Das geistliche Oberhaupt der Tibeter hat seine Landsleute zu Zurückhaltung aufgerufen. Für den Fall exzessiver Gewalt in Tibet hat der Dalai Lama seinen Rücktritt von der weltlichen tibetischen Führung angedroht. Er habe keine andere Option, wenn die gewaltsamen Proteste außer Kontrolle geraten sollten, sagte das geistliche Oberhaupt der Tibeter am Dienstag im indischen Exil in Dharmsala. Sein ranghoher Berater Tenzin Takhla begründet dies damit, dass der Dalai Lama völlig dem Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet sei. Er würde aber immer der Dalai Lama bleiben.
Der angedrohte Rücktritt ist nicht mit der Demission eines Politikers zu vergleichen, wie Andreas Hillmer, politischer Referent am Tibet-Zentrum in Hamburg, betont. Schließlich sei der Dalai Lama nicht einmal Chef der tibetischen Exilregierung. Es gehe ihm mit seiner Drohung vor allem um die Verteidigung der moralischen Instanz seines Amtes. "Wenn man den Dalai Lama der Kriegsführung bezichtigt, dann wird er alles tun, um seine Friedfertigkeit unter Beweis zu stellen", sagte Hillmer.
Exil-Tibeter befürchten Militäroffensive
Die Exil-Tibeter befürchten, dass es nach dem Ablauf eines Ultimatums an die Demonstranten in Tibet zu einer Militäroffensive kommt. Das Ultimatum lief am Montag um Mitternacht ab. Die Proteste in der tibetischen Hauptstadt Lhasa begannen friedlich am 10. März, dem Jahrestag der Niederschlagung des Aufstandes der tibetischen Bevölkerung gegen die chinesische Herrschaft 1959.
Die Unruhen hätten schwere Verluste an Menschenleben und Eigentum verursacht, sagte Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao. Nach offiziellen Angaben aus Peking wurden bei dem antichinesischen Aufstand seit Freitag 16 Menschen getötet. Nach Angaben der Exil-Regierung wurden am Dienstag 19 Menschen getötet. Damit sei die Zahl der Toten der Unruhen auf 99 gestiegen, sagte ein Sprecher der exilierten Tibeter im nordindischen Dharamsala. Die Zahl sei durch mehrfache Überprüfung bestätigt worden.
Wen hatte zuvor Vorwürfe des Dalai Lamas von einem "kulturellen Völkermord" in Tibet als "Lügen" zurückgewiesen. Er machte das religiöse Oberhaupt der Tibeter außerdem für die blutigen Unruhen verantwortlich. China lägen "hinreichende Fakten und reichlich Beweise" vor, wonach die "Dalai-Lama-Clique" die Zwischenfälle in Lhasa "vorsätzlich geplant und organisiert" habe.
China verdächtigt Dalai Lama als Strippenzieher
Wen Jiabao verurteilte "den Aufruhr, die Prügeleien, Zerstörungen, Brandstiftungen und Plünderungen" und die "äußerst brutalen Methoden" der Demonstranten in Lhasa. Der Regierungschef verteidigte das mit Sicherheitsbedenken begründete Verbot für ausländische Journalisten zur Berichterstattung nach Tibet zu reisen, sprach aber von Überlegungen, eine Reise für ausländische Medienvertreter zu organisieren.
China halte unverändert die Tür zu einem Dialog mit dem Dalai Lama offen, knüpfe daran aber die Bedingungen, dass dieser nicht mehr die Unabhängigkeit Tibets propagiere und dass er erkläre, dass Tibet wie Taiwan "unveräußerliche Teile" Chinas seien. Allerdings müsse nicht nur betrachtet werden, was der Dalai Lama sage, sondern auch, was er tue, sagte Wen Jiabao und unterstellte dem geistigen Oberhaupt der Tibeter, auch hinter den Protesten vor Chinas diplomatischen Vertretungen in aller Welt zu stehen.
Exil-Tibeter im Hungerstreik
Indes sind elf Exil-Tibeter in Nepal sind aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen chinesischer Sicherheitskräfte in ihrer Heimat in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Die Vereinten Nationen müssten der Notlage des tibetischen Volkes mehr Aufmerksamkeit schenken, forderte eine Sprecherin der Hungerstreikenden in der Hauptstadt Kathmandu. Die internationale Gemeinschaft müsse zudem die Olympischen Spiele boykottieren, um Regierung in Peking zur Einhaltung der Menschenrechte in Tibet zu zwingen. "Wir werden den Hungerstreik erst beenden, wenn unsere Forderungen erfüllt sind", sagte die Sprecherin.
Zuvor waren bei Protesten von Exil-Tibetern vor UN-Einrichtungen in Kathmandu rund 50 Menschen festgenommen worden. Nepals Regierung unterstützt die umstrittene Tibet-Politik Chinas. Sie hat angekündigt, anti-chinesische Proteste von Exil-Tibetern nicht zu tolerieren. In Nepal sowie den Nachbarländern Indien und Bhutan leben etwa 130.000 Tibeter im Exil. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen riskieren jährlich rund 3000 Tibeter ihr Leben, um über das Himalaya-Gebirge nach Nepal zu fliehen.