Silvio Berlusconis Rücktritt Italien muss sich frei machen

Silvio Berlusconis Rücktritt war überfällig. Viel zu lange hat er Italien und dann auch Europa zu Geiseln seiner Eitelkeit, seines Geldes und seines Unterleibs gemacht.

Ciao, Silvio? War's das? Ist Silvio Berlusconi jetzt weg? Ist Italien befreit? Es sieht danach aus. Im Februar soll es Neuwahlen geben, Berlusconi will nicht mehr antreten. Obwohl: Sicher sein - dies gilt zwischen Bozen und Catania noch mehr als in Griechenland - kann man sich nie. Kaum hat Berlusconi im Abgeordnetenhaus seine Mehrheit verloren, kaum hat er nach seinem Treffen mit Staatschef Napolitano seinen Rücktritt verkündet, gibt es schon wieder Gerüchte, der 75-Jährige spiele auf Zeit, hoffe, vielleicht doch die Stellung halten zu können im römischen Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten. Ein bisschen Zeit hat er auf jeden Fall noch. Erst will er die Reformen durchs Parlament bringen. Das dauert. Bis Dezember. Bis zum Februar ist es noch eine Weile hin.

Es ist nun an Berlusconis Koalitionspartnern, allen voran dem Lega-Nord-Chef Umberto Bossi, sicherzustellen, dass der "Cavaliere" tatsächlich abtritt, dass er keine weitere Chance erhält. Und es ist nun an den europäischen "Partnern", allen voran Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, die mittlerweile zu einer Art europäischem Regierungschef Merkozy verschmolzen sind, Berlusconi über ihre Kanäle zu verdeutlichen, dass er nicht mehr erwünscht ist, dass sein überfälliger Rücktritt auch eine Vorbedingung für die bedingungslose Solidarität der Eurozone mit Italien ist. Sicher, formal ist Italien souverän. Aber auch in Griechenland haben die beiden massiv eingegriffen - und auch jetzt ist äußerer Druck gerechtfertigt.

Das ganze Leben ist eine TV-Show

Denn Berlusconis Abgang ist eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung dafür, wieder Vertrauen in die italienische (Spar-)Politik herzustellen, die horrenden Schulden in den Griff zu kriegen - und damit Unheil von der Eurozone abzuwenden. Seit 17 Jahren, seit 1994, ist der Superunternehmer, der Milliardär immer mal wieder Ministerpräsident in Rom, Chef von insgesamt vier Kabinetten. Und nie hat ein demokratisch gewählter Regierungschef es wie Berlusconi geschafft, einen ganzen Staat zum Spielball seiner persönlichen, auch unternehmerischen Interessen zu machen. Er hat seine Macht missbraucht. Er hat die Politik, oft auch die Justiz, zur Farce verkommen lassen, zum Zirkus, in dem stets langbeinige, blutjunge halbnackte Mädchen um den Direktor herum sprangen. Das ganze Leben ist eine TV-Show! Die Geschichten über Berlusconi sind Legion, jede ist unerträglich. Berlusconi hat die italienische Politik im Kern auf Geld und Körper reduziert, auf sein Geld und seinen Körper. "Schaut, wie viele Haare ich noch auf dem Kopf habe. Alles falsch, aber egal. Schaut, wie viele Frauen ich beglücken kann. In meinem Alter! Das ist alles, was man zum Leben braucht. Geld und Potenz. Darauf kommt es an. Wählt mich."

Es hat unfassbar lange gedauert, bis Berlusconi mit dieser Haltung nicht mehr durchgekommen ist, bis der Glauben an diese Scheinwelt zusammengebrochen ist, bis sich die Mehrheit der Gesellschaft, die Kirche, zuletzt sein Freund Bossi, von ihm abgewendet haben, wider besseres Wissen. Es bedurfte des vernichtenden Urteils der Ratingagenturen, des Drucks von Merkel, Sarkozy und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), vor allem aber des Urteils "der Märkte", um zu verdeutlichen, dass Berlusconis treuherzige Sparbekundungen nicht mehr ausreichen, um das tief verschuldete Land auf den rechten wirtschaftspolitischen Kurs zu bringen. Erst jetzt, das Berlusconis Wahn nicht nur Italien, sondern auch Europa in Geiselhaft nimmt, ist Schluss.

Die Parteien sind schwach

Allerdings wäre es ein Irrglauben zu vermeinen, Berlusconis Abgang würde alle Probleme des Landes auch nur ansatzweise lösen. Berlusconi, da gibt es kein Vertun, konnte sich auch so lange an der Macht halten, weil die politische Kultur Italiens genau das zuließ und begünstigte. Und diese Kultur ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es nach wie vor, im Prinzip seit der italienischen Staatsgründung im 19. Jahrhundert, eine tiefe Kluft gibt zwischen Staat und Gesellschaft, ein tiefes Misstrauen. In der italienischen Gesellschaft sind andere Loyalitäten wichtiger als jene Gegenüber dem Staat. Lange Zeit waren das Loyalitäten gegenüber Kirche oder Kommunismus, gegenüber Don Camillo oder Peppone, gegenüber der Mafia, gegenüber dem reichen "Norden". Als die christlichen und sozialistischen Parteien Anfang der 90er zusammenbrachen, wuchs die Verunsicherung noch mehr. Sie dauert bis heute an und prägt das Parteiensystem. Die Parteien sind schwach, Berlusconis "Volk der Freiheit" ein Wahlverein, die oppositionelle Demokratische Partei ein Sammelbecken verschiedenster Interessen und ideologischer Vorstellungen. In diesem Kuddelmuddel hat es, auch das war ein Vorteil Berlusconis, bis heute kein Oppositionspolitiker geschafft, sich als echte, führungsstarke Alternative zu profilieren.

Wie soll's also weitergehen? Ein Fehler wäre sicherlich, Berlusconi bei der Wahl im Februar einfach durch einen seiner Lakaien zu ersetzen, einen "Kronprinz", etwa den Generalsekretär seiner Partei, Angelino Alfano, den er jetzt in Stellung bringt. Eine überparteiliche nationale Einheitsregierung, eine Regierung der "Techniker", wie sie es in den 90ern schon einmal gab, wäre deshalb eigentlich der richtige Weg, um die Sparmaßnahmen durchzuboxen, aber auch, um dringend notwendige Reformen durchzuführen. Verführerisch scheint daher die Idee, den beliebten Ferrari-Chef Luca di Montezemolo an die Regierungsspitze zu hieven. Mit ihm würde Italien zwar ein zweites Mal auf einen charismatischen Firmenchef wetten. Aber einerlei. Das Wichtigste für Italien ist momentan, dass Berlusconi und seine Hintermänner sich nicht an der Macht halten können. In Italien kann dann alles nur besser werden. Dass es gut wird, ist damit noch lange nicht gesagt. Um Vertrauen in die Politik herzustellen, muss in Italien viel mehr geschehen.