Deutsche Tornado-Jets sind als Aufklärer in Afghanistan im Einsatz, unterstützen die Nato-Truppen im Rahmen des Isaf-Mandats, aber dürfen den Amerikanern zumindest bei ihrem privaten Afghanistan-Feldzug keine Bilder liefern. Soweit grob umrissen der Einsatz. Aber worum geht es genau? Diese Frage hat vor Wochen den Grünen-Parteitag dazu gebracht, mehrheitlich das gesamte deutsche Militärengagement in Afghanistan zur Ablehnung zu empfehlen. Was tun diese sechs Flugzeuge, fotografieren sie nur oder bombardieren sie auch, wer hat Zugriff auf ihre Bilddaten? Wenig ist bekannt über die umstrittenste Mission der Bundeswehr in Afghanistan (wobei der Einsatz der KSK-Elitekämpfer für die US-Mission "Enduring Freedom" im Zweifelsfall noch umstrittener wäre, aber die sind seit drei Jahren dafür gar nicht mehr eingesetzt worden).
Was genau machen die Tornados da?
Was genau also tun die Tornados, die in "Camp Marmal", dem Isaf-Camp am Flughafen der nordafghanischen Stadt Mazar i Sharif, stationiert sind? Schießen jedenfalls nicht, sagt ihr Einsatzbefehlshaber Oberst Christoph Pliet, der am 20. September das Kommando übernommen hat. Die sechs Maschinen des in Norddeutschland stationierten "Aufklärungsgeschwader Immelmann" flögen nur mit halbierter Munitionsladung für ihre Bordkanonen, um mehr Sprit laden zu können und haben, so Pliet, von den Waffen bislang noch nie Gebrauch gemacht. Nur von den "Täuschkörpern", die automatisch bei der geringsten Bodenreflektion ausgelöst werden, um wärmegeleitete Raketen vom Hitzestrahl der Triebwerke abzulenken.
Im Schnitt zwei Flüge mit je zwei Tornados werden pro Tag geflogen, bislang 500 Einsätze, wobei Pliet am liebsten erstmal von der Katastrophenaufklärung erzählt: Um das genaue Ausmaß von Erdrütschen oder Überschwemmungen zu ermitteln, seien die Maschinen bereits mehrfach eingesetzt werden. Mit ihren drei Kamerasystemen könne der Tornados genauere und vielschichtigere Aufnahmen liefern als jedes andere Aufklärungssystem: Eine Kamera mit 610 Millimeter-Objektiv, eine mit drei 80 Millimeter-Objektiven sowie eine Infrarotkamera belichten das Bodenprofil aus verschiedenen Perspektiven. Die Infrarotkamera ortet Wärmequellen - worunter auch der Temperaturunterschied von Reifenspuren oder des Bodens fallen können, auf dem bis vor einer Dreiviertelstunde noch ein Auto stand: der "Thermische Schatten", der selbst das zeigt, was nicht (mehr) da ist.
Die normalen Kameras arbeiten dagegen mit klassischer Technik: Schwarz/Weiß-Negativen, aufgenommen in einer rund 50 Meter langen Filmrolle im Format von 210 mal 80 Millimeter-Negativen mit einer enormen Auflösungsrate. Binnen einer halben Stunde - im schnellsten Fall - werden die Film entwickelt, vergrößert und im Auswertungszelt neben der Landebebahn von Spezialisten angeschaut, die noch in grauen Krümeln eine Auffälligkeit finden können. Die Entwicklungsmaschine mit dem Holzfurnier sieht nicht nur so aus, als stamme sie aus den siebziger Jahren. Sie ist tatsächlich so alt, eine Kodak Versamat.
Nur handverlesene Beispiele kommen ins Isaf-Hauptquartier
Nur Details werden vergrößert, digitalisiert und ans Isaf-Hauptquartier nach Kabul geschickt. Was genau wo bislang aufgenommen wurde, bleibt geheim, nur ein paar handverlesene Beispiele führt das Auswertungsteam vor: ein Auto am Straßenrand mit geöffnetem Kofferraum, drei Männer drumherum. Bei denen man sich, so Pliet, schon frage, was die da tun. Eine Sprengladung vergraben, ergab die anschließende Untersuchung der Stelle. Zwei andere Bilder von denselben zwei Zelten mitten in den Bergen, aufgenommen im Abstand mehrerer Tage, zeigen eine markante Veränderung: Auf dem zweiten Bild stehen plötzlich mannshohe Büsche zwischen den Zelten, "aber so schnell wachsen die nicht mal in Afghanistan".
Was da versteckt wurde, wissen die Aufklärer nicht. Das sei nicht ihr Job, "das machen andere. Ich persönlich bin nicht derjenige, der ein Interesse formuliert", presst es Pliet in bürokratisches Deutsch: "Das kommt aus Kabul, vom Isaf-Hauptquartier. Dort werden die Anfragen der einzelnen Standorte und Einheiten gebündelt und weitergegeben. Besonders, wenn es gilt, Routen von Isaf-Konvois vorab zu klären, Gräben für mögliche Hinterhalte oder bereits gelegte Hinterhalte zu finden, habe der Tornado sich als höchst nützlich erwiesen: "Wir sind gut fürs Detail, nicht für das, was in der nächsten Stunde wichtig ist, sondern am nächsten Tag, in der nächsten Woche", so Pliet. Ein Satellit decke größere Bereiche ab, eine Drohne könne unmittelbar ihre Bilder an den Gefechtsstand senden, "aber die muss erstmal hinkommen".
Bilder sind nur für Isaf-Einsätze gedacht
Die deutschen Aufklärer sind beliebt bei den anderen Isaf-Nationen, deren eigene Flugzeuge zum einen nicht so detailliertes Bildmaterial liefern, zum anderen oft nicht verfügbar sind. Die Bilder allerdings unterliegen, so das Bundestagsmandat, einer "restriktiven Weitergabe" und dürfen nur für Isaf-Einsätze, nicht für Operationen der ohne UN-Mandat agierenden amerikanischen "Operation Enduring Freedom", OEF, genutzt werden. Über die Einhaltung wacht eigens ein dafür abgestellter deutscher Offizier im Isaf-Hauptquartier in Kabul: "Zu den Bildern hat überhaupt nur ein kleiner Kreis von Leuten mit Passwort Zugang. Die Bilder lassen sich nur herunterladen auf Memory Sticks der berechtigten Benutzer, gesichert ebenfalls mit Passwort - und von dort nur auf Computer der berechtigten Benutzer."
Offiziere der OEF hätten kein Recht, Bilder anzufordern - bis auf die Ausnahme, wenn es um Unterstützungsoperationen für Isaf gehe. "Aber selbst davon haben die noch kein einziges Mal Gebrauch gemacht." Der einzig mögliche Weg der unbefugten Weitergabe seo, so der deutsche Offizier, die Bildausschnitte schlicht auszudrucken.
Was die Amerikaner mit den Bildern machen, ist unklar
Doch wie abgeschottet die Bildinformationen der Tornado-Aufklärung für die US-Streitkräfte jenseits von Isaf bleiben, ist selbst innerhalb des deutschen Offizierskorps umstritten: "Was die Amerikaner letztlich damit machen, entzieht sich unserer Kenntnis und Kontrolle", so ein deutscher General im Hintergrundgespräch. Zumal es nicht nur oft dieselben US-Einheiten sind, die im Laufe der Zeit mal im Rahmen von Isaf, mal im Rahmen von OEF eingesetzt werden, sondern es sogar Offiziere gibt, die in Personalunion an höchster Stelle für beide Einsätze verantwortlich sind: OEF-Kommandeur General David Rodriguez ist zugleich Isaf-Befehlshaber für "Regional Command East", Ost-Afghanistan.
Wenn Rodriguez als Isaf-Kommandeur etwas Interessantes sieht, kann er als OEF-Kommandeur seine eigenen Aufklärungsflugzeuge oder -drohnen losschicken. Zumal beide Einsätze längst enger verzahnt sind, als es den Anschein hat: Viele Isaf-Operationen sind Kampfeinsätze, und viele OEF-Operationen finden längst gemeinsam mit der Isaf statt.