Die schweren Ausschreitungen am zweiten Tag des G-8-Gipfels in Genua sind nach Einbruch der Dunkelheit am Samstagabend abgeklungen. Viele der angereisten Demonstranten verließen die Hafenstadt. Die Polizei hatte die Stadt wieder unter Kontrolle. 126 Menschen wurden seit Freitag festgenommen. Unter ihnen waren zahlreiche Deutsche. Nach den Angaben gab es mindestens 500 Verletzte, darunter 73 Polizisten und mehrere Journalisten. Am Freitagabend war ein Mann von einem Polizisten erschossen worden. Die Polizei nahm Dutzende Personen fest, denen zum Teil versuchter Mord vorgeworfen wird. Insgesamt wurden seit Freitag 85 Personen festgenommen.
Strassenkampf nach Guerillataktik
Mehrere hundert gewalttätige Demonstranten lösten sich am Samstagnachmittag aus einem Protestzug von geschätzten 100.000 Globalisierungsgegnern und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Sie verwüsteten Geschäfte und steckten Autos in Brand. Die 15.000 Sicherheitskräfte wurden mit Brandsätzen und Steinen angegriffen. Die Ausschreitungen begannen, als der Protestzug die Stelle erreichte, an der am Vortag ein Demonstrant von einem Polizisten erschossen wurde. Viele in der Menge riefen »Mörder, Mörder«. Die Polizei schlug ihrerseits eine harte Gangart an. Sie setze massiv Tränengas und Wasserwerfer ein.
Nächster Gipfel in Bergdorf
Auch angesichts der Krawalle überdenken die G 8 die Form künftiger Treffen. Sie sollen in Zukunft mit weniger Aufwand veranstaltet werden. Diese Pläne Kanadas werden auch von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Kollegen unterstützt. Kanada will den nächsten G-8-Gipfel in einem entlegenen Ort in den Rocky Mountains ausrichten. »Es ist eine zu große Sache geworden, es gerät außer Kontrolle.« Das sagte Kanadas Regierungschef Jean Chretien am Sonntag zum Abschluss des G-8-Gipfels in Genua.
Chretien präsentierte den Ort Kananaskis in der Provinz Albert für den nächsten Gipfel, der vom 26. bis 28. Juni 2002 geplant ist.
Nach dem Abschluss des Gipfels werden US-Präsident George W. Bush und sein russischer Kollege Wladimir Putin zusammenkommen. Sie werden über die umstrittenen Pläne für eine US-Raketenabwehr sprechen. Russland lehnt das Programm kategorisch ab.
Razzia im Koordinationszentrum
Am frühen Sonntagmorgen haben Polizeikräfte das Koordinationszentrum der Globalisierungsgegner durchsucht. Nach Angaben von Journalisten soll es dabei 40 Verletzte gegeben haben. 50 junge Leute wurden festgenommen. Es handelte sich um ein Quartier des »Social Forum Genua«, das die friedlichen Proteste gegen den Gipfel organisiert hatte. Nach Angaben der Behörden wurden Molotowcocktails und Eisenstangen sichergestellt. Allerdings bestritt ein Sprecher, dass es bei der Aktion Verletzte gegeben hat. Die Demonstranten sollen die zumeist leichten Verletzungen bereits bei den Krawallen am Tage davongetragen.
Demonstranten verlassen Genua
Nach den blutigen Krawallen hatte sich die Lage in Genua am späten Samstagabend wieder beruhigt. Viele der angereisten Demonstranten verließen die Hafenstadt. Die Polizei hatte die Stadt wieder unter Kontrolle.
Übersicht der Beschlüsse in Genua
Die G-8-Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem dreitägigen Gipfel in Genua zahlreiche Themen intensiv behandelt beziehungsweise Beschlüsse gefasst, die am Sonntag in einer Abschlusserklärung veröffentlicht wurden. Hier eine Übersicht der wichtigsten Entscheidungen:
Armutsbekämpfung
Die G-8-Staaten sehen in einer starken, dynamischen, offenen und wachsenden Weltwirtschaft die wirksamste Armutsbekämpfungsstrategie. Außerdem soll weiterhin »wirksame Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt werden, um den Entwicklungsländern bei ihren eigenen Anstrengungen zur langfristigen Schaffung von Wohlstand zu helfen«. Voraussetzung sind »offene, demokratische und rechenschaftspflichtige Regierungssysteme, welche sich auf die Achtung der Menschenrechte und den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit stützen«.
Schuldenerleichterung
Die G-8-Staaten zeigten sich »hoch erfreut«, dass mittlerweile 23 Länder die Kriterien für den Schuldenerlass im Gesamtumfang von mehr 53 Milliarden Dollar erfüllten. Offener Handel und Investitionen sind der Motor des globalen Wirtschaftswachstums und der Armutsbekämpfung. »Deshalb haben wir heute vereinbart, die Einleitung einer ehrgeizigen neuen Runde globaler Handelsverhandlungen« zu unterstützen.
Öffnung der Märkte
Die G-8-Staaten bekräftigten ihre schon früher eingegangene Verpflichtung, »auf den zoll- und quotenfreien Zugang aller Produkte hinzuwirken, die in den am wenigsten entwickelten Ländern hergestellt werden«.
Aids-Fonds
Gemeinsam mit UN-Generalsekretär Kofi Annan wurde ein globaler Fonds zur Bekämpfung der Infektionskrankheiten Aids, Tuberkulose und Malaria beschlossen. »Wir haben 1,3 Milliarden Dollar zugesagt.« Der Fonds soll als Partnerschaft zwischen öffentlichem und privatem Sektor gestaltet werden.
Genua-Aktionsplan zur Überbrückung der digitalen Kluft
Die G-8-Staaten unterstützen den Bericht der Arbeitsgruppe »Digitale Möglichkeiten« (Dot.Force) und deren Genua-Aktionsplan.
Umwelt
Die G-8-Staaten, die keine Einigung über das Kyoto-Abkommen zur Reduzierung von Treibhausgasen erzielen konnten, bekräftigten dennoch ihre »Entschlossenheit, globale Lösungen für die unseren Planeten bedrohenden Gefahren« zu finden. Entschieden einig sind sich die G-8-Staaten, »dass die Verringerung der Treibhausgasemission« erforderlich ist. »Zwar herrscht Uneinigkeit über das Kyoto-Protokoll und seine Ratifikation, doch bekennen wir uns dazu, gemeinsam intensiv auf die Verwirklichung unseres gemeinsamen Ziels hin zu arbeiten.« Zugleich wurde der russische Vorschlag begrüßt, 2003 eine globale Konferenz zum Klimawandel einzuberufen.
Außerdem äußerten sich die G-8-Staats- und Regierungschefs zur Lage im Nahen Osten, Afrika und in Mazedonien.
Nahost
Die G-8-Staats- und Regierungschefs zeigten sich besorgt über die Situation im Nahen Osten. Die Lage wird als sehr gefährlich eingeschätzt und bedarf des sofortigen Handelns. Einziger Weg nach vorne ist die dringende Umsetzung des Mitchell-Berichts und der baldige Beginn der Abkühlungsphase. Eine Beobachtermission wäre bei der Umsetzung der Mitchell-Empfehlungen hilfreich, allerdings nur, wenn beide Seiten zustimmen.
Mazedonien
Die G-8-Staaten forderten die mazedonischen Konfliktparteien zur Fortsetzung des politischen Dialogs auf. »Wir unterstützen die mazedonische Regierung und ihre Verpflichtung, die Souveränität, territoriale Integrität und Einheit des Landes zu bewahren.« Gleichzeitig müssen Verfassungs- und Gesetzesgrundlagen geschaffen werden, um die Identität und Rechte aller Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten.
Genua-Plan für Afrika
Die Bemühungen der Afrikaner, afrikanische Probleme selbst zu lösen, wollen die G-8-Staaten unterstützen. Auf dem Gipfel wurde beschlossen, eine neue Partnerschaft zu gründen, »um auf die Themen einzugehen, die für die Entwicklung Afrikas von entscheidender Bedeutung sind«.