Vor nicht einmal einem Jahr wurde Theresa May zur Premierministerin gewählt, wenngleich deutlich knapper als die Meinungsumfragen ihr prognostiziert hatten. Ein halbes Jahr lang konnte sie halbwegs in Ruhe regieren und den Brexit vorbereiten, doch dann erschütterte ein Rücktritt nach dem anderen ihr Kabinett. Jetzt, im zehnten Monat ihrer Regentschaft verlässt mit Amber Rudd die Nummer fünf ihren Regierungsposten und könnte May in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
Streit um bizarre Regelung war der Grund
Unter lauter Hardlinern war Innenministerin Rudd eine der wenigen EU-freundlichen Politikerinnen in London und damit ein Gegengewicht zu den glühenden Brexit-Fans. Doch ein Streit über die so genannten Windrush-Immigranten hat sie das Amt gekostet. Bei dieser bizarren Diskussion geht es darum, ob Einwanderer, die zwischen 1948 und 1971 nach Großbritannien gekommen waren, (vor allem aus der Karibik) illegal im Königreich leben und möglichweise abgeschoben werden müssen. Im Zuge der Debatte hatte sich Amber Rudd für das Vorgehen ihres Ministeriums entschuldigt.
Doch die Innenministerin hatte sich etwas vergaloppiert. Die Opposition warf ihr Ahnungslosigkeit vor. Zum Verhängnis wurde Rudd, dass sie zunächst abgestritten hatte, von Abschiebequoten gewusst zu haben. Kritikern zufolge führte diese Arbeitsweise dazu, dass neben illegalen Einwanderern auch die Mitglieder der Windrush-Generation ins Visier der Behörden gerieten, von denen damals nicht alle Papiere bekommen hatten. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass der neue Innenminister Sajid Javid das Kind einer in den 1960er Jahren nach Großbritannien eingewanderten Familie aus Pakistan ist.
Theresa May - die "Architektin der Krise"?
Damit ist der Windrush-Skandal für Premierministerin May aber immer noch nicht beendet. Die oppositionelle Labour-Partei hält ihr vor, sie selbst habe in ihrer Zeit als Innenministerin ein feindliches Klima für illegale Einwanderer geschaffen - und damit auch den Boden für den Windrush-Skandal bereitet. Rudd müsse nun das ausbaden, was May eingebrockt habe. Labour-Politikerin Diane Abbott bezeichnete May als "Architektin der Krise". Viele sehen Rudd als Bauernopfer.
Der neueste Abgang in der britischen Regierung kommt für May erneut unpassend. Denn der Druck der "Brexit-light"-Anhänger wächst. Zuletzt hatten Rudd und May noch einmal deutlich gemacht, dass Großbritannien "selbstverständlich auch die Zollunion verlässt", wenn das Vereinigte Königreich im März nächsten Jahres aus der EU austreten wird. Gegen dieses Vorhaben aber formiert sich im Parlament nämlich immer mehr Widerstand. Viele Politiker - auch in den Reihen der Konservativen - möchten die Zollunion beibehalten. Auf diese Weise wollen sie auch eine feste Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland verhindern. Die ehemalige Bürgerkriegsregion gilt als sehr fragil.
Fünfter Minister-Rücktritt seit Juni 2017
Der Rücktritt von Innenministerin Amber Rudd ist der fünfte seit der Neuwahl im vergangenen Juni. Zuvor hatten schon Verteidigungsminister Michael Fallon und Vize-Regierungschef Damian Green hatten nach Belästigungsvorwürfen ihre Posten aufgegeben. Beide waren ebenfalls Vertraute von May. Entwicklungshilfeministerin Priti Patel trat zurück, weil sie sich ohne Absprache im Israel-Urlaub mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu getroffen hatte. Wegen Krankheit trat Anfang Januar Nordirland-Minister James Brokenshire zurück.
In diesen Tagen stehen gleich zwei Stimmungstests an, die den Kurs von Theresa May stützen werden oder eben auch nicht. Am Donnerstag sind Kommunalwahlen angesetzt und dann wird im Unterhaus, wo May nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, über das EU-Austrittsgesetz abgestimmt. Die Lords im Oberhaus haben dem Gesetzentwurf bereits ein Bekenntnis zur Zollunion angefügt. Britische Medien sagen der angeschlagenen Premierministerin eine "desaströse Woche" voraus.