Zuversicht stiften, das kann er. Denn mit Sicherheit lässt sich in diesen Tagen eigentlich nichts sagen. Wolodymyr Selenskyj macht es trotzdem.
Er ist sich sicher, dass Wladimir Putin mit seinem Feldzug scheitern wird. Dass die Zukunft der Ukraine in der EU liegt. Der vollständige Wiederaufbau des Landes gelingt. Und sogar er selbst, der ukrainische Kriegspräsident und Russlands Staatsfeind Nummer eins, in Sicherheit ist. "Ich bin bei meinem Volk. Das ist für mich der beste Schutz", sagte er kurz nach Kriegsbeginn. "Wenn die Ukraine bei dir ist, fühlst du dich sicher."
Nun wurden große Fortschritte gemacht, auch davon ist Selenskyj überzeugt. "Wir verhandeln mit den führenden Nationen der Welt, um der Ukraine Vertrauen in die Sicherheit für die kommenden Jahrzehnte zu geben", sagte er am Mittwochabend in seiner täglichen Videoansprache.
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Demnach gehe es bei den Bemühungen um internationale Sicherheitsgarantien für die Ukraine deutlich voran. "Es ist nun das erste Mal in der Geschichte unseres Staates, dass solche Garantien erfasst werden", so Selenskyj weiter. Und zwar nicht in irgendwelchen Memoranden oder unklaren Formulierungen, "sondern konkrete Garantien". Diese seien damit auch "nicht nur rechtsgültig, sondern auch so formuliert, dass klar ist: Was genau, wer konkret und wie konkret (der Ukraine) garantiert wird."
Mit Details konnte Selenskyj noch nicht dienen, doch was der Präsident von den geplanten Vereinbarungen erwartet, wurde mehr als deutlich: Die Ukraine will konkrete Zusagen. Diese Beharrlichkeit kommt nicht von ungefähr. Denn wenn sich noch etwas mit Sicherheit sagen lässt, dann das: Ausgerechnet Sicherheitsgarantien garantieren keine Sicherheit.
Eigentlich war alles längst geregelt
Das zumindest ist für die Ukraine eine bittere Lehre der jüngeren Vergangenheit. Die USA, Großbritannien und Russland handelten 1994 mit der Ukraine sowie Belarus und Kasachstan das "Budapester Memorandum" aus. Es sah im Wesentlichen vor, dass die Ex-Sowjetstaaten ihre Atombomben an Russland übergeben und im Gegenzug dafür die Garantie für ihre territoriale Integrität erhalten.
Daran hielten sich auch alle, bis 2014 Russland den Vertrag verletzte, in dem es sich die ukrainische Halbinsel Krim einverleibte. Auf die Krimkrise folgten die Unruhen in der Ost-Ukraine und dann der de-facto-Krieg dort. Seit Ende Februar 2022 greift das russische Militär ganz offen den Nachbarn an – obwohl die USA und Großbritannien 1994 Sicherheitsgarantien zugunsten des Landes abgegeben hatte, ebenso wie China und Frankreich in einem gesonderten Abkommen.
Kurzum: Der Status der Ukraine ist eigentlich längst verbindlich geregelt und geschützt – anders als es vor allem Kremlchef Putin versucht, der (seiner) Öffentlichkeit zu verkaufen.
Bizarrerweise war es auch Russland, das mit seinem Pochen auf Sicherheitsgarantien den Krieg in der Ukraine einläutete. Ende Dezember verlangte Präsident Putin von den USA unter anderem die schriftliche Garantie, dass die Ukraine der Nato nicht beitreten werde. Hintergrund ist das in der ukrainischen Verfassung geäußerte Ziel eines Nato-Beitritts.
Das Verteidigungsbündnis hatte zwar nicht die Absicht, die Ukraine in absehbarer Zeit aufzunehmen, trotzdem fabulierte Putin von einem "Verrat" an seinem Land. Nach seiner Lesart hatte der Westen die Abmachungen zur Nato-Osterweiterung gebrochen (wenngleich es diese verbindlich nie gegeben hat).
In letzter Konsequenz startete die russische Armee am 24. Februar ihre Offensive gegen die Ukraine. Eine der Forderungen Moskaus zur Beendigung der Kampfhandlungen ist Kiews klares Bekenntnis zur politischen Neutralität, also einer Abkehr vom Nato-Beitrittsziel, für die das Land nun internationale Sicherheitsgarantien sucht.
Was will die Ukraine – und was wird sie bekommen?
Dabei strebt die Ukraine offenbar eine Art Beistandsversprechen an, ähnlich wie Artikel 5 der Nato. "Wir wollen einen internationalen Mechanismus zu Sicherheitsgarantien, bei dem die Garanten-Staaten sich entsprechend des Artikels 5 der Nato und sogar in einer noch härteren Form verhalten würden", wurde der ukrainische Unterhändler David Arachamia nach Friedensverhandlungen in Istanbul Ende März zitiert.
Als Garantie-Staaten kommen für Kiew demnach die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder in Frage, sowie weitere Länder wie die Türkei oder Deutschland. Die Bundesrepublik stehe dafür bereit: "Wenn es Garantien braucht, dann wird Deutschland da sein und Garantien geben", sagte Außenministerin Annalena Baerbock Ende März.
Doch was würden die Garantien im Ernstfall taugen? "Eine solche Sicherheitsgarantie, dass man die Ukraine im Falle einer erneuten russischen militärischen Aggression verteidigen würde, wäre eine Nato-Bündnisgarantie durch die Hintertür", gab Gerhard Mangott gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zu bedenken. In anderen Worten: Sollte Russland nochmals die Ukraine angreifen, müssten die Sicherheits-Garanten einschreiten.
Weder die USA noch die meisten anderen Nato-Staaten hätten der Ukraine diese Verteidigungszusage vor dem Krieg geben wollen, so der Russland-Experte und Politikwissenschaftler von der Universität Innsbruck. "Ob sie jetzt dazu bereit sind und damit einen bewaffneten Konflikt mit Russland riskieren wollen, da habe ich meine Zweifel."
Auch der Militärexperte Gustav Gressel äußerte sich skeptisch, wie viel Sicherheit diese Garantien wirklich bringen würden. "Sicherheitsgarantien ersetzen niemals eine starke ukrainische Armee, sondern können nur ergänzend vereinbart werden", sagte er dem RND.
Sicher ist bislang nur, dass die Ukraine konkrete Zusagen erwartet – die über die schwammige Definition des erklärten Ziels hinausgehen: "Sicherheitsgarantien sind politische aber rechtlich nicht bindende Erklärungen der Atommächte gegenüber Nicht-Kernwaffenstaaten", wie die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen den Begriff erklärt.
Allerdings gibt es in der Geschichte auch Fälle, in denen sich Sicherheitsgarantien bewährt haben, so Militärexperte Gressel zum RND. "Die USA haben bündnisfreie Staaten in der Vergangenheit bereits verteidigt, wie 1956 Österreich", sagte er. Damals hatte Russland in Ungarn den Volksaufstand niedergeschlagen. "Die USA haben zugesichert, einen sowjetischen Einmarsch nicht unbeantwortet zu lassen, und dementsprechend eigene Kräfte in erhöhte Bereitschaft versetzt."
Das könnte Selenskyj zuversichtlich stimmen.