - zielstrebig aus. Phase eins, die Verstaatlichung strategischer Unternehmen, ist abgeschlossen. Jetzt folgt Phase zwei: Putin installiert ehemalige Geheimdienstler und Freunde in Aufsichts- und Beiräten privater Konzerne. Die bescheidenen Erfolge auf dem Weg zu einer liberaleren Marktwirtschaft stehen damit erneut in Frage. Die Risiken für Investoren sind hoch, der Schutz von Privateigentum fragil.

Wohl und Wehe hängt von Putin ab

Längst herrscht in Russland ein Klima der Angst: Wie ein römischer Kaiser kann Putin über das Wohl und Wehe milliardenschwerer Konzerne entscheiden - mit ein paar an die Öffentlichkeit lancierten Sätzen. Und Dmitri Medwedew, der vermeintliche Hoffnungsträger und Nachfolger im Präsidentenamt, wagt keine Widerrede gegen seinen Mentor. Erst nach einer Woche versuchte Medewdew, den Markt zu beruhigen: "Unsere Rechtsvollstreckungsorgane und Regierungsvertreter müssen aufhören, den Unternehmen Albträume zu bereiten", sagte der Präsident nun bei einem Auftritt in Smolensk. "Wir müssen ein normales Investitionsklima im Lande schaffen." Den Namen Putins sprach er dabei nicht aus.

Der Präsident schickte andere vor. Sein Berater, der liberale Ökonom Arkadi Dworkowitsch, mahnte einen behutsameren Umgang mit börsennotierten Unternehmen an. "Wir sollten sehr vorsichtig mit unserem Markt sein." Und auch Igor Jurgens, der Leiter des medwedewnahen Instituts für moderne Entwicklung, übte offene Kritik. "Es gibt 150 Wege, wie man Probleme ausräumen kann, ohne solche Kommentare abzugeben."

Doch Putin lässt sich nicht beirren, er wiederholte seine Attacken. "Investoren, die sich mehr Rechtssicherheit unter Medwedew erhofft haben, sind enttäuscht", sagt Julia Buschujewa, Chefanalystin bei der Investmentbank Unicredit Aton. Noch immer diktiere Putin die Regeln.

Mechel-Chef Sjusin, dessen Vermögen vor einer Woche noch auf elf Milliarden Dollar geschätzt wurde, muss geahnt haben, dass Putin zum Schlag ausholen werde. In alter Manier der früheren Funktionäre der Kommunistischen Partei, die in Ungnade gefallen waren, ließ er sich einen Tag vor dem Branchentreffen bei Putin mit Herzbeschwerden ins Krankenhaus einweisen.

Der ruhige Ton konnte kaum die Panik überdecken

Doch die Drohung des Premiers wirkte Wunder: Skisom wurde wieder gesund - und flog diese Woche in das Kohlebecken von Kusbass, wo sich in einer Mechel-Zeche ein Unfall ereignet hatte; bei einer Explosion waren 17 Menschen verletzt worden. Der Konzern erklärte sich zudem bereit, mit den Behörden zu kooperieren und Einsicht in alle Geschäftsunterlagen zu gewähren. Doch der demonstrativ ruhige Ton konnte kaum die Panik überdecken, die in der Mechel-Zentrale ausgebrochen war: In einer ersten Pressemitteilung räumte Mechel die fragwürdigen Praktiken ein, die Putin kritisiert hatte. Nach kurzer Zeit allerdings verschwand die Pressemitteilung von der Website - als sei sich die Zentrale selbst nicht sicher, wie sie reagieren solle.

Hinter dem Angriff auf Mechel stehen die großen Rivalen des Konzerns. Vor allem Wladimir Lisin, Chef des Novolipetzker Hüttenkombinats NLMK, hatte bei seinem Freund Putin interveniert, weil Mechel im Frühjahr seine Kokskohlelieferungen an ihn eingestellt und sich fortan geweigert hatte, langfristige Verträge abzuschließen. Auch andere Stahlgießer schlossen sich der Klage an und warfen Sjusin vor, "die heimische Industrie zu schädigen", sagt Wladimir Schukow, Analyst bei Lehman Brothers in Moskau.

Die Verstöße, die Mechel begangen haben soll, könnten zu Strafsanktionen in Höhe von 50 bis 200 Millionen Dollar führen, schätzen Analysten. Eigentlich kein Problem für ein hochprofitables Unternehmen dieser Größe. Viele Investoren glauben aber, Mechel werde die Attacken nicht überleben. "In dem von Präsident Putin geschaffenen System wird die Bürokratie seine Worte als Signal wahrnehmen, um Mechel zu vernichten und die staatliche Kontrolle in der Branche zu verstärken", sagt Dmitri Butrin, Journalist der Internetzeitung "Gazeta.ru".

Behörden ermitteln wegen Steuerhinterziehung

Längst ist Mechel eingekreist: Das Antimonopolkomitee untersucht seit Mai die Preisgestaltung, die Steuerfahndung ermittelt wegen Steuerhinterziehung, das Arbeitsministerium will die von der Explosion betroffene Zeche schließen, und das Umweltministerium wirft der Firma vor, Kohle außerhalb des lizensierten Gebiets zu fördern.

Die Lage erinnert an die Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos, dessen Chef Michail Chodorkowski es gewagt hatte, die Politik des damaligen Präsidenten Putin zu kritisieren. Der ehemalige Vorstandschef sitzt seit fast fünf Jahren hinter Gittern. Der Kreml ließ Yukos zwangsversteigern - den Zuschlag gewann die staatliche Ölfirma Rosneft, in dessen Aufsichtsrat Putins Vertrauter, der Ex-Geheimdienstler und heutige Vize-Premier Igor Setschin, sitzt. Just dieser Mann wurde nun von Putin beauftragt, die Stahl- und Bergbauindustrie in Russland zu "überprüfen". Der staatliche Konzern Rostechnologii soll Interesse an Mechel haben. Er wird von Sergei Tschemesow angeführt, einem ehemaligen Geheimdienstler - und ein Freund Putins.

Regierung braucht mehr Einfluss und Kontrolle

Der Fall Mechel scheint mehr zu sein als der Angriff auf ein einzelnes Unternehmen. Es ist der Versuch einer "Redefinition der Geschäftsmethoden in der Bergbauindustrie", sagt Ronald Smith, Chefanalyst der Moskauer Alfa-Bank. "Die Regierung plant eine Umstrukturierung des Metallurgiesektors, sie will langfristige Lieferverträge einführen", sagt Olga Mitrofanowa, Metallexpertin bei Unicredit Aton. "Dafür braucht sie mehr Einfluss und Kontrolle."

Alte Seilschaften kommen ans Tageslicht - sie bestimmen maßgeblich darüber, wer in der russischen Wirtschaft das Sagen hat. "Wir dürfen uns keine Illusionen über die Macht von Wirtschaft und Politik machen", sagt Roland Nash, Chefstratege der Investmentbank Renaissance Capital in Moskau. In einem Land mit schwachen Institutionen spiele die informelle Kommunikation eine große Rolle. Die meisten russischen Oligarchen, die in der Chaosherrschaft von Boris Jelzin ihr Vermögen rafften, kennen die Bedeutung der guten Vernetzung.

Potanin kämpft um die Kontrolle

Einer von ihnen ist Wladimir Potanin, der 1995 die Nickelschmelze im sibirischen Norilsk privatisierte. Seit einem halben Jahr kämpft er um die Kontrolle beim Nickelproduzenten. Oleg Deripaska, Haupteigner des Aluminiumimperiums Rusal, hat sich mit 25 Prozent bei Norilsk eingekauft und möchte den Konzern nun mit Rusal verschmelzen.

Potanin setzt auf eine ungewöhnliche - und riskante - Strategie: Jüngst schlug er Putins Vertrauten Wladimir Strschalkowski zum Generaldirektor von Norilsk vor. Der ehemalige KGB-Offizier aus St. Petersburg ist Chef der staatlichen Tourismusbehörde. "Wenn der Staat sein Augenmerk auf die Metallindustrie wirft, muss man in der Führung Leute haben, die einen guten Draht nach ganz oben haben", sagt ein Moskauer Analyst. Der Markt scheint die Lage ähnlich zu beurteilen. Die Aktien von Norilsk stiegen nach der Bekanntgabe der Kandidatur um fast vier Prozent.

Unternehmen "Steine in den Weg" werfen

Auch andere Firmen versuchen, das politische Risiko nach dem Modell von Potanin zu senken. Agro-Invest, einer der größten Agrarholdings Russlands und die Tochtergesellschaft des schwedischen Unternehmens Black Earth Farming, ernannte kürzlich den Duma-Abgeordneten Wasili Schestakow zum Chefberater. Schestakow hat einen klaren Auftrag. Er soll im Auftrag von Agro-Invest russische Bürokraten künftig daran hindern, dem Unternehmen "Steine in den Weg" zu werfen.

Schlagkräftige Argumente hat der neue Mann zuhauf: Er gehört seit Jahren zum "inneren Kreis" des Regierungschefs - auch, als der noch Präsident im Kreml war. 2004 veröffentlichten die beiden gemeinsam ein Buch: "Judo. Geschichte. Theorie. Praxis." Beide tragen den schwarzen Gürtel - und wissen allzu gut, wie sie den Gegner zu Boden ringen.

FTD