Aussage zum Irak-Krieg Blair trotzt den Spießruten

Hat er bewusst gelogen, getäuscht und getrickst? Weshalb führte Tony Blair die Briten in den Krieg gegen Saddam Hussein? Der umstrittene Ex-Premier hat nun vor einer Kommission ausgesagt - und seine Entscheidungen verteidigt.

Er soll angegriffen ausgesehen haben in den ersten Minuten, als er sich mit gesenktem Kopf an den schmucklosen Tisch in dem kleinen Konferenzzimmer begab und den Aktenordner vor sich aufschlug. Reporter wollen gesehen haben, dass Tony Blairs Hände zitterten, als er sich aus einer Wasserflasche einschenkte. BBC-Mann Nick Robertson verkündete in der mittäglichen Nachrichtensendung, dass er Blair nicht mehr so nervös gesehen habe seit seinem ersten großen Fernsehinterview vor mehr als 16 Jahren, als Blair sich um das Amt des Labour-Parteiführers bewarb.

Es ist schwierig zu sagen, was an diesen Beobachtungen schon Legendenbildung ist für diesen Tag, der seit Monaten in Großbritannien erwartet wird wie ansonsten nur Fußball-Länderspiele. Die großen Nachrichtensender haben über sechs Stunden Sendezeit frei geräumt für die sterilen Aufnahmen aus dem Kommissions-Zimmer im betongrauen Konferenz-Zentrum Queen Elizabeth II. Seit Tagen analysieren die Zeitungen, was Tony Blair zu welchen Fragen sagen könnte und mit welchen Aussagen ihn andere Zeugen bereits in Bedrängnis gebracht haben.

"Sein Ruf steht auf dem Spiel"

"Irak ist unser Watergate", schreibt etwa der Blair-Biograph Anthony Seldon und beschwört den Ex-Premier anschließend, endlich die Wahrheit zu sagen über das, was wirklich passiert sei in der Zeit zwischen dem 11. September 2001 und dem Beginn des Bombardements Bagdads im März 2003: "Sein Ruf steht auf dem Spiel."

Seldon führt weiter aus, dass es so etwas noch nie gegeben habe, solch ein öffentliches Auseinander-Nehmen eines ehemaligen Premiers. Die Regierung Neville Chamberlains musste sich nicht verantworten für ihre Appeasement-Politik in München. Anthony Eden wurde nie ins Verhör genommen über seine Rolle in der Suez-Krise. Doch Blair stand heute sechs Stunden lang fünf Historikern, ehemaligen Botschaftern, Beamten und einer Baroness Rede und Antwort, während vor dem Konferenz-Zentrum ein kleines Grüppchen von Friedens-Demonstranten brüllte: "Blair lied, thousands died (Blair hat gelogen, tausende starben)."

Es gab schon vor Blairs Aussage Warnungen, dass die Erwartungen an diesen Tag zu hochgeschraubt seien. Die Irak-Kommission ist kein Gerichtsprozess, sie wird kein Urteil fällen, sondern allenfalls Empfehlungen geben. Empfehlungen für folgende Premierminister, die sich in Zukunft der gleichen Frage stellen müssen wie Blair: Ziehe ich in den Krieg oder nicht?

Und es ist diese Frage, die Blair beantworten will. So nervös er auch gewesen sein mag am Anfang - die Angespanntheit haben wohl nur die etwa 60 Zuschauer in dem kleinen Konferenzraum gesehen. Der überwiegende Rest der 1400 Besucher mit Zutrittserlaubnis zum Konferenzgebäude verfolgte Blairs Aussagen über Monitore in einem Auditorium in einem ganz anderen Stockwerk.

Nach wenigen Minuten souverän

Und auf dem Bildschirm wirkte Blair nach wenigen Minuten schon bei seiner ersten Aussage gewohnt souverän. Der Mann, ausgestattet mit einem inzwischen berüchtigten Charisma, weiß, wie er seine Argumente anbringen kann. Blair spricht mit der Verve eines Überzeugten. Was immer übrig bleiben wird von seinen Aussagen nach diesem Tag - und ohne Frage werden die Abschriften seiner Antworten in den nächsten Wochen Wort für Wort auseinander genommen werden - ein Vorwurf wird danach schwerlich aufrechtzuerhalten sein: dass Blair lügt.

Blair war nicht einfach der Pudel George W. Bushs, und er war kein unbedarfter Premier, der sich unerwartet auf der großen politischen Weltbühne fand. Blair glaubt mit aller Macht an das, was er getan hat nach dem 11. September 2001. An diesem Tag änderte sich alles für ihn, vor allem auch die Sicherheitslage seines eigenen Landes. Für ihn änderten sich auch die Vorzeichen dafür, wie mit einem unberechenbaren Tyrannen umgegangen werden soll - wie es Saddam Hussein unzweifelhaft war.

Blair sagte, vor dem 11. September habe man gegen Saddams Aggression mit Sanktionen und Drohungen stets das Beste getan und auf das Beste gehofft. Nach den Anschlägen auf das World Trade Centre war für Blair das reine Hoffen nicht mehr genug. Er war sich damals sicher, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besaß - trotz mehrfacher Aufforderung der UN hatte Saddam Hussein keinen Beweis für die Vernichtung großer Teile seines Arsenals erbracht.

"Ich wollte dieses Risiko nicht eingehen"

"Es ist völlig legitim, dieses Urteil, das ich traf, zu kritisieren", sagt Blair, kaum eine Stunde nach Beginn der Befragung. Seine Hände unterstreichen die Vehemenz seiner Aussage, diese Sätze will er der Welt mitteilen: "Es geht hier nicht um Lügen, um Täuschung oder die Vorspiegelung falscher Tatsachen. Es geht um eine Entscheidung. Angesichts der Millionen Menschen, die Saddam Hussein bereits getötet hatte, angesichts von zehn Jahren, in denen er die UN an der Nase herumführte - konnte man all dies weiter durchgehen lassen? Das war meine Entscheidung, und ich entschied, dass ich dieses Risiko nicht eingehen würde."

Alle weiteren Antworten Blairs in den folgenden sechs Stunden basieren auf diesem Credo: Saddam war der Böse, der Unberechenbare. Der Druck auf Saddam Hussein musste zunehmen, sonst wäre das Risiko für alle untragbar geworden. Blair wehrt sich gegen Vorwürfe, er habe bewusst in den britischen Dossiers im Vorfeld des Krieges Lügen verbreitet. Ja, die Geheimdienst-Informationen haben sich als falsch herausgestellt, aber nein, niemand habe bewusst falsche Fakten eingefügt. Ja, offensichtlich sei die Angabe, dass Saddam Waffen innerhalb von 45 Minuten abfeuern könne von weiten Teilen der Medien falsch verstanden worden. Diese Aussage bezog sich nicht auf Massenvernichtungswaffen, sondern auf Artillerie-Geschütze der Armee. Aber nein, dies sei eben nur ein Missverständnis gewesen und keine bewusste Täuschung.

Blairs eigene Wahrheit

Blair flutschte der Kommission immer wieder wie ein Fisch aus den Fingern, wand sich in seinen Antworten und blieb doch in einem stets fest und sicher: Es war seine Überzeugung, dass Saddam Hussein eine Gefahr darstellte. Es war sein Ziel, ihn unschädlich zu machen. Und nein, das hatte er nicht von Anfang an mit militärischer Gewalt vor, und nein, er habe Bush nicht schon im April 2002 auf seiner texanischen Ranch einen Blutschwur geleistet, ihm in den Krieg zu folgen. Aber eines sei klar: Er habe damals an der Seite der Amerikaner gestanden, und das habe er auch Bush gesagt, auch schon 2002.

Sein Biograph Anthony Seldon schreibt, dass Blair dieser Glaube, an der Seite von Bush stehen zu müssen, zum Verhängnis wurde. Damit verlor er seine Verhandlungsmacht, seine Unterstützung wurde für die Amerikaner zur Selbstverständlichkeit. Er verspielte damit jeden Einfluss auf den Ablauf der Geschehnisse. "Mr. Blair hat heute die Chance, uns entweder noch einmal zu erzählen, wie ehrlich und voller Grundsätze er ist, und wie er alles nach bestem Wissen und Gewissen getan hat. Oder er kann uns die Wahrheit erzählen."

Blair hat sich für seine eigene Wahrheit entschieden. Und die sagt, dass er alles richtig getan habe. "Was wäre denn, wenn Saddam heute, im Jahre 2010, noch an der Macht wäre?", fragte Blair die Welt. Wäre das besser, fragt er. Und sagt: Hatte ich nicht Recht?

Blair sprach nicht über die Opfer

Die Angehörigen getöteter Soldaten, die hinter Blair auf den wenigen Zuhörerstühlen saßen, sagen, dass Blair ihnen nicht in die Augen geschaut habe, als er in den Raum kam. Er sprach über die legalen Implikationen internationalen Rechts, die diplomatischen Verwicklungen zwischen Frankreichs Präsident Chirac, Russlands Präsident Putin und den Vereinigten Staaten, über das Chaos, in das der Irak nach dem angeblichen Sieg über Saddam Hussein verfiel. Aber er sprach nicht über die Opfer.

Sarah Chapman hat ihren Bruder vor fast genau fünf Jahren im Irak verloren, Sergeant Robert O'Connor starb in der Nähe von Basra. Sie sagt, Blair habe ihnen noch nicht einmal fünfzehn Minuten seiner Zeit eingeräumt im Anschluss an die Anhörung. Briefe mit der Bitte um ein Treffen an sein Büro blieben unbeantwortet. "Das hier ist die Tony-Blair-Show", sagt sie, und dass sie sich nicht viel von dem Kommissionsbericht erwarte. Der Bericht soll beantworten, warum Großbritannien in den Krieg zog und wird nicht vor Anfang nächsten Jahres erscheinen. Wer heute Tony Blair zugehört hat, kennt zumindest seine Antwort: Weil er glaubte, dass es richtig war.