Es ist beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar, wie oft die Tage des Silvio Berlusconi schon gezählt waren, und wie häufig der Satz "jetzt aber wirklich" nachgeschoben wurde. Also, auf ein Neues: Es wird eng für den italienischen Ministerpräsidenten, ziemlich eng sogar, so eng wie wohl noch nie. Vollmundig kündigte er vor wenigen Wochen bei einem der zahllosen EU-Gipfel an, dass Italien nun aber richtig sparen werde. Kurz darauf waren seine Worte Makulatur. Nun, zum G20-Gipfel in Cannes, reiste er erneut mit leeren Händen an. Weil die Tatenlosigkeit der römischen Regierung nicht nur Italien sondern den ganzen Euroraum gefährdet, bekommt sie nun hochkarätige Finanzaufpasser vor die Nase gesetzt.
Auf dem Spitzentreffen im Süden Frankreichs soll sich Italien bereit erklärt haben, die Staatsfinanzen auch durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) überwachen zu lassen, wie es in informierten Kreisen heißt. Das Land werde sich einem strikten Monitoring sowohl durch die EU-Kommission als auch durch den IWF unterwerfen, hieß es weiter. Damit steht Berlusconis Wirtschaftspolitik auf dem gleichen Vertrauensniveau wie Griechenland, das bereits 2010 von EU, IWF und EZB unter die Fittiche genommen wurde. Für den angeschlagenen Cavaliere ist das ein weiterer Tiefschlag, aber diese Form seiner Entmachtung gilt als letztes Mittel, die Märkte von der Solidität Italiens zu überzeugen.
Kraftausdrücke und gestreckte Mittelfinger
Berlusconi ist für die Italiener, für Politik und Anleger längst zum Haupthindernis für den Abbau des riesigen Schuldenbergs Italiens geworden. Und wie zum Beweis, dass er nicht in der Lage ist, die Verschuldung von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken, beschloss sein Kabinett nun bei einer Sitzung bis tief in die Nacht vor allem: nichts. Bei der Krisensitzung war eigentlich eine Notverordnung geplant, mit der der Regierungschef einen Teil der beim Brüsseler Gipfel versprochenen Anti-Krisen-Maßnahmen sofort in Kraft setzen wollte. Doch außer einem heftigen Streit, Kraftausdrücke und gestreckte Mittelfinger inklusive, gab es aus der Regierungsrunde nichts zu berichten, noch nicht einmal, woran genau die Beschlüsse gescheitert sind.
Berlusconi rauschte nach der Sitzung mit demonstrativem Schweigen Richtung Cannes ab, als Chef einer Regierung, die de facto handlungsunfähig ist. Und das auch nicht seit gestern. Beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel hatte er sich noch verpflichtet, das Rentensystem zu reformieren, den Arbeitnehmerschutz zu lockern, Märkte zu liberalisieren und Infrastrukturprogramme für mehr Wachstum durchzusetzen. Schnell sollte das geschehen, doch passiert ist nichts. Beziehungsweise, doch: Der Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen ist in den vergangenen Tagen auf Rekordhöhe angestiegen. Und längst ist nicht mehr ausgeschlossen, dass der neue Chef der Europäischen Zentralbank, Berlusconis Landsmann Mario Draghi, damit drohen könnte, die Staatsanleihen nicht länger durch Stützungskäufe zu stabilisieren.
"Der größte Kaspar im politischen Puppentheater"
So gerne die Staats- und Regierungschef der 20 größten Industrienationen dem "größten Kaspar im politischen Puppentheater" (Italiens Parlamentspräsident Fini) endlich zum Rückzug auffordern würden, die diplomatische Etikette verbietet es ihnen. Doch vielleicht entledigen sich die Italiener selbst ihres ungeliebten und verspotteten Ministerpräsidenten. Sogar Präsident Giorgio Napolitano hat sich dem Problemfall Berlusconi angenommen. Zuletzt hieß es aus seinem Haus, er werde in Kürze den "Zustand der politischen Institutionen bewerten." Anders gesagt: Nicht einmal der Staatschef gibt noch einen Pfifferling auf die Regierung. Am Mittwoch hatte Napolitano zudem Vertreter aus allen Parteien zu Gesprächen hinter verschlossenen Türen empfangen. Ziel der Unterredung sei es gewesen, die Bereitschaft für eine neue Übergangsregierung oder gleich für Neuwahlen auszutesten. Sicher ist bislang nur, dass Berlusconis Koalitionspartner Lega Nord lieber wählen lassen will.
Für die meisten Beobachter befindet sich der hartnäckige Premier auf den letzten Metern seiner Amtszeit: Der angesehene Schriftsteller und Journalist Massimo Franco gibt Berlusconi in einem Beitrag für die "Corriere della Sera" noch ein paar Tage, vielleicht einige Wochen als Regierungschef: Nur "der G20-Gipfel und die Angst vor den Finanzmärkten" halte die Koalition noch zusammen, so der Intellektuelle. Auch in seiner ihm lange treu ergebenen Partei PdL formiert sich Widerstand. Sechs Abgeordnete wollen ihre Unterstützung davon abhängig machen, ob Berlusconi bereit ist, die Regierung zu erweitern. Will der Cavaliere politisch weiter existieren, sollte er dem Ansinnen zustimmen. Denn nach dem G20-Gipfel wird über die Reformpläne im Parlament entschieden, und seine Mehrheit ist denkbar knapp. Zudem hat er, wie so oft in den vergangenen Monaten, sie mit der Vertrauensfrage verknüpft. Es ist die 52. Hopp oder Topp-Entscheidung, der sich Berlusconi in seiner Regierungszeit stellt. Es könnte die letzte sein - jetzt aber wirklich.