Überfall unter falschen Vorzeichen Blairs Kampf um Verständnis für das Debakel

Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair musste sich am gestrigen Freitag vor dem Untersuchungsauschuss in London wegen des umstrittenen Angriffs auf den Irak 2003 rechtfertigen.

Es war der Auftritt, auf den die ganze Nation gewartet hatte: Tony Blair im Zeugenstand. Nicht vor Gericht, aber vor einem Untersuchungsausschuss. Sechs Stunden mit Fragen bombardiert. Zum Einmarsch der Briten im Irak, zur Waffenbruderschaft mit dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und zum Märchen von Massenvernichtungswaffen, mit denen Diktator Saddam Hussein ein Inferno anrichten könne. Selten wurde ein früher Regierungschef so lange auf diese Weise in die Zange genommen. Der geübte Redner kämpfte um seinen Ruf - und um seine Rolle in der Geschichte.

Blair ließ keinen Zweifel: Er war als Premierminister für die Sicherheit des Landes verantwortlich. Und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 war nichts mehr wie zuvor. Die Welt war Zeuge eines Massenmordes in New York geworden, plötzlich waren Bedrohungen denkbar, die zuvor in den schlimmsten Alpträumen nicht vorkamen.

Und weil Saddam schon früher Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk eingesetzt hatte, schien das Risiko, das von seinem Regime ausging, nun nicht mehr kontrollierbar. Da entschied sich Blair für eine harte Linie gegen den Diktator. Er hatte keinen Zweifel, dass das "Monster" Saddam Massenvernichtungswaffen besaß. "Es war eine Entscheidung, die ich wieder treffen würde."

Das sahen die Anti-Blair-Demonstranten, deren Rufe bis in das Ausschuss-Gebäude drangen, ganz anders: Für sie gehört Blair vor ein Kriegsverbrechertribunal. Der einstige Strahlemann wurde für sie zum Buhmann, weil er 2003 ohne UN-Mandat den Befehl für die Invasion des Irak gab. Einige Demonstranten erschienen mit Blair-Masken und Handschellen und trugen einen symbolischen Sarg, um ihre Botschaft auch für die Kameras zu vermitteln. Um diesen Demonstranten und Kameras zu entgehen, war Blair noch in der Morgendämmerung durch einen Seiteneingang ins Gebäude geschlüpft.

Doch während seiner Befragung entkam Blair den Kameras nicht. Jede Minute der Aussage, jede Geste, jede Regung wurde festgehalten. Und Blair, der seit seinem Auszug aus Downing Street Nummer Millionen mit Vorträgen verdiente, war perfekt vorbereitet. Er erklärte, dozierte, unterbrach die Ausschussmitglieder, stellte Behauptungen "richtig". Und alles trug er in einem dunkelblauen Anzug, dunkelroter Krawatte und mit einem Repertoire von Gesten vor, die so gut einstudiert waren, dass sie natürlich wirkten.

Selbstbewusst ließ er keinen Zweifel daran, dass seine umstrittene Entscheidungen zur Irak-Invasion an der Seite der USA richtig waren. "Manchmal ist es wichtig, die Fragen nicht aus der Perspektive des Jahres 2003 sondern des Jahres 2010 zu stellen", sagte Blair. "Hätten wir Saddam in Amt gelassen, hätten wir heute zweifellos eine Situation, in der sich der Irak mit dem Iran einen Wettstreit um Atomwaffen liefern würde."

Für manche Eltern von Soldaten, die im Irak gefallen waren, war der unbeirrte Auftritt Blairs zu viel. Eine von ihnen war Rose Gentle, deren 19-Jähriger Sohn Gordon im Jahr 2004 im Irak getötet wurde. Am Freitag hörte sie im Zuschauerraum des Irak-Ausschusses Blair zu: "Er hatte ein Grinsen im Gesicht, was viele Familien verärgerte." Während des sechsjährigen Einsatzes waren insgesamt 179 Soldaten aus dem Königreich gestorben.

Vehement wehrte sich Blair gegen das Image von "Bushs Pudel", der seinem Herrchen überall hinfolgt - und sei es in einen Krieg. Blair bestritt, dass er sich mit dem US-Präsidenten schon elf Monate vor der Invasion heimlich auf einen Militärschlag geeinigt habe. Es sei zwar immer klar gewesen, dass sich Großbritannien gemeinsam mit den USA der Gefahr stellen wollte. "Aber wie wir vorgehen, das war offen."

Nur einmal ließ Blair etwas von Reue erkennen - als es um einen Fehler in einem Regierungsbericht von 2002 ging, wonach der Irak innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen abfeuern könne. Briten und Amerikaner hatten den Einmarsch in den Irak auch auf diese falsche Aussage gestützt. "Es wäre besser gewesen, das richtig zu stellen, wenn man bedenkt, wie wichtig das später wurde", meinte Blair nun.

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Thomas Pfaffe, DPA