Die "Abdülhamid Han" ist ein Symbol türkischer Größe und Machtambitionen: großer, roter Schiffsrumpf mit türkischem Halbmond. Die Türkei schickt mit der "Abdülhamid Han" erneut ein Gas-Bohrschiff in das östliche Mittelmeer. Das Schiff werde so lange "weitersuchen, bis es etwas findet", sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag im südtürkischen Mersin. Man werde sich holen, "was uns gehört", sagte Erdogan. Die Mission soll laut Navigationssicherheitswarnung (Navtex) bis zum 7. Oktober dauern.
Die "Abdülhamid Han" – benannt nach einem osmanischen Sultan – werde zuerst in die Region Iskenderun aufbrechen, sagte der Präsident. Die liegt zunächst nicht in umstrittenen Gewässern. Erdogan fügte aber hinzu: "Wenn unser Schiff mit seinen Bohrarbeiten dort fertig ist, wird es nicht aufhören. Es wird zu anderen Bohrlöchern übergehen." Die "Forschungs- und Bohrarbeiten" fielen in den "eigenen Machtbereich". "Dafür müssen wir von niemandem eine Erlaubnis oder Genehmigung einholen." Beobachter:innen schätzen aber, dass der Einsatzbereich des Schiffes im Gebiet zwischen der Türkei, Kreta und Zypern liegt.
Angesichts der Tatsache, dass die Beziehungen zu Athen auf einem Tiefpunkt sind, erscheint die Mission heikel.
Streit um türkisches Schiff drohte zu Krieg zu werden
2020 gerieten die beiden Länder an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung, als das türkische Bohrschiff "Oruc Reis" südlich der Insel Rhodos Erdgaserkundungsfahrten unternahm, teilweise von Kriegsschiffen eskortiert. Die griechische Marine wurde mobilisiert. Erst mit der Abfahrt der "Oruc Reis" aus den umstrittenen Gebieten beruhigte sich die Lage. Es waren die größten Spannungen zwischen den beiden Ländern der letzten 25 Jahre.
Hinter dem Konflikt stehen territoriale Uneinigkeiten: Griechenland bezichtigte die Türkei damals, die Vorkommen illegal zu erkunden. Die Regierung in Ankara vertrat den Standpunkt, dass die Gewässer zum türkischen Festlandsockel gehörten. Beide Länder starteten im Januar letzten Jahres Sondierungsgespräche über die maritimen Grenzen. Doch im Mai dieses Jahres wütete Erdogan schon gegen den griechischen Ministerpräsidenten: "Mitsotakis existiert für mich nicht mehr!"
Der Streit zwischen den beiden Nato-Staaten ist komplex. Es geht um Seerecht, "Ausschließliche Wirtschaftszonen" und Hoheitsgebiete. Das Seerecht der Vereinten Nationen (UN) legt für Küstenländer eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) fest. In dieser 200-Meilen-Zone hat ein Staat das alleinige Recht zur Ausbeutung von Bodenschätzen. Liegt die Küste eines anderen Landes näher, gilt die Mittellinie. Griechische Inseln, die nahe an der türkischen Küste liegen, verringern also die türkische AWZ enorm. Die Türkei argumentiert – teilweise gestützt auf Lesarten internationalen Rechts – dass Inseln keine AWZ haben. Ankara verteidigt die Erkundungen daher als legitim.
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Mittelmeer als Gasfördergebiet von Interesse
Die griechische Regierung hält sich bisher bedeckt. Aus Regierungskreisen wurde jedoch berichtet, dass Regierung und Militär längst alle möglichen Szenarien der Route der "Abdülhamid Han" analysiert und durchgespielt hätten. Verletze das Schiff die ausschließliche Wirtschaftszone Griechenlands, werde Athen so reagieren wie im Sommer 2020, hieß es. Gleichzeitig betonte Premier Kyriakos Mitsotakis zuletzt immer wieder seine Gesprächsbereitschaft. Könne man den Konflikt jedoch nicht bilateral regeln, müsse das Thema vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geklärt werden.
Die Türkei, die auf Gasimporte angewiesen ist, sieht sich seit langem von der geplanten Ausbeutung von Rohstoffen in der Region ausgeschlossen. Im östlichen Mittelmeer wurden bereits große Gasvorkommen entdeckt. Experten erwarten weitere Funde. Ob die Ausbeutung überhaupt wirtschaftlich und mit klimapolitischen Zielen vereinbar ist, ist stark umstritten. Vor dem Hintergrund des Ringens westlicher Staaten um Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen gewinnt jedoch auch das Mittelmeer wieder an Interesse, auch als Transitraum.

Streit zwischen Türkei und Griechenland belastet auch EU-Beziehungen
Der Konflikt belastet – neben einigen weiteren – die Beziehungen zwischen den beiden Staaten seit Jahrzehnten. Vordergründig gehe es der Türkei um die Erkundung und Ausbeutung von Erdgasvorkommen, schrieb Christian Schaller, Forscher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in einem Beitrag. "Vor allem aber strebt die Türkei nach maritimer Vorherrschaft in der Region." Dabei geht es auch um die Souveränität vieler griechischer Ägäis-Inseln und den Konflikt um die geteilte Insel Zypern, wo die Türkei 1974 den Norden besetzte. Der Süden, die Republik Zypern, ist heute EU-Land.
Doch es geht der Türkei auch um Einfluss in anderen Gebieten, wie es in einem Artikel des Fachmagazins "Foreign Policy" heißt. Die Türkei betrachte das Mittelmeer auch als Sprungbrett, um mehr Einfluss im Maghreb, in der Sahelzone und in Westafrika zu erlangen.
Die Politologin Professor Filiz Katman von der Istanbuler Aydin Universität ist der Meinung, dass der Gas-Konflikt eng mit dem um Zypern verbunden ist, wie sie dem ZDF sagte: "Ohne eine Lösung im Zypernkonflikt ist auch keine Annäherung in den anderen strittigen griechisch-türkischen Fragen in Sicht. Beide Seiten müssten sich erst einmal auf eine gemeinsame Diskussionsgrundlage einigen."
Die Streitigkeiten zwischen der Türkei und dem EU-Land Griechenland belasteten auch die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Um möglichen Sanktionen zu entgehen, schlug die Türkei nach dem zugespitzten Konflikt im Jahr 2020 freundliche Töne gegenüber der EU an. Im November 2020 sprach Erdogan etwa auf einem AKP-Parteitag davon, dass die Zukunft der Türkei in Europa liege.
Quellen: Nachrichtenagentur DPA, ZDF, "Foreign Policy", "Der neue Kosmos Weltalmanach & Atlas 2022"